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„Zu Mariechens 7ten Geburtstag / den 1sten September 1848 / gemacht vom Papa.“ Schlichter geht’s nicht: erfolgreicher auch nicht. Im Revolutionsjahr 1848 – das politische Großunternehmen schickt sich gerade an, kläglich zu scheitern – startet ein sächsischer Komponist ein ästhetisches Unternehmen, das die Klavierpädagogik umwälzen sollte. Die kompositorische Keimzelle von Schumanns „Album für die Jugend“, eines der zentralsten Werke in der Geschichte der Klaviermusik, liegt im Herbst 1848 auf dem Gabentisch seiner Lieblingstochter Marie. Schon mit diesen acht von endgültig 43 „Clavierstücken für die Jugend“ legt der Komponist den schlüssigen Beweis vor, daß Poesie und Pädagogik keineswegs auf immer geschieden sind. Mariechen jedenfalls reagiert, so die zufriedene Tagebuchnotiz des Vaters, mit „Vergnügtsein“. Was will einer mehr? Kind vergnügt, Komponist mit „größter Freude“ bei der Arbeit, und bei Verleger J. Schubert & Co. klingelt die Kasse. Innerhalb eines Jahres hat der Mann nach eigenen Angaben die gigantische Zahl von 2.000 Exemplaren abgesetzt.
150 Jahre später liegt nun die im Bonner Beethovenhaus verwahrte Handschrift als Band 11 der Veröffentlichungen des Beethoven-Hauses (ISBN 3-88188-011-9) in einer schönen Faksimile-Ausgabe erstmals auch der Öffentlichkeit vor, versehen mit einem Kommentar von Bernhard R. Appel. Der wissenschaftliche Mitarbeiter der Düsseldorfer Robert-Schumann-Forschungsstelle hat die Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte des opus 68 in einer hübsch anzusehenden Vitrinenausstellung sichtbar gemacht (bis 2. Mai im Heinrich-Heine-Institut Düsseldorf, ab 19. Mai im Stadtmuseum Bonn) und in einer Buchpublikation festgehalten (Bernhard R. Appel: Robert Schumanns Album für die Jugend; Zürich / Mainz: Atlantis 1998, ISBN 3-25400237-7).
Doch aller guten Dinge sind drei. Warum nicht einmal, so Appels Idee, die lnspirationskraft des Albums für die Jugend auf die heutige komponierende Jugend prüfen? Die daraufhin gestartete Versuchsanordnung der Düsseldorfer Robert-Schumann-Gesellschaft war mit einem grenzüberschreitend ausgeschriebenen „Kompositions-Wettbewerb für Jugendliche von 12 bis 18 Jahren“ hinreichend großdimensioniert angelegt. 1.700 Musikschulen wurden informiert, was die Gesamtkosten auf insgesamt 40.000 Mark anschwellen ließ, getragen je zur Hälfte von der Deutschen Bank und vom Nordrhein-Westfälischen Kulturministerium. Doch entsprechend vielstimmig war das Echo. 64 Einzelsätze für Klavier aus dem gesamten Bundesgebiet und aus der Schweiz waren bis Jahresende 1998 eingegangen. Arbeit genug für die prominent besetzte Jury aus den Komponisten Oskar-Gottlieb Blarr (Jury-Vorsitzender), Jürg Baur, Krzysztof Meyer, Manfred Niehaus und dem Intendanten Freimut Richter-Hansen, dem es vorbehalten blieb, die feierliche Preisverleihung am 21. März zu moderieren. Nachdem vier Teilnehmer in einer achtstündigen Jury-Sitzung als Preisträger ermittelt waren, durften sie ihre Stücke, die stilistisch in einem erkennbaren Bezug zu Schumanns opus 68 stehen mußten, öffentlich vortragen.
Jakob Siecke (1982 geboren in Konstanz) trug schließlich den Sieg und 2.000 Mark Preisgeld davon. Seine glänzend dargebotene, mit Effekten nicht geizende Arbeit berief sich aufs Vorbild Messiaen und schien wie die seiner Konkurrenten (Platz 2: Martin Grütter, geboren 1983 inTrostberg, Platz 3: Birke J. Bertelsmeier, geboren 1981 in Hilden, und Christian Diemer, geboren 1986 in Rottweil) aus durchdachter improvisatorischer Arbeit entstanden zu sein.
Hoffnungsvoll war die konzentrierte Haltung, die Siecke und seine Mitstreiter an den Tag legten. Befragt nach seiner augenblicklichen Lektüre, gab dieser Bergs „Lulu“ und Nietzsches „Zarathustra“ an. Sich konzentrieren können und wollen – dies scheint, wenn es denn eines gibt, das Geheimnis des Erfolges (nicht nur) eines Jungkomponisten zu sein. Keine Mätzchen, kein Mittelweg. Düsseldorf war sich einig: Bravo. Da capo.