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„Bei Oper will ich nicht warten“

Untertitel
Giordano Bruno do Nascimento motiviert in Weimar Studierende
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Der Abend beginnt mit gelassener und ruhiger Vertrautheit wie ein Festival unter Freunden. Im Weimarer Jugendzentrum Monami am Goetheplatz gegenüber dem Hotel Russischer Hof kennen fast alle die Rituale. Fast anachronistisch wirken die kleinen perforierten Eintrittskarten ohne Barcode.

Auch der Saal, an dessen Längsseiten durchgesessene Ledersofas den Produktionsmaskottchen vorbehalten bleiben, ist in die Jahre gekommen. Doch die dezente Schäbigkeit hat akustische Vorteile. Im Projektorchester der Hochschule für Musik Franz Liszt spielen hier 30 Musiker*innen inklusive Flügel und Celesta für maximal 120 Zuschauer. Dazu auf der Bühne drei Solistinnen, vor der Bühne ein vermummtes Madrigalensemble. Die Atmosphäre ist locker und, wie hier fast immer, etwas improvisiert. Spannung und Nervosität wirken bei weitem nicht so bohrend absolut, wie man sich das bei einer aufwändigen freien Produktion von Neuer Musik vorstellt. Der Komponist Giordano Bruno do Nascimento (geb. 1981) tritt mit milder Konzentration ans Dirigentenpult – und mit schwarzem Anzug, als handele es sich um einen Auftritt in der Elbphilharmonie. „Die Wahrheitsschwestern“ ist seine fünfte Oper für diese Location. Wie immer gab es eine siebenwöchige Probenphase, also von gleichem Zeitumfang wie für Stücke an Subventionstheatern. Besucher, die schon do Nascimentos Opern „Die schönere Wahrheit“ und „Global Players“ erlebt hatten, können eine künstlerische Linie mit Wiedererkennungseffekt feststellen. Themenkonzepte und Werkstrukturen von Nascimentos Opern ähneln sich, aber jede von ihnen hat individuelles Kolorit: Modellhafte und fast alptraumhafte Szenarien aus der nahen Zukunft erhalten am Veranstaltungsort angemessenes Low-Budget-Design.

Künstlerischer Mehrwert

Diese dekorativen Limits bewirken allerdings einen beträchtlichen künstlerischen Mehrwert. Auch in der Uraufführung „Die Wahrheitsschwestern“ am 25. Oktober schaffte es die junge  Regisseurin Eszter Johanna Barta, gerade aus dem visuell Unfertigen ein Bewegungsvokabular zu entwickeln, das die Orientierungslosigkeit der Figuren plausibel und beengend spiegelt. Auf der Ebene der subventionierten Musiktheater, mit einem Verlag und dessen Promotion-Initiativen im Hintergrund wäre der 38-jährige Brasilianer Nascimento wahrscheinlich schon eine Marke wie der in Weimar lebende Ludger Vollmer. Mit dem Komponisten der Opern „Lola rennt“ und „Tschick“ ist Nascimento befreundet. Eigentlich hätte er kollegialen Neid empfinden müssen über den Kompositionsauftrag des Deutschen Nationaltheaters an Vollmer zu der Oper „The Circle“ nach Dave Eggers‘ negativer Utopie. Tat er aber nicht. Denn anders als Vollmer, der gerne zeitrelevante Longseller vertont, holt Nascimento für seine Opernsujets allenfalls Ideensplitter aus der Belletristik, dem Kino oder realen Tagesereignissen. Lieber erfindet er mit seinen Textdichterinnen Lisa Astrid Mayer, die inzwischen Musikdramaturgin am DNT ist, und Amanda Lasker-Berlin wie bei der aktuellen Uraufführung „Die Wahrheitsschwestern“ seine Sujets selbst. Eine unverwechselbare künstlerische Handschrift hat do Nascimento dadurch, eine anhängliche Fangemeinde auch.

„Die schönere Wahrheit“ (2017) zeigte eine rundum optimierte und selbstoptimierte Sozialgemeinschaft, in der automatisches, weitgehend denkfreies Funktionieren als Vorbild für ideales Menschsein gilt. Die „Global Players“ (2018) sind Kandidaten und Personal einer  Quizsendung, deren Hauptgewinn jener Planet ist, von dem die Show auf die medialen Endgeräte im interstellaren Sendegebiet übertragen wird. Und in dem neuen Stück „Die Wahrheitsschwestern“ führen die Titelfiguren einen Handwerkstextilbetrieb, in dem sie wie die Nornen, Parzen oder Grazien der alten Mythologien Bilder und Botschaften auf von Hand produzierten Webstoffen unter die illusionssüchtigen, desinformierten Massen bringen. Meta, Etta und Verita, die Schwestern mit den sprechenden Namen, transformieren und publizieren wahllos News und Fake News, bis ihre balladenhafte Dreiergemeinschaft durch die nicht länger einzudämmenden Zweifel am eigenen fragwürdigen Tun zerbricht: „Und so blieben am Ende Chaos, Hoffnung, Liebe. Doch das Wahre ist das geringste unter ihnen.“ Und danach heißt es im Libretto archaisierend und bibelnah: „Denn die Liebe war das Vergängliche unter ihnen.“

