Hauptbild
Vorzeigeprojekt in der Mainzer Gesangsausbildung: Glucks „La Semiramide Ricono­sciuta“ in einer Produktion des Jungen Ensembles. Foto: M. Pipprich
Vorzeigeprojekt in der Mainzer Gesangsausbildung: Glucks „La Semiramide Ricono­sciuta“ in einer Produktion des Jungen Ensembles. Foto: M. Pipprich
Banner Full-Size

Hinter der Zugbrücke spürt man den Aufbruch

Untertitel
Die Hochschule für Musik der Johannes Gutenberg Universität Mainz in neuem Gebäude · Von Andreas Hauff
Publikationsdatum
Body

Über Architektur lässt sich streiten. Für das Mainzer Universitätsgelände gilt dies besonders. Einzelne Gebäude wirken bewusst gestaltet, doch der Campus als Ganzes wuchert eher vor sich hin. Auch der im November 2008 eingeweihte Neubau der Hochschule für Musik der Johannes Gutenberg Universität hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Ein einladender Innenhof öffnet sich zum belebten Johann-Welder-Weg und präsentiert offen hinter Glas Foyer und Treppenhaus des zum Wintersemester eingeweihten Gebäudes. Doch wer hier den Zugang sucht, wird per Aushang um die Ecke verwiesen. Dort findet er den eigentlichen Eingang: Schmal, wie eine Zugbrücke über einen Graben führend. Öffnet sich das Haus zur Universität oder schließt es sich ab? Aus der Luft erkennt man die architektonische Korrespondenz zu den Innenhöfen des benachbarten Philosophicums – doch welcher Besucher reist schon per Hubschrauber an?

Verwirrend wie die Architektur präsentiert sich die Geschichte der Mainzer Musikhochschule. Sie geht nicht etwa zurück auf das Mainzer Peter-Cornelius-Konservatorium, das in der Weimarer Republik kurzfristig den Status einer Musikhochschule erlangte und ihn unter den Nazis wieder verlor, sondern auf die Wiedergründung der Mainzer Universität durch die französische Besatzungsmacht im Jahr 1946. Prof. Arnold Schmitz, Ordinarius des neu gegründeten Instituts für Musikwissenschaft, regte damals eine künstlerisch-wissenschaftliche Schulmusik-Ausbildung nach dem Modell der Kestenberg-Reform an und gab damit den Anstoß zur Gründung des „Staatlichen Instituts für Musik“ im Jahr 1948.

Bis 1954 war dieses lange Zeit von Ernst Laaff, später von Georg Toussaint geleitete Institut im Hauptgebäude der Universität, einem umgenutzten Kasernengebäude am Mainzer Stadtrand, untergebracht. 1954 konnte es in ein eigenes Haus umsiedeln, eine umgebaute ehemalige Teppichfabrik am Binger Schlag zwischen Campus und Hauptbahnhof, deren klassizistisches Eingangsportal mehr universitäre Würde ausstrahlte als ein Großteil der später errichteten Campus-Gebäude. Bis in die 80er-Jahre hinein erlebten die Studierenden hier das Privileg einer künstlerisch-pädagogischen Ausbildung im überschaubaren, sehr persönlichen Rahmen. Während in den ersten beiden Geschossen und im Keller studiert und geübt wurde, befand sich im dritten und vierten Obergeschoss das den Musikern vorbehaltene Studentenwohnheim. Studium und Studentenleben durchdrangen sich, die „Einzelhaft am Klavier“ wurde kaum je zum Dauerzustand, und zum wöchentlichen Stammtisch traf man sich gegenüber in der Eisenbahnerkneipe „Zum Binger Schlag“. Lange bildeten Mainzer Absolventen aus dieser Zeit ein stabiles Netzwerk. Das Lehrangebot umfasste inzwischen neben den Lehramtstudiengängen für Gymnasien und Realschule auch die Ausbildung von Musikschullehrern (Privatmusik) und katholischen Kirchenmusikern (A und B).

