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Vom alten Wein in neuen Lehrplänen

Untertitel
Neuer Musiklehrplan in der baden-württembergischen gymnasialen Oberstufe
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Mit dem Schuljahr 2002/2003 wird an den allgemein bildenden Gymnasien in Baden-Württemberg die so genannte Neuordnung der gymnasialen Oberstufe umgesetzt. Die wesentlichen Zielsetzungen der „Weiterentwicklung“ sind nach Aussage des Kultusministeriums „vertiefte Allgemeinbildung in Kernfächern, individuelle Profilierung, fächerübergreifendes, selbstständiges und projektorientiertes Lernen“. Damit verbindet das Kultusministerium die Hoffnung, dass „unsere Abiturientinnen und Abiturienten eine solide und zukunftsfähige Basis für den Übergang in die Hochschule und in den Beruf (erhalten).“

Mit dem Schuljahr 2002/2003 wird an den allgemein bildenden Gymnasien in Baden-Württemberg die so genannte Neuordnung der gymnasialen Oberstufe umgesetzt. Die wesentlichen Zielsetzungen der „Weiterentwicklung“ sind nach Aussage des Kultusministeriums „vertiefte Allgemeinbildung in Kernfächern, individuelle Profilierung, fächerübergreifendes, selbstständiges und projektorientiertes Lernen“. Damit verbindet das Kultusministerium die Hoffnung, dass „unsere Abiturientinnen und Abiturienten eine solide und zukunftsfähige Basis für den Übergang in die Hochschule und in den Beruf (erhalten).“Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat diesen baden-württembergischen Alleingang, der unter enormem Zeitdruck durchgezogen wurde, im Oktober 1999 ermöglicht. Das System der 2- bis 3-stündigen Grund- und 5-stündigen Leistungskurse wird abgeschafft zugunsten von „neuen, stabilen Lerngruppen“, die eine neue Lernkultur unterstützen und fördern sollen. (Die wohl dahinter steckende ursprüngliche Absicht, den Klassenverband wieder einzuführen, ist allerdings nicht realisiert worden. Ebenso werden wohl weit weniger Lehrerstunden „gespart“ als von Befürwortern und Gegnern der „Reform“ erhofft oder befürchtet.) Mit dem Ziel „einer breiten und vertieften Allgemeinbildung“ werden die Kernfächer gestärkt, das ursprüngliche Prinzip der grundsätzlichen Gleichrangigkeit der Fächer wird ausgehöhlt und die Wahlmöglichkeiten werden eingeschränkt, auch wenn offiziell behauptet wird, die Möglichkeiten, individuelle Schwerpunkte zu setzen, würden ausgeweitet. Deutsch, Fremdsprache und Mathematik sowie zwei weitere, individuell bestimmbare Fächer (Profilfach – ausgerichtet am jeweiligen Schulprofil- und Neigungsfach), die alle mit vier Wochenstunden unterrichtet werden, sind für alle Schülerinnen und Schüler verpflichtend. (Deutsch und Fremdsprache sind verbindliche schriftliche Prüfungsfächer.) Außerdem sind zwei naturwissenschaftliche Fächer verbindlich. Insgesamt bedeutet das eine Ausweitung der Fächerverpflichtungen und eine Erhöhung der Pflichtstundenzahl. Am Zentralabitur wird festgehalten. Als Bonbon sollen zusätzlich – so die Vorgabe – neue Lernkulturen, das selbstständige und projektorientierte Arbeiten und das für die allgemeine Studierfähigkeit besonders relevante interdisziplinäre Lernen gefördert werden. „Ein zukunftsorientiertes und leistungsstarkes Gymnasium muss über Grundlagen in den einzelnen Fächern hinaus die Fähigkeit zu fächerübergreifendem und eigenständigem Lernen sowie Methoden- und Sozialkompetenz vermitteln.“

Mit der Neustrukturierung gibt es neue Lehrpläne, die – so die hehren Ziele – „den Anforderungen an eine innovative Unterrichtskultur Rechnung tragen“ und die „inhaltliche und methodische, also pädagogische Weiterentwicklungen an den Schulen ermöglichen und zu einer deutlichen Verringerung der Stofffülle in den einzelnen Fächern führen“ sollen.

