Das Netzwerk Amadé, eine Kooperation zur musikalischen Frühförderung der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Mannheim mit 37 Musikschulen aus der Rhein-Neckar-Region, feiert in diesem Jahr sein 15-jähriges Bestehen. Anfang November lud das Netzwerk zum Symposion „Talente entdecken – Begabung fördern“ sowie zu einem feierlichen Jubiläumskonzert mit Amadé-Schülerinnen und -Schülern ein. Außerdem fand in diesem Rahmen auch das vierte Treffen der deutschen Frühförderinstitute in Mannheim statt.
Die offene Runde aus Hochschulen mit Frühförderprogrammen, Musikschulen und Musikgymnasien hatte das Thema „Musikhochschule – Musikschule: Erwartungen aneinander“ in den Mittelpunkt gestellt. Nach einer Keynote des VdM-Vorsitzenden in Baden-Württemberg, Friedrich-Koh Dolge, diskutierte die Runde über Konkurrenzdenken und bestehende und mögliche Kooperationen der Institutionen. Einig waren sich alle darüber, den Status und das Image des Berufs Musikschullehrer verbessern zu wollen, um wieder mehr qualifizierte Lehrkräfte für die Frühförderung zu gewinnen. Das Symposion zum Jubiläum des Netzwerk Amadé nahm stattdessen einen allgemeineren Blick auf die musikalische Frühförderung. In seiner Begrüßung hob der Präsident der Mannheimer Musikhochschule, Prof. Rudolf Meister, die langjährige erfolgreiche Kooperation seiner Hochschule mit den umliegenden Musikschulen hervor. Diese habe bereits vor über 30 Jahren, also lange vor der Gründung des Netzwerk Amadé begonnen, so Meister. Das Hauptziel der Zusammenarbeit sei dabei gleich geblieben: Der Übergang von einer Ausbildung an der Musikschule zum Studium an der Hochschule, aber durchaus auch der Übergang vom Studium zum Beruf des Musikschullehrers soll erleichtert werden.
Auch das Pre-College der Hochschule, dessen Studierende von Professorinnen und Professoren unterrichtet werden und ebenfalls Mitglieder im Netzwerk Amadé sind, soll nicht in Konkurrenz zu den Musikschulen stehen. Vielmehr wünschen sich sowohl Meister als auch der Geschäftsführer des Netzwerks, Dr. Martin Grabow, mehr „Teamteaching“ mit Unterricht in Hochschule und Musikschule parallel. Grundvoraussetzung dafür sei, wie auch Prof. Stephan Imorde, der Leiter der Young Academy Rostock an der Hochschule für Musik und Theater Rostock (YARO) in seinem Vortrag betonte, gegenseitiger Respekt für die Arbeit des anderen und der Fokus auf den Schüler oder die Schülerin.
Der Präsident des Landesmusikrates Baden-Württemberg, Prof. Dr. Hermann Wilske, forderte in seinem Grußwort eine breitere musikalische Förderung, deren Grundlagen schon in den Grundschulen geschaffen werden sollten. Außerdem sei ein enger Verbund der Schulen mit Musikschulen und Hochschulen nötig. Er kündigte an, der Landesmusikrat wolle noch in diesem Jahr gemeinsam mit dem Verband deutscher Musikschulen das Konzept „Musikalische Begabtenförderung im ländlichen Raum“ vorstellen. Prof. Ulrich Rademacher, Bundesvorsitzender des VdM, dankte dem Netzwerk Amadé für seine musikalische Förderung, der nicht die gesunde soziale Entwicklung der Jugendlichen geopfert werde. Dies sei am besten in einem solchen Verbund von Musikschule und Hochschule möglich, wo die Begabten nicht so sehr aus ihrem gewohnten Umfeld gerissen würden.
In den darauffolgenden Vorträgen wurde die Frühförderung aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Dr. Franziska Olbertz vom Center for Early Childhood Development and Education Osnabrück führte in die Forschung zur Entwicklungspsychologie des Talents ein. Zunächst ging es dabei um die Definition und Unterscheidung der Begriffe „Begabung“ und „Hochbegabung“, die nicht ganz trennscharf sind. Die große Frage ist dabei: Wie kann Begabung erkannt werden und wann und wie soll mit spezieller Förderung begonnen werden? Als wichtige Beobachtungspunkte der entwicklungspsychologischen Beschreibung von „Talent“ nennt Olbertz Potenziale, also großes Interesse oder Begeisterung einhergehend mit schnellen Erfolgen beim Erlernen beispielsweise eines Instruments; die Förderung, in der das familiäre Umfeld eine wichtige Rolle spielt; Krisen, vor allem beim Übergang zwischen eigener Beschäftigung mit Musik und eher fremdbestimmtem Unterricht, aber auch im Konflikt mit Schule und anderen Aktivitäten; und schließlich Flexibilität in der Förderung, also beispielsweise ein offener Umgang mit außermusikalischen Interessen.
