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„Eigentlich fließt Schubert immer“

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Hinter den Kulissen der Düsseldorfer Dirigierklasse
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Mit Julio García Vico hat zum zweiten Mal ein Student der Robert Schumann Hochschule im Herbst den Deutschen Dirigentenpreis gewonnen. Warum ist die Dirigierklasse von Prof. Rüdiger Bohn so erfolgreich? Der Musikkritiker Armin Kaumanns hat kurz vor dem Wettbewerb einen Blick hinter die Kulissen geworfen.

Sie sehen gar nicht herrschsüchtig aus, die jungen Leute, die wie an der Schnur gezogen in einem Vorspielraum der Robert Schumann Hochschule (RSH) mit dem Rücken zur Wand sitzen. Im Gegenteil. Irgendwie andächtig, auf jeden Fall ziemlich konzentriert wirken diese Männer, die in sommerlich legerer Kleidung in ihre Taschenpartituren schauen. Dabei steht ihr Sinn doch nach Befehlen, Ansagen, Autorität ausstrahlen, oder? Sie wollen schließlich Dirigent werden.

Bis zu dreimal in der Woche versammelt Professor Rüdiger Bohn seine Klasse in dem Schlauch von Raum, an dessen beiden Kopfenden, rund acht Meter auseinander, zwei Flügel von je zwei Studierenden bedient werden. In deren Mitte befindet sich der Ort, an dem es ernst wird. Das Podest. Eine Stufe über den anderen steht der Kandidat und macht, was Dirigenten so machen. Er rudert mit den Armen durch die Luft, in einer Hand den Taktstock, in der anderen nichts.

Und es ward … – Schubert zum Beispiel. Jedenfalls versuchsweise. Die Tragische. Aber der Einsatz klappert, Streicher (Klavier rechts, zu laut) und Bläser (links, zu spät) haben offenbar den Impuls, den der Mann am Taktstock im Sinn hatte, nicht synchron aufgefasst. Was augenblicklich den Lehrer auf den Plan ruft. Das „Orchester“ schweigt, der Kandidat geht in sich und seine Kommilitonen sehen sich mit der Frage konfrontiert, woran es denn lag, dass der Gedanke im Kopf (und im Herzen) des angehenden Orchesterleiters nicht wie gewünscht den Weg in die Hände der Pianisten fand. „Denken Sie darüber nach, wo im Raum das Ganze geschieht“, rät der Lehrer dem Schüler. Und als er dann selbst wie nebenbei ausholt und mit einigen ziemlich unprätentiösen Bewegungen der Hände die Leere vor sich durchteilt, liegt Schubert in der Luft.

Acht Männer aus acht Nationen, zwei Frauen und eine Gasthörerin aus drei weiteren Nationen besuchen zurzeit die Dirigierklasse an der RSH. Leute zwischen 20 und 35, sie stammen aus Deutschland, Frankreich, Spanien, Armenien, Polen, Georgien, Aserbaidschan, Korea und Amerika, Argentinien, Chile. Die meisten befinden sich im Bachelor-Studiengang, der acht Semester dauert und an den sich, nach Wunsch und Eignung ein zweijähriger Master anschließt. Im Studium nimmt der Dirigierunterricht (einzeln, in Gruppen, mit Ensembles, Hospitationen) naturgemäß einen großen Raum ein. Mindestens gleichgewichtig, was den Zeitaufwand angeht, ist aber sowohl der Klavierunterricht wie auch der Anteil an Musiktheorie, -wissenschaft und später Konzertpädagogik. Zur Zulassung zum Masterstudium muss ein 20-minütiges Video vorliegen.

Fast alle kommen unter

„Eigentlich fließt Schubert immer.“ Bohn wirft diesen imposanten Satz ziemlich unbetont in den Raum. Dabei weist die Aussage auf die Eigentümlichkeit des Komponisten. Zugleich fordert sie eine besondere Art des dirigierenden Vermittelns. „Ihr Auftakt hat zwei Bewegungen, reduzieren Sie das“, schlägt er vor und fügt noch an: „Denken Sie an die Taktpaare, schwingen Sie zurück beim Auftakt. Und vergewissern Sie sich, welche Hand die Energie führt.“ „Auf dem Podest bist du ziemlich nackt, das ist ganz schön kribbelig bei den ersten Versuchen. Aber nach ein paar Wochen ist das Unwohlsein weg.“
In der einzigen Pause eines langen Vormittags kreisen die Gespräche der Studierenden um Praktisches. Und Perspektiven. Eine junge Frau, die in der Klasse Bohn hospitiert, wird im Herbst in Düsseldorf anfangen. Für sie ist das Dirigieren inzwischen so selbstverständlich, dass sie sich über die Eigenheiten weiblichen Musikvermittelns keine Gedanken mehr macht. Gleichwohl wird sie auch an der RSH eine Ausnahme bleiben im männlich dominierten Geschäft.
„Sie kommen fast alle unter“, benennt Rüdiger Bohn die guten beruflichen Aussichten aller Studierenden der Klasse Orchesterleitung, wie die Studienrichtung in Abgrenzung zur Chorleitung heißt. Nur wenige hätten nach dem Studium einen anderen Weg eingeschlagen. Bohn muss es wissen. Er leitet seit 13 Jahren die Dirigierklasse, jedes Jahr wird rund eine Handvoll seiner Schüler fertig. Typisch ist dann ein Einstieg über den Beruf des Korrepetitors an einem Opernhaus, der nach einigen Lehrjahren Dirigierverpflichtungen mit sich bringt. Denn nicht nur handwerkliches Können, Aura, pädagogisches und kommunikatives Gespür sind Kernkompetenzen eines Dirigenten. Vor allem Erfahrung ist wesentlich. Dazu stehen an der Hochschule regelmäßig Praktika mit dem Hochschulorchester, größeren Kammermusikbesetzungen und Profiorchestern auf dem Lehrplan – das Modul Ensemblepraxis nimmt immerhin 7 bis 9 Semesterwochenstunden ein. Und natürlich die künstlerischen Auftritte, bei denen es spätestens bei der Bachelor-Prüfung Ernst wird.

Für die eigene Karriereplanung zahlt sich natürlich ein Preis bei einem Wettbewerb aus. Das ist bei Dirigenten nicht anders. Julio Garcia-Vico, 27-jähriger Spanier, hat sich zum Deutschen Dirigentenpreis angemeldet. Den hatte beim letzten Mal Bohns Student Hossein Pishkar gewonnen. Vor der Klasse dirigiert Julio heute die Pastorale. Er macht das mit Ernst, Schwung, Charisma. Und muss sich trotzdem Sätze wie diese anhören: „Sie entspannen an der falschen Stelle.“ Oder „Julio, das ist keine romantische Musik.“ Bohn fordert: „Ihr müsst motivisch denken.“ Behauptet: „Beethovens Tempoangaben sind immer die besten, da könnt ihr nichts machen.“ – Es herrscht emsige Arbeitsatmosphäre in jedem Winkel des Raums: Die Pianisten mühen sich mit vertracktem Partiturspiel ab, die anderen Kollegen sind halb Ohr, halb Auge, fiebern mit. Bohn zitiert Adorno, empfiehlt Carlos Kleiber, gibt die späten Streichquartette als Hausaufgabe auf. Lässt „trocken“ dirigieren. Und erntet allgemeine Heiterkeit bei einem Schuhplattler-Vergleich. Herrscher gibt‘s hier nicht.

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