1973 wurde das „Staatliche Hochschulinstitut für Musik“ als „Fachbereich Musikerziehung“ in die Universität eingegliedert. Schon damals regte sich Widerstand, und ebenso entstanden erste Pläne für einen Neubau auf dem Universitätscampus. Es galt nicht nur, die Integration des Institutes zu befördern, sondern auch die spürbare Raumnot im Haus zu lindern und die unfreundlichen akustischen Verhältnisse in schlecht isolierten Räumen an der vielbefahrenen Binger Straße abzulösen. Doch während das Studienangebot unter dem langjährigen und weitsichtigen Fachbereichsdekan Prof. Eduard Wollitz (1985–1995) um künstlerische Studiengänge ausgeweitet wurde, spitzten sich die räumlichen Verhältnisse zu. Zwar musste das in die Jahre gekommene Wohnheim zugunsten von Unterrichts- und Verwaltungsräumen weichen, doch wenig später stellten sich gravierende statische Probleme heraus: Zuerst wurde die Bibliothek ausgelagert, dann wurden Konzertsaal und Orgelsaal für den Publikumsverkehr geschlossen. Der 1989 fertig projektierte Neubau aber rückte durch die Folgekosten der deutschen Einheit in unerreichbare Ferne.

Es dauerte noch einmal 15 Jahre, bis im Oktober 2006 der Grundstein für das neue Haus gelegt werden konnte. Doch schon 2003 ermöglichte das neue rheinland-pfälzische Hochschulgesetz dem damaligen „Fachbereich Musik“ eine weitreichende Teilautonomie innerhalb der Universität. Seit 2004 bilden die „Hochschule für Musik“ und die „Akademie für bildende Künste“, beide mit einem eigenen Rektor an der Spitze, den neuen Fachbereich 11 der Universität. Prof. Jürgen Blume, 2001 erstmals zum Dekan gewählt und inzwischen Rektor, entpuppt sich als engagierter Verfechter dieser Struktur. Sein Haus hat ein eigenes Budget und die Zuständigkeit in Personalentscheidungen, kann aber zugleich auf die universitäre Verwaltung zurückgreifen. Die Kooperation mit anderen Fächern wird erleichtert; das Institut für Musikwissenschaft etwa, das nach wie vor die Schulmusiker mit ausbildet, liegt nebenan im Philosophicum. Viel stärker als im Altbau sei der universitäre Lehrkörper in den Konzertveranstaltungen vertreten, berichtet Blume. Auch Pressereferentin Kristina Pfarr weiß aus vielen Gesprächen, dass die Musikstudierenden mit ihren Instrumenten auf dem Campus deutlich wahrgenommen werden. Verärgert zeigen sich Rektor Blume und seine Stellvertreterin Prof. Claudia Eder von der beständigen Weigerung der Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen, dem Mainzer Institut die Mitgliedschaft zuzuerkennen, obwohl es unterhalb der offiziellen Ebene vielfache fruchtbare Kontakte gebe. Dabei sei die Mainzer Musikhochschule fachlich gut aufgestellt. Die zum Wintersemester 2008/09 erschienene Hochschulbroschüre zählt sieben Bachelor- und zwölf Masterstudiengänge auf, dazu das Konzertexamen in verschiedenen Instrumentalfächern und Gesang sowie eine Vorklasse für herausragend begabte Jugendliche.

Mit dem „Jungen Ensemble“, einem Gemeinschaftsprojekt der profilierten Gesangsabteilung unter Prof. Eder mit dem Peter-Cornelius-Konservatorium und dem Mainzer Staatstheaters, besitzt die Mainzer Hochschule schon seit 2001 ein ausgesprochenes Vorzeigeprojekt für die Opern-Ausbildung. Im Jahr 2008 bestritt das Junge Ensemble auf hohem Niveau die Uraufführung von Violeta Dinescus Kinderoper „Die versunkene Stadt“ und die erste Inszenierung von Christoph Willibald Glucks Oper „La Semiramide Riconusciuta“ seit der Wiener Uraufführung 1748. Seit 2007 gibt es auch das „Junge Ensemble Philharmonie“ als Kooperationsprojekt mit dem Philharmonischen Staatsorchester Mainz. „Unisono“, die Veranstaltungsreihe zur Eröffnung des neuen Hauses, lässt weitere künstlerische Schwerpunkte erkennen. Und auch die Schulmusikabteilung unter Prof. Ludwig Striegel leistet mit dem Schwerpunkt „Klassenmusizieren“ inzwischen wieder pädagogische Pionierarbeit. Seit 2007 besteht Promotionsrecht in den Fächern Musiktheorie und Musikpädagogik.

