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Während sich im Erdgeschoß der Halle 6 die Journalisten um Interviews mit den Autoren balgten und der Fachbesucher Schwierigkeiten hatte, überhaupt unbeschadet durch die Gänge der großen Belletristik-Verlage zu flanieren, ging es ein Stockwerk höher in der Sachbuchabteilung Musik eher ruhig zu. Große Sensationen wie die bahnbrechende Hitler-Biographie von Ian Kershaw (Deutsche Verlagsanstalt) hatten die wenigen präsenten Musikverlage nicht zu bieten, Neuerscheinungen sind innerhalb dieses immer noch schwierigen Marktes in diesem Jahr Mangelware.
Der Bärenreiter-Verlag investierte zum 75. Jubiläum statt in große Empfänge und Feiern in eine neue Ausgabe der Urtexte: „Bärenreiter Classics“. Die Jubiläumseditionen bestehen aus einer handlichen Partitur und einer zugehörigen CD-Einspielung. Außerdem produzierte Bärenreiter zwei feudale Coffeetable-Books, die sich gut auf dem weihnachtlichen Gabentische machen werden: Die 450jährige ereignisreiche Geschichte der Sächsischen Staatskapelle Dresden wird in einem ausführlichen Bildband dargestellt. Kommentierte Fotografien, Bilder und Dokumente veranschaulichen die wechselvolle Geschichte des bekannten Klangkörpers. Orgelfreunde können sich in Zukunft mit einem guten Reiseführer auf Entdeckung begeben. Der „Orgelführer Deutschland“ bietet Geschichten und Porträts der bekanntesten Orgeln.
Vielfältig war das Angebot von Neuerscheinungen beim benachbarten Riesen Schott Atlantis. Die Bandbreite reichte vom Geschenkbüchlein „Von der Rolle“, einem „heiteren Opernlexikon“ bis zur großangelegten Robert-Schumann-Lebenschronik von Ernst Burger, der schon Liszt und Chopin mit solch einem ausführlichen kulturgeschichtlichen Werk ins Licht gesetzt hat. Bereits jetzt ein Publikumsrenner ist das Handbuch „Der Weg zum Popstar“ von Marlies Jahnke. Kompetent und unterhaltsam klärt der Ratgeber viele dunkle Punkte auf dem Weg zum Popstarhimmel wie GEMA-Fragen oder Vertragsgestaltungen.
Nischen belegen die kleineren Verlage wie Wolfgang G. Haas, der zum Beispiel die Erinnerungen des englischen Militärmusikers und Bärenfellmützenträgers Peter B. Smith herausgegeben hat. Überhaupt stehen Musikerpersönlichkeiten wieder einmal im Mittelpunkt des Interesses – abgesehen vom Jubilar George Gershwin, der von den großen Traditionsverlagen vergessen worden zu sein scheint. Lediglich der kleine österreichische Hannibal-Verlag würdigte den großen Amerikaner mit einer überarbeiteten Sonderausgabe der Biographie von David Ewen.
Kiepenheuer & Witsch ehrt einen anderen, der in Amerika Erfolg und Glück fand, mit einer besonders schönen Ausgabe: Kurt Weills Briefwechsel mit seiner Muse und Ehefrau Lotte Lenya gibt aufschlußreiche Einblicke in das Zusammenleben des Komponisten und der kongenialen Interpretin seiner Lieder („Sprich leise, wenn du Liebe sagst“). Andere große Belletristik-Verlage wagten nicht viel: Rowohlt bringt Juhnkes wechselvolle Erinnerungen unters Volk („Meine sieben Leben“) und Maria Callas, unsterbliches Idol alter und junger Opernfreunde, ist Thema eines Albums mit Text- und Bilddokumenten zum 75. Geburtstag der Diva – natürlich fehlt auch hier die CD nicht, die die legendäre Stimme bequem und ohne langwierigen Gang ins Plattengeschäft schon beim Lesen zu Gehör bringt. (Scherz Verlag, „Maria Callas – ihre Stimme, ihr Leben)
Interessanter nimmt sich dagegen schon das Vorhaben aus, Richard Strauss endlich gerecht zu werden. Die Musikwissenschaftlerin Veronika Beci nähert sich in ihrer Biographie „Der ewig Moderne“ der „überlebten Institution“ und fokussiert unter anderem auch seine Beziehungen zu Mahler, Schönberg oder Hindemith. (Droste). Zum 100. Todestag von Walzerkönig Johann Strauß will der österreichische Musik- und Theater-Verlag bóhlau beweisen, daß Besagter „Ein Pop-Idol des 19. Jahrhunderts“ war.
Daß Kunst und Musik nicht abgeschottet von den politischen Verhältnissen existieren können, beweist wieder einmal ein aufschlußreiches und mutiges Werk von Willem de Vries, das sich mit dem „Sonderstab Musik“ im Dritten Reich auseinandersetzt (Dittrich). 50 Jahre nach Kriegsende wagte sich ein holländischer Wissenschaftler an das brisante Thema „Organisierte Plünderungen in Westeuropa 1940 – 45“ des „Einsatzstabs Rosenberg“ heran.
Seltsam angestaubt wirkten ausgerechnet die Regale für die Jüngsten. Für Kinder des Computer- und Tabaluga-Zeitalters zu kindisch scheint das neue Unterrichtswerk für musikalische Früherziehung, „Spiel und Klang“, des Gustav-Bosse-Verlages: ein Plüschhand-Murmeltier soll die Kleinen mit Musik vertraut machen. Ausnahmen bestätigen die Regel: der winzige Sternschnuppe Verlag editiert zum Beispiel wirklich witzige und moderne Kinderlieder mit Pfiff – von der „Brezn-Beißer-Bande“ bis zum Tiger-Rap.