Noch hat es keine von Nascimentos Opern auf eine sogenannte professionelle Bühne geschafft. Woran liegt das? Denn seine Musik in ihrer üppigen Instrumentation, ihrer Tendenz zu geschlossenen Perioden und einer „halb-tonalen“ Haltung mit spektralen und minimalistischen Strukturen hat gewinnende Substanz. Im Anspruch und ihrer affirmativen Haltung zum Publikum ähnelt sie sogar etwas der natürlich in weitaus größeren Orchesterdimensionen gedachten Tonsprache Ludger Vollmers. Spürbar ist aber sogar in den als durchlässig betrachteten Kulturstrukturen der Klassikerstadt Weimar die Mauer zwischen studentischen Kreativgemeinschaften und professionellen Einrichtungen. Mitarbeiter des nur 250 Meter vom Monami entfernten Deutschen Nationaltheaters sieht man nicht in der letzten Vorstellung der „Wahrheitsschwestern“ am 27. Oktober – möglicherweise auch, weil man dort fast zeitgleich „Tosca“ in großer Besetzung spielt.

Die Uraufführung von „Die Wahrheitsschwestern“ ist zugleich der praktische Teil der Diplomarbeit Nascimentos am Ende seines Kompositionsstudiums bei Reinhard Wolschina und Michael Obst an der Weimarer Hochschule für Musik Franz Liszt. Die Hochschule, deren Musiktheater-Produktionen sonst meistens im Schloss Belvedere stattfinden, fehlt allerdings auf dem Besetzungszettel, obwohl die Instrumente von dort kommen – und vor allem die hervorragenden Solistinnen (Julia Gromball, Fernanda de Araujo, Laura Cromm), die Mitglieder das Chorensembles, viele Musiker des Projektorchesters und der starke Stamm von Helfern dort studieren. Diese Produktion finden im beeindruckend pulsierenden Niemandsland zwischen den Weimarer Kulturinstitutionen statt.

Wellengänge

„Sonst bin ich sehr geduldig, aber bei der Oper will ich nicht warten.“ sagt Nascimento, der das Musiktheater für das ideale künstlerische Ausdrucksmittel über gegenwärtige Krisenherde und globale Fragestellungen hält. Inzwischen hat der studierte Historiker, der sich erst mit Mitte Zwanzig während eines Stipendiums in Venedig zur Musik und die für ihn abenteuerliche zweite Ausbildung in Europa entschieden, die Prüfungen bestanden. Mit seinem Diplom lebt er als Chorleiter, Dirigent und Komponist zu 100 Prozent von künstlerischen Tätigkeiten. Das betrachtet Nascimento in Kenntnis der Lebenswirklichkeiten von Kulturschaffenden als Privileg. Seine Opern-Projektschmiede im Weimarer Monami will er neben den Reisen zu sich häufenden Aufführungen seiner Werke in Korea und São Paulo sowie den mehrmonatigen Residenzen in Verbindung mit den Stipendium im Künstlerhaus Schreyahn/Niedersachsen und den ersten Preis des Sondershäuser Kompositionswettbewerbs/Thüringen nicht aufgeben. Ausgehend von Weimar verdichtet sich sein Netzwerk im mitteldeutschen Raum, zum Beispiel durch Konzerte des MDR.

Stimmige Balance

Im Monami stimmt die Balance der Uraufführung  „Die Wahrheitsschwestern“ auch, weil symphonische Gezeiten dort nicht opulent aufrauschen können. Die Wellengänge der mit großer Affinität für vokale Wirkungsmöglichkeiten und post-romantische Orchesterfarben ausgestatteten Musik von Giordano Bruno do Nascimento brechen sich an der Schmalspur-Ausstattung und ihrer einfachen Zeichenhaftigkeit. Die Nähe zwischen Publikum und Darstellern hat auch darin eine fast kabarettartige Intimität, welche die Sujets Nascimento allerdings nicht in ironische Distanz setzt. Gerade seine verschwenderisch ausgestellten Musikwogen und die poetische Überhöhung seiner pessimistischen Zukunftsszenarien machen die Leitungen subventionierter Bühnen gegenüber den Opern von Bruno do Nascimento skepisch. Seine Musik ist wie ein breiter leuchtender Strom, der stehende Situationen erst geduldig aushöhlt und dann überflutet. Ohne Geheimniskrämerei bleiben einige der Handlungskonstellationen, für die Regisseurin Eszter Johanna Barta in ihrer Anti-Einführung keine gewerbemäßigen Interpretationsfäden liefert, vorsätzlich unklar. Doch Nascimento denkt nicht daran, sich mit simplen Informationsportionen anzubiedern. Er fühlt sich in Weimar auch neben der Weimarhalle und dem DNT bestens. Das von ihm gegründete Alte- und Neue-Musik-Ensemble Camerata Temporalis wird dort am 18. Dezember 2019 unter seiner Leitung erstmals auftreten.

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