Prof. Dr. Wolfgang Lessing von der Freiburger Musikhochschule stellte auf Grundlage einer Forschungsarbeit über die Spezialschulen der DDR die Frage, welche Erfahrungsräume angehende Profimusiker brauchen. Dabei ging es vor allem darum, wie unterschiedlich verschiedene Schülerinnen und Schüler eine Institution wahrnehmen, beispielsweise bestimmte zwischenmenschliche Umgangsformen innerhalb der Einrichtung, und wie sich davon wiederum die öffentliche Kommunikation der Einrichtung unterscheiden kann. Der „Erfahrungsraum“ einer Institution wird also von diesem so genannten ‚konjunktiven Wissen‘ nicht nur der Lehrenden und Leitenden, sondern auch der Schülerinnen und Schüler geprägt und muss, so Lessing, umfassend erforscht werden, um die Förderung zu verbessern.
Auf mögliche Probleme in der Zusammenarbeit zwischen Musikhochschulen und Musikschulen ging dann Prof. Stephan Imorde von der YARO noch genauer ein. Nachdem einige der Musikschulen in deren Einzugsgebiet nur noch selten an den Frühförderangeboten teilgenommen hatten, luden die Verantwortlichen der Hochschule alle 17 Musikschulen zur Klausurtagung ein. Dabei fiel auf, dass sich viele davon in ihrer Arbeit von der Hochschule nicht respektiert fühlten. Problematisch sei vor allem der Wechsel von den Studienvorbereitenden Abteilungen (SVA) der Musikschulen zum Vorstudium an der Musikhochschule, so Imorde. Bei einem solchen Wechsel gehen den Musikschulen Schülerinnen und Schüler – oft auch Ensemble- oder Orchestermitglieder – verloren. Außerdem wird die Annahme, jeder hochbegabte Jugendliche könne in einem Vorstudium besser gefördert und betreut werden als in den SVA, als respektlos gegenüber der Arbeit der Musikschullehrenden aufgefasst.
Die YARO beschloss daher, ihr Konzept gemeinsam mit den Musikschulen grundlegend zu überarbeiten. Diese sollen im neuen Modell nicht mehr getrennt von der Hochschule dargestellt werden, und auch die Konkurrenz zwischen SVA und Vorstudium soll so aufgelöst werden. Die YARO sei dabei zwar immer noch das „schlagende Herz“ der Frühförderung, nicht zuletzt auch aufgrund der finanziellen Förderung durch die Hochschule, die Schülerinnen und Schüler sollen aber in der Regel an den Musikschulen verbleiben, so Imorde. In der Praxis bedeute dies meist entweder Unterricht bei Hochschuldozierenden, aber vor Ort an den Musikschulen, oder der Verbleib bei der vertrauten Lehrkraft an der Musikschule. Insgesamt sollen bei diesen Entscheidungen nun vor allem die individuellen Schülerinnen und Schüler stärker im Mittelpunkt stehen.
Beim Mannheimer Netzwerk Amadé gab es in dieser Hinsicht bisher kaum Probleme, wie Dr. Martin Grabow im Gespräch mit dem Hochschulmagazin der nmz berichtet. Aufgrund der kurzen Wege in der dicht bevölkerten Metropolregion Rhein-Neckar wäre hier ein Teamteaching-Modell zwischen Musikschule und Hochschule sehr gut möglich, allerdings ist das auch hier eher selten. Die Konkurrenz zwischen dem Pre-College der Hochschule und den SVA der Mitgliedsmusikschulen sei trotzdem nicht so groß, so Grabow, der das Netzwerk seit sieben Jahren leitet. „Es gab ein paar Wechsel von Musikschulen zur Hochschule, aber das sind letztendlich nicht allzu viele. Wir haben im Moment 18 Studierende im Pre-College. Die sind aber nicht alle aus Musikschulen des Netzwerks zu uns gekommen, sondern zum großen Teil auch von außerhalb, auch international.“ Möglicherweise ist auch hier die zentrale Lage der Musikhochschule wichtig: Die Mitglieder des Netzwerk Amadé haben Zugang zu vielen regulären Hochschulveranstaltungen, Workshops und einem eigenen Gehörbildungskurs. So können sie sich aufgrund der geringen Anfahrtszeiten optimal auf ein Studium im musikalischen Bereich vorbereiten und gleichzeitig weiterhin an ihrer Musikschule unterrichtet werden.
In einer abschließenden Diskussionsrunde mit Angela Bauer von der Musikschule Ludwigshafen, Imorde, Meister, Rademacher und der ehemaligen Pre-College- und Amadé-Studentin Fabienne Partsch wurde vor allem über das Verhältnis von Spitzen- und Breitenförderung und die Rolle der Familie für die musikalische Frühförderung gesprochen. Partsch betonte dabei, wie wichtig die Förderung durch das Netzwerk Amadé und das Pre-College für die Chancengleichheit ist. Prof. Meister, der selbst Pre-College-Studierende unterrichtet, sagte abschließend, die Frühförderung sei absolut zentral für die Musikhochschulen, daher lohne sich hier jede Anstrengung.