Der neue Musiklehrplan1

Von der angekündigten „Neugestaltung“ konnte beim ersten Entwurf des Lehrplanes Musik (März 2000) nicht die Rede sein, da sich prinzipiell und inhaltlich gegenüber den alten Lehrplänen – der letzte stammt von 1994 – nichts oder nur wenig verändert hatte und der Entwurf weitgehend eine reine Stoffsammlung ohne Lernzielangaben mit den üblichen Kapiteln aus der europäischen Musikgeschichte (Stil-, Epochen- und Gattungsgeschichte) in chronologischer Reihenfolge war, wobei musikalisches Verstehen von analytischen Einsichten (Harmonik, Form u.ä.) abhängig gemacht wird und die Analysetechniken aus dem Theorieunterricht der Hochschulen unmittelbar übernommen werden.

Nach der scharfen Kritik in der ersten Anhörung legte die vom Ministerium ohne Offenlegung oder Ausschreibung eingesetzte Lehrplankommission einen völlig neuen Entwurf vor. Die allgemeinen Vorbemerkungen wurden beibehalten:

„Musik spricht den Menschen ganzheitlich an. Daraus ergibt sich ein besonderer Bildungsauftrag des Faches Musik und das Ziel, vier musikalische Grundqualifikationen zu vermitteln:

  • die Fertigkeit, im Rahmen der eigenen Möglichkeiten musikalische Gestaltungen auch selbst vorzunehmen,
  • die Anwendung eines in der Schule erworbenen Grundwissens über Musik, ihre Formen, Gattungen und Stilepochen,
  • die Fähigkeit, Musikstücke oder musikalische Verläufe mit geschultem Hörsinn und differenzierter Wahrnehmung aufzunehmen und daran emotional wie rational teilzuhaben,
  • die Verknüpfung des Musikerlebens mit anderen Disziplinen des kulturellen und gesellschaftlichen Lebens.“

Statt der Lehrplaneinheiten sieht der jetzt gültige Lehrplan Arbeitsbereiche vor und zwar für

  • Musik zweistündig die Arbeitsbereiche Musik-Praxis, Musik-Geschichte, „Musik-Hören und Werkbetrachtung“ und „Musik-Leben“,
  • für Musik vierstündig die Arbeitsbereiche „Musik-Praxis-Kompositonswerkstatt“, „Musik-Geschichte und Werkanalyse“, „Musik-Hören und Gehörbildung“ und „Musik-Leben“.

Die Stoffmenge wurde – in Anlehnung an die parallelen Lehrpläne von bildender Kunst und Sport – deutlich reduziert; der Kritik, dass im ursprünglichen Entwurf neue Unterrichtstechniken nicht vorkommen, wurde durch entsprechende methodische Hinweise entsprochen. Außerdem wurden einige Hinweise auf die Arbeit mit „neuen Medien“ und auf Möglichkeiten des fächerverbindenden Unterrichts aufgenommen.

So weit, so gut. Vermutlich nicht in Übereinstimmung mit der Lehrplankommission wurde – wohl von der „Schulverwaltung“– als „abschließende Hinweise“ eine Art Grundcurriculum formuliert und an den Lehrplan angehängt, das in acht Kapiteln (ähnlich wie im ursprünglichen Entwurf und im alten Lehrplan) „Epochen, Formen, Gattungen und Komponistenpersönlichkeiten“ aufführt, von denen jeweils wenigstens ein Beispiel exemplarisch behandelt werden soll.

