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Bernhard Bosse. Foto: Charlotte Oswald
Bernhard Bosse. Foto: Charlotte Oswald
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Verleger, Kulturpolitiker, Kaufmann, Visionär

Untertitel
Bernhard Bosse feiert am 8. Dezember seinen achtzigsten Geburtstag
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Ein Ruheständler in der Zukunftswerkstatt? – Das macht jedenfalls Sinn, wenn es sich bei diesem „Pensionisten“ um einen der Gründer unserer Zeitschrift handelt. Es war ein schwieriger Gang, den der junge Marineoffizier Bernhard Bosse Ende der 40er- und Anfang der 50er-Jahre in Regensburg begann. Nicht nur materiell lagen die Felder brach, auch ideell musste die verlegerische Zielsetzung komplett neu bedacht werden. Das deutsch-nationale Gedankengut des „alten“ Gustav Bosse Verlages war für den Weitertransport denkbar ungeeignet. Im Keller der Verlagsdruckerei lagerten in Stapeln sich tonnenweise die Plano-Bögen der Schriftenreihe „Von deutscher Musik“. Sie waren Makulatur. Mit Bernhard Bosse unterhielten sich Theo Geißler und Eckart Rohlfs.

Als Bernhard Bosse 1948 die Lizenz der amerikanischen Militärregierung für den Gustav Bosse Verlag erhielt, stand der junge Ex-Offizier vor der Aufgabe, einen Verlag zu leiten, ohne auch nur die geringste Ahnung zu haben, wie man so was macht...

Ich wusste nicht einmal, wie man kaufmännisch damit umzugehen hat. Es war eine Tabula-rasa-Situation, wie man sie sich, je nach Sicht der Dinge, schlimmer oder günstiger gar nicht vorstellen kann. Anfang der 50er-Jahre erhielt ich dann die Chance, zusammen mit anderen Verlegern für drei Monate zu einem Studienaufenthalt nach Amerika zu reisen. Als ich zurück nach Regensburg kam, hatte sich mein Blick auf das deutsche Trümmerfeld entscheidend verändert. Mir war klargeworden, was im Bereich des Möglichen lag.

Wie sahen denn diese Möglichkeiten aus? Welche programmatischen Ansätze boten sich dem „Jung-Verleger“ Bosse?

Mir fiel kurz nach der Rückkehr aus Amerika ein Prospekt der „Musikalischen Jugend Deutschlands“ in die Hände. Ich war fasziniert von den Ideen, die dort präsentiert wurden. Junge Menschen treffen sich und machen Neue Musik. Junge Dirigenten, junge Interpreten stellen Programme zusammen, wie sie in Deutschland noch nicht zu hören waren. Und sie denken dabei nicht nur an interpretatorische Raffinessen, sondern sofort auch an neue Möglichkeiten der Musikvermittlung: an einen anderen Schulunterricht und an eine neue Laienmusik. Ein Motor dieser Bewegung war der damals gerade zwanzig-jährige Eckart Rohlfs. Eine Freundschaft begann, die über ein fruchtbares Arbeitsverhältnis weit hinausging und die bis heute andauert. Damals erschien im Gustav Bosse Verlag noch die „Zeitschrift für Musik“. Sie war nicht nur aus den Zeiten des nationalsozialistischen Regimes geistig vorbelastet, es stellte sich vielmehr heraus, dass auch der neue Herausgeberkreis nicht wirklich in der Lage war, den Aufbruch, der aus meiner Sicht jetzt erfolgen musste, mitzugehen. Deshalb entschloss ich mich, das Traditionsblatt „Zeitschrift für Musik“ an den Schott Verlag zu verkaufen und mit der „Musikalischen Jugend“ ein komplett neues Zeitschriftenkonzept zu starten. Die Trennung von der „Zeitschrift für Musik“ war dabei durchaus schmerzhaft. Es fiel mir nicht leicht, Erich Valentin, dem Freund, Lehrer und Wegbegleiter, den Stuhl vor die Tür zu setzen. Andererseits formierten sich in dieser Zeit auch schon wieder – gelinde gesagt – restaurative Kräfte. Eine kulturpolitische Polarität tat sich auf, deren Einfluss für die Entwicklung der neuen Zeitschrift, aber auch für die Positionierung des Verlages insgesamt eine entscheidende Bedeutung gewinnen sollte.

Schließlich bildeten solche alten Seilschaften einen der Kondensationskerne, um den herum sich später der Deutsche Musikrat formte? Darf man das so sehen?

