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Die Frage, welches Notensatzprogramm welchem Benutzer am besten dient, ist nur schwer zu beantworten. Zu verschieden sind die Anforderungen der „User“, zu unterschiedlich die Angebote der Softwarehersteller. Die Erfahrung zeigt, daß Tips aus der Praxis hier das A und O sind. Drei Anwender berichten auf dieser Seite über ihre Erfahrungen mit „Score“ und „Encore“. Zunächst folgt ein Aufsatz von Christoph Schieri mit dem Titel „Wie ein Orchestermusiker zum Notensetzer wird“ über seine Arbeit mit dem Notensatzprogramm „Amadeus“.
Der Verfasser dieses Artikels ist diplomierter Musikpädagoge und examinierter ausübender Orchestermusiker mit diverser Erfahrung auf Tasten-, Streich- und Blasinstrumenten sowie im sängerisch/chorischen Bereich. Im Laufe der Zeit oft mit mäßigem bis miserablem Notenmaterial gemachte Erfahrungen sowie eine seinerzeit zunehmende Infragestellung der Existenz von Orchestern und des Berufsstandes des Orchestermusikers ließen nach einer beruflichen Alternative Ausschau halten. Völlig unbedarft las ich Fachartikel über das Thema Computer-Notensatz, besuchte Firmen und die Frankfurter Musikmesse. Bald schon stellte sich heraus, daß ein breites Spektrum geboten wurde, von einfachster Notendarstellung mit grober Grafik bis zur ausgefeilten Neumennotation mit feinsten Detailzeichnungen. Nicht alle Programme waren in der Lage, umfangreiche Partituren mit unterschiedlichen Rastralen (verschieden große Notenzeilen) oder Polyrhythmik (verschiedene Taktarten untereinander, also gleichzeitig) darzustellen. Welche Arten von Schlüsseln (auch oktavierende) und Notenklopfen sind verfügbar? Allein in der Schlagzeugnotation gibt es vielartige Zeichen; sogenannte Stichnotation (kleinere Noten) ist bei Erstellung von Orchesterstimmen nötig, oder man denke an die Flageolettdarstellung bei Streichern. Neben den gebräuchlichen Versetzungszeichen gibt es in der Avantgarde diverse Zeichen für Vierteltöne. Wie werden Binde- oder Legatobögen gesetzt, ein extrem schwieriges Thema für ein Computerprogramm; kann der Ansatzpunkt an der Note, die Steigung, die Höhe eines Bogens beeinflußt werden? Taktarten sind nicht immer frei wählbar. Wie werden in der Vokalmusik Text und Notation kombiniert, wie verteilen sich die Silben, können Schriftfonts importiert werden? Überhaupt gibt es in der Darstellung größte Unterschiede. Manchen Programmen sieht man es regelrecht an, daß sie aus dem Computer kommen. Es gibt neben den normalen Regeln der sogenannten Balkung von zum Beispiel Achteln oft optische, musikalische oder interpretatorische Gründe, davon abweichende Zusammenfassungen zu bilden, auch über Takte hinweg. Kennt ein Programm X-tolen (3-, 5-, 6-, 7-tolen) aber auch Duolen, 4-tolen und so weiter? Wie kann in die Notenverteilung im Akkord eingegriffen werden? Polyphone Mehrstimmigkeit innerhalb eines Systems beherrscht nicht jedes Programm, der Abstand der Noten und Zeichen zueinander, die Orientierung der einzelnen Stimmen nach oben oder unten und die Möglichkeit von diesbezüglichen Manipulationen wären wünschenswert. Daß sämtliche dynamische und sonstige musikalische Sonderzeichen vorhanden sind, ist wohl inzwischen Standard, ebenso diverse Klammern (Barre) und Linien (8va ..., rit ...), Arpeggi, Tremoli, Glissandi und artikulatorische Zeichen für Bläser und Streicher, Tasten- und Saiteninstrumente. Tabulaturen (Gitarre) und Generalbaßbezifferungen sind Anzeichen für anspruchsvollere Programme, auch an Fingersätze muß man in diesem Zusammenhang denken. Sind verschiedene ein- bis x-zeilige Notensysteme vorhanden, kann man auch zeitgenössischen Komponisten dienlich sein. Diverse Beschriftungen und zusätzlicher, erklärender Text sollten frei in den Notensatz integrierbar sein, praktischerweise auch frei in jeder Richtung (senkrecht, waagrecht, schräg, vielleicht auch weiß oder grau hinterlegt). Hinzufügung von Markierungen (Buchstaben und Zahlen im Kasten oder Kreis), Unterbrechung von Systemen für ein oder mehrere Takte (auch zum Texteinfügen) sind nützliche Werkzeuge („Tools“) sowohl bei Einzelstimmen als auch in Partituren. Nicht zuletzt sollten verschiedene Möglichkeiten der automatischen