Die Kapitel sind: Geistliche Musik, Instrumentalmusik des Barock, Musik der Klassik, Das Lied, Musik des 19. Jahrhunderts, Oper und Musiktheater, Jazz und Popularmusik, Musik des 20. und 21. Jahrhunderts. In diesen „Hinweisen“ heißt es: „Der Lehrplan möchte auch sicherstellen, dass die unten genannten Epochen, Formen, Gattungen und Komponistenpersönlichkeiten sowohl im Pflichtfach als auch im Profil- und Neigungsfach Eingang finden. Hierbei ist zu beachten, dass im zweistündigen Pflichtfach aus jedem der unten aufgeführten acht Bereiche wenigstens ein Beispiel behandelt wird. Für das vierstündige Profil- oder Neigungsfach handelt es sich um einen Gesamtkatalog, dessen einzelne Abschnitte nicht allein im Arbeitsbereich 2, sondern im Rahmen aller Arbeitsbereiche behandelt werden sollten...“

Dieser Zusatz konterkariert den eigentlich guten Ansatz des neuen Lehrplans. Es wird also wohl alles mehr oder weniger beim Alten bleiben: Der gymnasiale Musikunterricht der 70er-Jahre feiert fröhliche Urständ. Und von „Verringerung der Stofffülle“ kann so wohl auch kaum die Rede sein.

Im Profil- und Neigungsfach wird sich zudem gegenüber dem seitherigen Leistungskurs wenig ändern, wenn nicht die schriftliche Prüfung im Abitur entsprechend geändert wird: Die Zahl der Schwerpunktthemen ist zwar erfreulicherweise von fünf auf drei reduziert. Wenn sich aber Schwerpunktthemen und damit auch die Abitur-Klausurthemen – was zu befürchten ist – weiterhin auf die Analyse europäischer Kunstmusik beschränken und sich nicht aus den neuen Arbeitsbereichen ableiten, bilden sie im Zentralabitur den „heimlichen Lehrplan“, und wie seither wird der Unterricht weitgehend damit beschäftigt sein, das Abitur beziehungsweise die Abitur-Klausur vorzubereiten. Auch bei der fachpraktischen Prüfung (Profil- und Neigungsfach), die ja in Baden-Württemberg das Instrumentalspiel (bzw. den Gesang) einbezieht und 50 Prozent des Abiturs ausmacht, ändert sich wenig: Zwar fallen einige Prüfungsteile weg (tonales Hören, Dreiklangsveränderungen hören, Drei- und Vierklänge hören); Rhythmusdiktat, Melodiediktat, Intervallehören und Tonsatz bleiben, etwas verkürzt und vereinfacht. Es kommen allerdings neu dazu: die Analyse eines gehörten „Werkausschnitts und Bilden eines Nachsatzes“. Damit bleibt es weitgehend bei der wirklichkeitsfremden Art der Gehöraufgaben, die von der Praxis der Musikhochschulen aus den 70er-Jahren abgeleitet wurden. Ähnlich beim Tonsatz. Klare Regeln für einen 4-stimmigen Satz erlauben zwar eine „zuverlässige“ Bearbeitung der Aufgaben, vereinfachen Korrektur und „objektivieren“ die Notengebung. Das bleibt aber – vor allem weil die Schüler ihr „Werk“ ja nicht hören – „Papiermusik“. Besser wäre es zum Beispiel gewesen, nicht nur Stilkopien machen zu lassen, sondern kleine Kompositionsübungen, Harmonisierungen und oder Arrangements in schülerorientierteren Stilrichtungen (Pop, Jazz). Positiv bleibt zu vermerken, dass sich der Stellenwert des Faches Musik in der neu gestalteten baden-württembergischen Oberstufe wohl nicht verschlechtert, sondern vielleicht sogar verbessert: So kann jetzt im Gegensatz zu früher Musik (Profil-/Neigungsfach) auch mit Deutsch kombiniert werden. Wer sich für das Pflichtfach Musik entscheidet, muss das nicht wie früher zwei, sondern vier Halbjahre belegen, zwei Kurse müssen „abgerechnet“ werden. Ob auch in Schulen ohne Musikprofil – auch angesichts der Ausweitung der Pflichtstundenzahl – weiterhin in gleichem Maße wie früher Leistungskurs Musik als Neigungsfach gewählt wird und ob die Kurse auch zustandekommen (das ist „abhängig von den Ressourcen und dem Stundenkontingent“ der jeweiligen Schule), bleibt abzuwarten.

1 Der Lehrplan ist im Netz: www.leu.bw.schule.de/allg/bildungsplan/index.htm

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