Lunow-Stolzenhagen - In Manufakturen entstehen therapeutische Klanginstrumente, die jeder spielen kann - ganz ohne Noten. Die Nachfrage ist groß, denn Musiktherapie boomt. Auch an der Universität lässt sich lernen, wie man mit Klängen die Seele streichelt.
Götz Rausch hockt sich in seiner Werkstatt in Lunow-Stolzenhagen (Barnim) auf einem runden Kniekissen am Boden und streicht mit einer Hand leicht über die Saiten eines rechteckigen hölzernen Kastens, der vor ihm auf vier Beinen steht. Sofort ertönt ein beruhigendes, vibrierendes Summen im Obertonbereich. Mit der anderen Hand fährt der Instrumentenbauer unter den Kasten und entlockt ihm leicht schnarrende Töne. «Das ist ein Kotamo, eine Mischung aus drei verschiedenen Instrumenten», erklärt der 49-Jährige.
Rausch braucht keinerlei Noten, um seinem Kombi-Instrument wohltuende Klänge zu entlocken. «Das ist eben das Tolle an therapeutischen Musikinstrumenten. Du kannst sie spielen, ohne dafür lange Unterricht nehmen, und schaffst damit einen Zugang zur Seele.» Deshalb, so sagt er, seien diese hölzernen Klangwunder so vielseitig einsetzbar - in der Musiktherapie, beispielsweise an Kliniken, in Kindereinrichtungen, Musikschulen, in Psycho- oder Physiotherapie-Praxen.
Insgesamt 20 unterschiedliche Instrumente baut Rausch seit fünf Jahren in der Werkstatt am nordöstlichen Rand des Barnim. Gelernt hat der gebürtige Hamburger sein Handwerk vor 25 Jahren in Berlin. «Mein Lehrmeister war damals einer der wenigen, der sich auf das Anfertigen von Therapieinstrumenten verstand.» Inzwischen, so schätzt Rausch, gebe es deutschlandweit etwa 20 dieser Spezialisten. Wohl auch deshalb, weil die Wirkung von Musiktherapie mittlerweile gut erforscht sei und immer mehr Klangtherapeuten ausgebildet würden.
So gibt es an der Berliner Universität der Künste (UdK) einen eigenen Master-Studiengang Musiktherapie über sechs Semester, wie Leiterin und Professorin Susanne Bauer berichtet. 14 Studienplätze gibt es pro Jahr, derzeit studieren 42 angehende Musiktherapeutinnen und -therapeuten an der UdK.
Nach Angaben der Deutschen Musiktherapeutischen Gesellschaft wird Musiktherapie deutschlandweit an sieben Hochschulstandorten gelehrt. «Da der Beruf des Musiktherapeuten derzeit in Deutschland noch nicht geregelt ist, und es daher leider auch unseriöse Anbieter am Markt gibt, hat die Bundesarbeitsgemeinschaft Musiktherapie ein eigenes Zertifizierungsverfahren eingeführt», sagt Geschäftsführerin Judith Brunk. Musiktherapie sei eine praxisorientierte Wissenschaftsdisziplin, die in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, der Heilpädagogik oder in der Arbeit mit Demenzkranken angewendet werde.
Auf einer Klangliege können Menschen bei Musiktherapien die erzeugten Töne durch Vibration direkt über den Körper aufnehmen. Das funktioniere auch beim Monochord, das auf den Bauch gelegt werde, wo der Mensch sehr sensible Rezeptoren habe, erläutert der Berliner Psychotherapeut Gerhard Tuschy.
«Die Vibration führt zu einem wahrlich beglückenden Erlebnis. Monocord-Klänge haben eine ausgesprochen harmonisierende Wirkung, können zu einer Verbesserung des Lebensgrundgefühls führen», so Tuschy, der in seiner Praxis seit 30 Jahren mit Klängen arbeitet. «Das Hören hat mehr Bedeutung, als uns bewusst ist. Das beginnt schon im Mutterleib. Die Erfahrung wird im Körpergedächtnis gespeichert.»
Rausch verkauft seine Instrumente in die ganze Welt. «Das Interesse ist sehr groß, wir kommen kaum hinterher.» Zum Team seiner Manufaktur gehören eine Klavierbauerin und ein Tontechniker. Expandieren möchte Rausch trotz der großen Nachfrage nicht. «Das macht einen auch nicht glücklicher. Ich bin zufrieden, so wie es ist», meint der 49-Jährige, der lange Zeit in Mecklenburg gelebt hat, sich inzwischen aber im Oder-Vorland von Lunow-Stolzenhagen angekommen fühlt.
Gemeinsam mit 40 anderen Genossenschaftlern lebt er auf dem ehemaligen Gut des Ortes, der inzwischen zu einem Ort von Kreativen und Künstlern geworden ist. «Das Schöne und Besondere für mich ist, dass die Zuzügler sich nicht gegenüber den Dorfbewohnern abgrenzen. In der Freiwilligen Feuerwehr beispielsweise, da machen wir halt alle mit», erzählt Rausch.
Rauschs Instrumentenbau in Handarbeit erfordert Zeit, unzählige Arbeitsschritte und ausgewählte «Zutaten»: «Der wichtigste Bestandteil sind die hölzernen Decken, über die die Saiten gespannt werden. Das Holz dafür stammt von Bergfichten aus der Schweiz - sehr leicht und mit einem wunderbaren Klang», erklärt der Fachmann. Alle großen Instrumentenbauer der vergangenen Jahrhunderte hätten dieses besondere Holz verwendet - ob nun für Geige, Klavier oder Gitarre. «Bei den Hölzern für die Rahmen geht es um Optik und Gewicht, da verwende ich heimische Erle, aber auch Ahorn oder Buche.» Rausch bedauert, dass immer weniger Jugendliche sein Handwerk erlernen wollen. «Bei mir hat noch niemand nach einer Ausbildung nachgefragt.»
Ohne Musik geht es für Rausch in seinem Leben nicht. Er ist auch Gitarrist, spielt frei, ohne Noten, tourt mit seiner Band. «Mein Ansatz ist es, den Zugang zur Musik jedem zu ermöglichen - auch ohne erst ein Instrument zu erlernen. Der Klang macht die Musik, eine Sinneserfahrung, die eigentlich jeder erleben kann.»