Taktzählung vorhanden sein. Fast ebenso wichtig wie der Notensatz selbst sind kleine Zusatzprogramme, die den täglichen Umgang mit den einzelnen Notendateien erleichtern, so bei automatischer Kontrolle der einzelnen Zählzeiten jedes Taktes, das Vergleichen und Zusammensetzen mehrerer Stimmen zu einer Partitur, wenn eine gründliche Überprüfung jeder Datei auf Fehleingaben möglich ist. Stimmen in andere Tonarten zu transportieren gehört zum Standard. Die Aufteilung von Mehrstimmigkeit eines Systems in zwei oder mehr neue Stimmen nach vorher festzulegenden Kriterien oder umgekehrt die Zusammenfassung von mehreren Stimmen/Dateien zu einer Direktionsstimme spart viel Arbeitszeit, ebenso die Übernahme des rhythmischen Gefüges einer Stimme in eine andere, etwa zur Erzeugung einer zweiten Bläserstimme und die Möglichkeit des nachträglichen Ergänzens von Fingersätzen. Der folgende Abschnitt ist naturgemäß einer der wichtigsten, nämlich der des Layout. Wie soll die Notenseite, egal ob einfache Stimme, Klaviersatz (der meist viel schwieriger ist, als man gemeinhin annimmt) oder Chor- und Orchesterpartitur aussehen? Dieser Bereich ist auch der komplexeste, hier spielt sich die eigentliche Arbeit ab, findet die eigentliche Herausforderung statt. Denn zuallererst das Aussehen der Seite entscheidet beim Verleger und natürlich beim Kunden über Gefallen und Nichtgefallen. Über den musikalischen Inhalt hat der Notensetzer nicht zu entscheiden. So globale Vorgaben wie Seitenmaße, Rastral- und Zeichengröße, Abstände und Fonts sind differenziert einstellbar. Bei komplexen Partituren aus dem symphonischen Bereich oder dem Musiktheater sind allerdings oft innerhalb einer Seite vielartigste Änderungen gefragt. Praktisch erweist sich die Möglichkeit der Editierung eigener Layouts als Standardlayoutdateien, die sich bei Bedarf anpassen lassen. Immer wieder müssen oft Änderungen nach Berechnung von Seiten eingefügt werden. Um sich den kompletten nochmaligen Rechenvorgang zu sparen, ist eine nachträgliche Korrektur in den Druck- und Grafikdateien sinnvoll. Die Vorraussetzung für solch aufwendige Darstellungen ist allerdings auch eine entsprechende Hardwareumgebung. Zu überlegen ist auch, ob wenigstens ein einfacher Sequenzer zur Verfügung steht und daß Standard-Mididateien erzeugbar sind. Eine Noteneingabe über Keyboard kann neben der Tastatureingabe von Fall zu Fall sinnvoller sein, wobei komplexe Vorlagen mit vielen Zusatzzeichen der Tastatur den Vorrang geben. Wie anfangs schon angedeutet, ging ich ganz unvoreingenommen an das Thema heran. Das Programmangebot reichte von einfacher Notendarstellung eines Laienmusikers an seinem Keyboard, das mit einem Computer verbunden ist, bis zur Software der oben genannten Ansprüche, die mehr für den (semi-)professionellen Anwender gedacht ist, wobei die Preise heute bei 30 Mark anfangen und bis zu mehreren tausend gehen. Man muß sich nach einer Phase des Sichinformierens darüber klar werden, was man machen möchte, dann sich die in Frage kommenden Programme aussuchen und ansehen, sich vorführen und erklären lassen und möglichst Probeversionen besorgen. Da ich damals von der Seite des ausübenden Profimusikers kam, hatte ich natürlich ganz bestimmte Vorstellungen, was machbar sein sollte. Nach einer über einjährigen Informationsphase, in der ich möglichst viel selbst ausprobiert hatte, entschied ich mich für das Notensatzprogramm der Firma amadeus in München, und erst danach für die Hardware und das Betriebssystem. Damals lief die Software noch auf der DOS-Ebene (ATARI). Heute ist die PC-Version Standard. Nicht zuletzt die persönliche Einführung und permanente Betreuung bei Fragen zum Programm gaben den Ausschlag, mich für amadeus zu entscheiden. Bei solch komplexen Programmen ist dies meiner Meinung nach von entscheidender Bedeutung. Der Aufwand an Einarbeitungs- und Arbeitszeit dafür ist einem Job gleichzusetzen, das sollte hier klar geworden sein. Aber im professionellen Bereich zählt letztendlich nur Qualität, und die wird sich schließlich schon aus ökonomischen Gründen durchsetzen auch bei Verlagen, die noch meinen, konventioneller Notensatz sei nicht Computersatz. Die Programmierer warten auf unsere Ansprüche.