Gegen diese Gruppierungen bildeten wir ganz selbstverständlich eine Opposition. Die Arroganz mit der diese, dem Selbstverständnis nach hochwissenschaftlich gebildeten Herrschaften auf alle frischen Ansätze einer breit angelegten musikalischen Laienbildung herabblickten, schien uns undemokratisch und unerträglich. Wir entwickelten – ohne dass wir es so nannten – ein kulturpolitisches Bewusstsein. Ganz praktisch äußerte sich das darin, dass wir Mitte der 50er-Jahre in München eine Art eigenständiger Dependance des Musikverbandswesens gründeten – mit der Zeitschrift „Musikalische Jugend“ im Zentrum. Der Gustav Bosse Verlag beteiligte sich bei dieser Gründung auch materiell, was ihm alles andere als leicht fiel. Die Eigenkapitaldecke hatte nicht sonderlich gestärkt werden können.

Die Rettung, wenn man es so nennen will, kam dann aus Kassel?

Ja, in diese Zeit fiel meine erste Begegnung mit dem Verleger des Kasseler Bärenreiter Verlages, Karl Vötterle, einer noblen, intelligenten und kaufmännisch überragenden Musikverleger-Persönlichkeit. Wir traten in Verkaufsverhandlungen ein, einigten uns über den Preis und hätten freundschaftlich auseinandergehen können: da fragte mich Vötterle, was ich denn für weitere Pläne mit dem Gustav Bosse Verlag gehabt hätte. Ich schilderte ihm meine ebenso kreativen wie teuren Wunschvorstellungen und war nicht schlecht überrascht über die Reaktion. Er bot mir an: „Leiten Sie den Verlag in Regensburg weiterhin nach Ihren Vorstellungen.“ Dafür stellte er mir einen sechsstelligen Betrag in Aussicht. Nachdem ich wochenlang mit Banken um wesentlich kleinere Kreditstellungen gefeilscht hatte, erschien mir dieses Angebot als eine Sternstunde des Verlags. Der Grundstein war gelegt für eine realistische und perspektivenreiche Verlagsarbeit.

Dieses unerwartete Fundament zog dann weitere Erfolge geradezu an. Parallel zum Aufbruch musikpädagogischer Verbände und Initiativen wuchsen Verlag und Zeitschrift. Wie verlief die weitere Entwicklung?

Wir sind auf die Verbände zugegangen und boten ihnen an, bei der Präsentation ihrer „Innen- und Außenpolitik“ behilflich zu sein. Da gab es immer einen gewissen Erklärungsbedarf, denn die meisten Verbände verstanden sich selbst als rein berufsständisch, verwalteten ihre Mitglieder und hatten wenig Interesse, ihre Anliegen nach außen zu transportieren. Die „Musikalische Jugend Deutschlands“ konnte in dieser Zeit als Vorbild gelten. Ich werde nie vergessen, wie Klaus Bernbacher 1966 den Begriff Kulturpolitik in die Verbandsarbeit einbrachte. Allein die Wortverbindung von Kultur und Politik galt bis dahin vielen Pädagogen und Künstlern als nahezu undenkbar. Andererseits beschrieb dieser Begriff unsere Arbeit, die wir seit Jahren leisteten präzise. In diesen 60er-Jahren entstand die bedeutendste musikalische Nachwuchsfördermaßnahme in der Deutschen Geschichte, der Wettbewerb “Jugend musiziert“. Er versammelte durchaus heterogene musikpädagogische Verbände auf dem Weg zum Ziel, den drohenden Absturz des bundesrepublikanischen Orchesterwesens in die künstlerische Bedeutungslosigkeit zu verhindern. Wir haben diesen Weg stets konsequent publizistisch begleitet.

Der Gustav Bosse Verlag bestand nicht nur aus der Zeitschrift „Musikalische Jugend“, das Verlagsprogramm wurde gezielt erweitert, nicht einfach so mit beliebig aufgelesenen Titeln, sondern vielmehr nach dem Prinzip einer „Zukunftswerkstatt“: Wo zeichnen sich neue Entwicklungen ab? Wo ist es nötig, gesellschaftliche, intellektuelle, kulturpolitische Tendenzen und Notwendigkeiten zu fördern, als Verlag oder kommentierend in der Zeitschrift. Wie stellte sich das für den Gustav Bosse Verlag und seinen Verleger Bernhard Bosse dar?