Die Einbindung einer Musikhochschule in eine Universität ist zwar singulär, doch die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass hinter vielen Eigenwilligkeiten der rheinland-pfälzischen Bildungspolitik ein behutsamerer Umgang mit Menschen und Strukturen steckt als ihn andere Bundesländer an den Tag legen – sei es der Verzicht auf das Zentralabitur, der sorgsam geplante Ausbau der Ganztagsschule oder der Erhalt der Musikschulabteilung am städtischen Peter-Cornelius-Konservatorium, der auch den Studierenden der kooperierenden Musikhochschule den instrumentalpädagogischen Praxisschock nach der Ausbildung erspart. Ein wenig mehr Offenheit gegenüber dem Mainzer Modell stünde der Rektorenkonferenz da gut zu Gesicht.

Mit dem Neubau indessen zeigt sich das Führungsteam der Hochschule sehr zufrieden. Tatsächlich scheint, von einigen Details abgesehen, der Bau funktional gut durchdacht: Der Innenhof ist flankiert von zwei Flügeln: einem „Leise“-Trakt für Tonstudio, Hörlabor, Bibliothek, Seminarräume und Verwaltung, einem „Laut“-Trakt für Unterrichts- und Übräume sowie einen zweigeschossigen Orgelsaal mit Kirchenakustik. An der Stirnseite befindet sich der „Rote Saal“, ein Konzertsaal mit 220 Plätzen, die „Black Box“ genannte Studiobühne und drei weitere Ensembleräume. Die Option für einen Erweiterungsbau Richtung Philosophicum mit einem großen Konzertsaal und weiteren Räumlichkeiten ist offen gehalten.

Atmosphärisch freilich zeigen sich noch gravierende Mängel: Kahle Flure und Treppenhäuser ohne Bilder und Pflanzen, magere Beschilderung, fehlende Sitzgelegenheiten außerhalb geschlossener Räume, keine Bewirtungsmöglichkeiten für Pausen – jeder Behördenflur und jede Arztpraxis verbreiten heute mehr Freundlichkeit. Rektor Blume klagt, die feuerpolizeilichen Auflagen seien höchst rigide. Aber hätten dies Architekt Thomas Seyler und Projektleiterin Gudrun Biesenbach vom zuständigen Landesbetrieb Liegenschafts- und Baubetreuung nicht vorhersehen können?

Doch noch stehen nicht die prinzipiell behebbaren Mängel im Vordergrund, sondern die Erleichterung über den Umzug. Lebhaft gestaltet sich der Rundgang durchs Gebäude mit der Pressreferentin: In der „Black Box“ wird gerade die Lichtanlage eingerichtet. An die Techniker geht die Unglücksmeldung, die eingetroffene Hebebühne sei zu groß für den Aufzug. Prorektorin Prof. Eder wünscht sich ein attraktiveres Plakat für die Veranstaltungen des interdisziplinären Uni-Arbeitskreis „Drama und Theater“. Von ihrem Gespräch mit dem Südwestrundfunk berichtet die Regisseurin des Puccini-Einakters „Gianni Schicchi“. Eine junge Dame fragt nach dem Weg zum Kammermusiksaal. Schließlich endet der Weg am Orgelsaal: Die neue Orgel der Firma Goll aus Luzern kommt erst 2010 – dafür aber in Verbindung mit einem internationalen Orgelwettbewerb. Inmitten aller Provisorien spürt man den Aufbruch.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!