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Schwarz-Weiß-Bild: Das Gesicht eines Mannes in niedrigem mittleren Alter schräg von unten fotografiert. Er hat eine relativ lange aber schmale Nase und schaut stirnrunzelnd in die Ferne.

Udo Zimmermann um 1969. Foto: Erwin Döring

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„Die weiße Rose“

Untertitel
Wiederentdeckung von Udo Zimmermanns Opernerstling an der HfM Dresden
Vorspann / Teaser

Udo Zimmermann zählt zu den wichtigsten Komponisten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seine 1986 in Hamburg uraufgeführte Kammer­oper „Weiße Rose“ gilt als das meistgespielte zeitgenössische Musiktheaterwerk. Die Hochschule für Musik Dresden bringt nun deren Urfassung von 1967 erstmals seit der Uraufführung wieder auf die Bühne.

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Als der Dresdner Komponist, Dirigent und Intendant Udo Zimmermann im Oktober 2021 im Alter von 78 Jahren starb, ging eine Welle der Trauerbekundungen durch die deutsche Musik- und Kulturszene. Die breite Resonanz machte deutlich, welch vielfältige Spuren er im Lauf seines Lebens und Wirkens an Opernhäusern, kulturellen Institutionen und im Musikleben in Ost und West hinterlassen hat. Die Hochschule für Musik Dresden, der er jahrzehntelang eng verbunden war, würdigt ihn seit seinem Tod Jahr für Jahr mit einer von seiner Witwe Saskia gestifteten Udo-Zimmermann-Gastdozentur in der Fachrichtung Neue Musik, die mit Komposi­tionsunterricht, öffentlichen Workshops und Konzerten verbunden ist. Chaya Czernowin, Adriana Hölszky und Mathias Spahlinger waren die ersten renommierten Zimmermann-Gastdozentinnen und -dozenten; ihnen folgt im Januar 2025 der Siemens-Musikpreisträger Georges Aperghis. Den Studierenden auf diese Weise intensive Begegnungen mit international bedeutsamen Positionen der Gegenwartsmusik zu ermöglichen, ist ganz im Sinne von Udo Zimmermann. „Die Förderung zeitgenössischer Musik lag meinem Mann sehr am Herzen. Zeitlebens hat er sich auf vielfältige Weise für deren Aufführung und Vermittlung ebenso eingesetzt wie für die Förderung des musikalischen Nachwuchses. Deshalb freue ich mich sehr, dass die Hochschule für Musik Dresden sein Anliegen auf diese Weise weiterträgt“, so Saskia Zimmermann.

Von 1962 bis 1968 hatte Zimmermann einst selbst an der Hochschule für Musik Dresden Komposition, Dirigieren und Gesang studiert. Ab 1976 lehrte er hier als Dozent für Komposition, 1978 wurde er zum Professor berufen. Zu seinen Schülerinnen und Schülern gehörten unter anderem Annette Schlünz, René Hirschfeld und Jan Trieder. „Wir sind sehr dankbar für seine Lehrtätigkeit bei uns im Hause. Und es ist höchst erfreulich, dass er auch noch danach, als Intendant des Europäischen Zentrums der Künste Hellerau und als Präsident der Sächsischen Akademie der Künste, bei unzähligen Projekten mit uns kooperiert hat“, so Prof. Dr. Jörn Peter Hiekel, Leiter des Instituts für Neue Musik, der die Projekte der Zimmermann-Gastdozentur entwickelt. „Gerade Udo hat den großen Stellenwert der zeitgenössischen Musik im Kontext unserer Hochschule stets hervorgehoben. Die Gastdozentur ermöglicht mithin eine wunderbare Kontinuität.“ 

Als Komponist war Zimmermann vor allem ein Mann des Musiktheaters. „Alle meine (...) kompositorischen Arbeiten kommen vom Theater her und gehen wiederum auf das Theater zu, sind ohne Theater eigentlich undenkbar“, brachte er es 1983 in einem Interview der „Sächsischen Zeitung“ auf den Punkt. Mit seinen großen, in den 1970er bis 1990er Jahren vielgespielten Opernwerken „Levins Mühle“ nach Johannes Bobrowski (1973), „Der Schuhu und die fliegende Prinzessin“ nach Peter Hacks (1976) und „Die wundersame Schustersfrau“ nach Federico Garcia Lorca (1982) widmete er sich humanistischen Themen wie Antisemitismus, Friedenssehnsucht und weibliche Selbstbestimmung, die bis heute nichts von ihrer Aktualität verloren haben. Sein letztes Bühnenwerk, die Kammeroper „Weiße Rose“ (1986) genießt bis heute eine ungebrochene internationale Anerkennung. Mit über 250 Produktionen seit ihrer Uraufführung ist sie eines der meistgespielten neueren Musiktheaterwerke. 

Über dieser Erfolgsgeschichte in Vergessenheit geraten ist jenes erste Bühnenwerk, welches zwanzig Jahre zuvor aus Zimmermanns erster Beschäftigung mit dem Stoff hervorgegangen ist und den Beginn seiner Laufbahn als Opernkomponist markiert. Denn bereits 1967 hatte der damals 23-jährige Student an der Dresdner Musikhochschule mit „Die weiße Rose - Ein Stück für das Musiktheater“ seine Diplomarbeit vorgelegt. Bestehend aus sechs Bildern, verlangt es ein mittelgroßes Orchester und ein elfköpfiges Solistenensemble. Stoffidee und Libretto stammten von Zimmermanns Bruder Ingo. Das am 17. Juni 1967 im Rahmen der DDR-Arbeiterfestspiele im Kleinen Haus der Dresdner Staatstheater durch Studierende der Hochschule für Musik Dresden uraufgeführte Werk war ein Sensationserfolg. „Dieser Erfolg ist umso erstaunlicher, als sich die Dresdner Urfassung von 1967 geradezu provokant der in der DDR gängigen Zeichnung des antifaschistischen Widerstands verweigert. Das Aufbegehren der Weiße-Rose-Mitglieder speist sich in der Oper allein aus einem bürgerlichen Humanismus. Klassenkämpferische Motive – die es historisch sogar gab – werden mit keinem Wort erwähnt. In dieser humanistischen Tradition, gepaart mit einem christlichen Wertefundament, standen auch die Zimmermann-Brüder“, betont Musikwissenschaftler Dr. Wolfgang Mende, der die Produktion dramaturgisch begleitet. Mit Blick auf die politischen Angriffsflächen wurde „Die weiße Rose“ 1968 von Zimmermann überarbeitet und um etliche Szenen erweitert. In dieser Form erlebte sie zwischen 1968 und 1979 eine Reihe von Aufführungen auf mittleren Bühnen der DDR.