Dass auch an anderen Stellen des Musiklebens eine Aufbruchsstimmung herrschte, spürte der Verlag deutlich und vor allem rechtzeitig. Und nicht nur im Musikleben: Die Aufbruchstimmung in der gesamten jungen Generation, die wir heute unter dem Begriff „68er-Generation“ kennen, artikulierte sich. Die Übereinstimmung von allgemeinem politischen Geschehen und meiner verlegerischen Tätigkeit in der Zeitschrift erwiesen sich als starke Schubkraft für die musikalischen Aufgaben, die der Verlag gefördert und betreut hatte. Als Beispiel neben anderen mag die Idee gelten, ein neues Kirchenlied hier im Verlag zu schaffen. Es war die Zeit, in der die Kirchen immer leerer wurden. Da erreichte mich eine Ausschreibung der Evangelischen Akademie Tutzing zu einer Tagung „Kirchenmusik – wohin?“ unter der Moderation des evangelischen Studentenpfarrers von München Günther Hegele. Das Ergebnis des Tagungsbesuchs war ein Kompositions- und Textwettbewerb. Den ersten Preis aus 996 Einsendungen erhielt das Lied „Danke“ des Freiburger Komponisten und Kirchenmusikers Gottfried Schneider. Das „Danke“-Lied wurde ein Hit im wahrsten Sinne des Wortes und geriet sozusagen zum Startschuss für den ganzen Sektor „Neues geistliches Lied“, eine Sparte, die für den Gustav Bosse Verlag gleichzeitig innovativ und ertragreich war. Die offizielle Kirchenmusik titulierte Hegele und mich dafür als „liturgische Playboys“. Wir haben damals einige hundert Lieder verlegt, von denen sich zwei Dutzend zu echten „Evergreens“ entwickelten. Das Ganze ruhte auf einem starken emanzipatorischen und pädagogischen Konzept, das die Verlagsarbeit in dieser Zeit insgesamt prägte.

Auf einem anderen Feld, nämlich bei der Suche nach zeitgenössischer Musik für Laienensembles im weltlichen Bereich, war der Bosse Verlag aber nicht annähernd so erfolgreich. Zusammen mit der „Musikalischen Jugend Deutschland“ schrieb der Verlag Kompositionswettbewerbe aus, die wenig Früchte trugen. Woran mag das gelegen haben?

Sprach man Komponisten direkt an, Hindemith, Orff, Egk, Bialas, erhielt man eher Absagen mit der Begründung, dass adäquate Aufführungen im Laienbereich auf zu viele Hindernisse stoßen würden, zum Beispiel fehlende Schlagtechniken, Besetzungsfragen, Leseprobleme bei grafischer Notation. Laienmusik sei viel schwerer zu schreiben als eine Sinfonie. Trotzdem blühten die Laienmusikverbände auf, gerade auch im musikpädagogischen Bereich der Verband deutscher Musikschulen. Der VdM entwickelte sich kulturpolitisch, programmatisch und geschäftlich zum wichtigsten Partner des Gustav Bosse Verlages. Sicherlich spielte auch hier meine Freundschaft mit dem damaligen Vorsitzenden Diethard Wucher eine entscheidende Rolle, eine Freundschaft, die ihre Basis immer in der gemeinsamen politischen und kulturellen Zielorientierung hatte. Die „Musikalische Früherziehung“ geriet zur Grundlage einer qualifizierten Musikerziehung in der gesamten Bundesrepublik und erschien im Gustav Bosse Verlag. Flankiert wurde diese Arbeit durch entsprechende wissenschaftliche Buchreihen und durch innovative Praxisbände. Als optimales „Transportmittel“ für alle diese Ideen und Produkte erwies sich dabei die Zeitschrift „Musikalische Jugend“, die 1969 im Rahmen ihrer thematischen Erweiterung in „neue musikzeitung“ umbenannt worden war. Sie hatte sich ihren kulturpolitischen Biss bewahrt, galt als Forum der pädagogischen Grundsatzdebatten und steigerte ihre Auflage zu Beginn der 70er-Jahre auf weit über 20.000 Exemplare. Für den Verlag begann in den 70er-Jahren die „Phase der Pädagogik“. Bundesweit wurden neue Unterrichtsmethoden und Schulbücher entwickelt. Konsequent begann ich die Arbeit für die Musikpädagogik 1970 mit dem Unterrichtsprogramm „Musikalische Früherziehung“. Das Pädagogikprogramm wurde ausgeweitet über die „Musikalische Grundausbildung“ für 6- bis 8-jährige Kinder, die „Elementare Musikerziehung mit Schlagzeug“ für die 10- bis 12-Jährigen, die Unterrichtssequenzen für die Sekundarstufen, Theorie und Unterrichtswerke für Musikstudierende bis zu theoretischen Werken und Praxisanleitungen für den Bereich Musik in der Sozialpädagogik bis hin zur Arbeit mit Behinderten. Sogar eine Kooperation mit dem Deutschen Musikrat gelang nach anfänglichen Schwierigkeiten und 15 Jahren Vorarbeit prächtig: 1986 erschien mit dem „Musikalmanach“, die erste musikbezogene „Datenbank“, damals noch pur auf Papier. Ja, es war die Zeit, in der die Elektronik Einzug hielt ins Verlagsgeschäft, in die Produktion wie in die Buchhaltung. Eine Entwicklung, die meine verlegerische Grundhaltung nicht ausschließlich erleichtert hätte. Als Verleger braucht man eine Vision, man braucht ein Gespür für Menschen, für Entwicklungen, und man braucht Mut und Zielstrebigkeit – und den Atem eines Marathonläufers, um dieser Vision näher zu kommen.

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