Dass sich ein blutjunger Komponist gut 20 Jahre nach Kriegsende vor dem Hintergrund einer in der DDR eher tendenziös betriebenen Aufarbeitung der NS-Geschichte diesem brisanten Stoff zuwandte, machte sicher einen Teil des Erfolges aus. Doch auch dramaturgisch und musikalisch erregte das Werk große Aufmerksamkeit, stellte es doch den gewagten Versuch dar, einen zeitaktuellen Stoff geradezu dokumentarisch auf die Opernbühne zu bringen, und dies mit für die damalige Zeit durchaus avantgardistischen musikalischen Mitteln und einer Handschrift von dramatischer Intensität und Klangfarbenvielfalt, wie sie dann auch für Zimmermanns spätere Werke prägend wurde.

Mitte der 1980er Jahre wandte sich Udo Zimmermann im Auftrag der Hamburgischen Staatsoper dem Stoff noch einmal zu und schuf auf ein Libretto des damaligen Hamburger Dramaturgen Wolfgang Willaschek eine völlig neue Oper, die musikalisch mit der Urfassung lediglich fünf Takte gemein hat, beschränkt auf zwei Sänger und 15 Instrumentalisten, abstrahiert vom historischen Geschehen und konzentriert auf eine „innere Handlung“ aus Gedanken, Gefühlen und Erinnerungen zweier junger Widerstandskämpfer unmittelbar vor ihrer Hinrichtung durch ein menschenverachtendes Regime: ein eindringliches, packendes Stück Musiktheater. 

Die wechselvolle Geschichte von Udo Zimmermanns über zwei Jahrzehnte immer wieder neuer Beschäftigung mit dem „Weiße Rose“-Stoff beleuchtet eine umfangreiche dokumentarische Biographie, die Saskia Zimmermann nach dem Tod ihres Mannes zusammen mit dem Dresdner Musikwissenschaftler Prof. Dr. Matthias Herrmann herausgegeben hat und die unter dem Titel „Ich bin ein Theatermensch. Udo Zimmermann – Erinnerungen und Dokumente“ im März 2024 bei Breitkopf & Härtel erschienen ist. 

Die Partitur und das komplette Aufführungsmaterial der Urfassung von „Die weiße Rose“ wurden kürzlich im Archiv der Dresdner Musikhochschule wiederentdeckt. Im April 2025 – 80 Jahre nach Kriegsende – wird das Werk nun erstmals wieder aufgeführt, und zwar, wie bei der Uraufführung 58 Jahre zuvor, von der Opernklasse und dem Hochschulorchester der Hochschule für Musik Dresden im Kleinen Haus des Staatsschauspiels Dresden. „Wir wollen ein Zeichen der Erinnerung an das unermessliche Leid setzen, das im Nationalsozialismus dem jüdischen Volk sowie Andersdenkenden und all denen, die als lebensunwert diffamiert wurden, zugefügt worden ist“, erläutert die Regisseurin und Leiterin der Opernklasse, Prof. Susanne Knapp.

„Das Werk war in dieser Form seit seiner Uraufführung nicht mehr auf der Bühne zu sehen und erlebt somit eine überfällige Wiederentdeckung“, so der Dirigent und musikalische Leiter der Produktion Prof. Franz Brochhagen. Das Besondere dabei: „In dem Stück sind eigentlich nur sieben Solistinnen und Solisten vorgesehen. Wir werden aber auch einen Opernchor auftreten lassen, für den die südkoreanische Kompositionsstudentin Jiyoung Yoo auf Basis von Original-Flugblättern und Schriftsätzen der Widerstandsbewegung Musik schreiben wird“, so Knapp. Dies dürfte ganz im Sinne von Udo Zimmermann sein.

In meiner ersten Oper, einer Oper über den christlichen Widerstandskampf der Geschwister Sophie und Hans Scholl, München 1943, habe ich versucht, für mich psychisch und physisch erfahrbar zu machen, was es heißt, „nein“ zu sagen, „nein“ zu sagen in einer Welt voller Lügen, voller Intoleranz, voller Opportunismus.

Udo Zimmermann 1991 in Die Welt vom 8. Februar 1992

Veranstaltungsinformationen

Udo Zimmermann: Die weiße Rose (1967)
Jahresproduktion der Opernklasse 2025 
Koproduktion der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden, der Hochschule für Bildende Künste Dresden und des Staatsschauspiels Dresden 
Premieren:

  • 12.04.25, 19:30 Uhr
  • 13.04.25, 19:00 Uhr

Weitere Vorstellungen:

  • 17.04.25, 19:30 Uhr
  • 25.04.25, 19:30 Uhr
  • 29.04.25, 11:00 Uhr
  • 09.05.25, 19:30 Uhr
  • 12.05.25, 11:00 Uhr
  • 22.05.25, 19:30 Uhr
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