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Wie gefährlich ist das?

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Was in Sachen „Rechtsrockforschung“ an Musikhochschulen und Unis passiert
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Wird er gefragt, ob „Rechtsrock“ eine „Einstiegsdroge“ ist, verneint der Musik- und Jugendkulturforscher Thorsten Hindrichs, der an der Uni Mainz Seminare zum Thema Rechtsrock für Schulmusikstudierende anbietet: „Hört jemand eine Stunde Rechtsrock, wird er deshalb nicht zum Nazi.“ Das sehen viele seiner Kollegen so. Wobei es auch warnende Stimmen gibt. Für den Würzburger Musikpädagogen Friedhelm Brusniak zum Beispiel besitzt Musik durchaus manipulative Kraft: „Das Gefahrenpotenzial darf kein Pädagoge unterschätzen.“ Musik, postulieren andere Forscher, trägt möglicherweise zum aktuellen Erfolg des Populismus bei.

Friedhelm Brusniak beschäftigte sich bereits 1999 an der Uni Erlangen-Nürnberg mit dem nach seiner Ansicht schon damals brisanten Thema „Rechtsrock“. Kurz danach bot er in Würzburg Lehrveranstaltungen an. In der Folge entstand ein Ausstellungsprojekt zum Thema „Rechtsrock“ in Schulmuseen, außerdem befassten sich Brusniaks Studierende in mehreren Seminar- und Abschlussarbeiten mit Facetten dieser Thematik. Aufgrund seiner 20-jährigen Beschäftigung mit „Rechtsrock“ plädiert der Würzburger Professor dafür, sich intensiver interdisziplinär, also sowohl musikpädagogisch und musiksoziologisch als auch musikpsychologisch, mit der Problematik zu befassen. Während Friedhelm Brusniak vor der manipulativen Kraft rechter Musik warnt, verweist Thorsten Hindrichs auf die nach seinen Erkenntnissen ganz anderen Funktionen von Rechtsrock und Rechtsrock-Konzerten. Es gehe nicht in erster Linie darum, neue Anhänger einzufangen: „Es geht in erster Linie vielmehr ums Netzwerken sowie ums Geldverdienen, außerdem wird über Hierarchien verhandelt“.

Im Übrigen dürfe die extreme Rechte nicht in einen Topf geworfen werden. Hindrichs: „Das ist kein homogener Block, es gibt unterschiedliche Vorstellungen, wie man seine Ideologie durchsetzen möchte.“ Rechtsrock diene vor diesem Hintergrund auch dazu, Konflikte auszutragen. Über Funktionen „rechter“ Musik klärte Hindrichs heuer im Januar Studierende und Lehrkräfte bei der Fortbildung „Rechtsrock im Musikunterricht“ auf. Veranstalter war der Mainzer Verein „Netzwerk Schulmusik“, Kooperationspartner das „Netzwerk für Demokratie und Courage Rheinland-Pfalz“. Dass die Szene derzeit „schwächelt“, ist Hindrichs zufolge darauf zurückzuführen, dass der zivilgesellschaftliche Widerstand gegen Rechtsextremismus wächst und es vermehrt zu ordnungsrechtlichen Repressionen kam. „Ich gehe davon aus, dass die Zeit der großen Rechtsrock-Festivals erst einmal vorbei ist“, sagt der Musikwissenschaftler. Die größeren Festivals, die in diesem Jahr organisiert wurden, seien jedenfalls großenteils ein Desaster für die Veranstalter gewesen, fand der Forscher heraus: „Da sind kaum Leute gekommen.“

Nichtsdestotrotz gibt es eine schier unübersehbare Schar einzelner Musiker und kleinerer Bands, die durch die Lande ziehen und konzertieren. Da ist zum Beispiel die Gruppe „Kategorie C“ aus Bremen, die der rechtsextremen Hooliganszene zugeschrieben wird. Die Berliner Gruppe „Kraft durch Froide“, die zunächst bis 1987 bestand, wurde vor 20 Jahren neu gegründet. Bei „Thoytonia“ handelt es sich um eine sächsische Rechtsrock-Combo. Hinter „Reichstrunkenbold“ verbirgt sich der Neonazi Philip Tschentscher. „FreilichFrei“ nennt sich ein rechtsextremer Liedermacher aus Zwickau, „Kommando Skin“ heißt eine seit 20 Jahrne existierende Neonaziband aus Ludwigsburg. Weil Rechtsrock-Fans schnell aggressiv werden können, vermeidet es Thorsten Hindrichs bei seinen Forschungen, direkt vor Ort zu gehen: „Denn das kann sehr gefährlich werden.“ Letztlich sei dies aber auch nicht unbedingt nötig: „Ich war bisher bei einem einzigen Konzert, das mir jedoch keinen Mehrwert beschert hat.“ Grundsätzlich würde er sich mehr Unterstützung für Rechtsrock-Forschung wünschen: „Denn die ist äußerst mühsam.“ Die Akteure treten nach Hindrichs Erkenntnissen ständig unter neuem Namen und in neuen Konstellationen auf: „Es ist aus diesem Grund schwierig einzuschätzen, wie viele es de facto sind.“

Der gesellschaftliche Rechtsruck wirft laut Hindrichs für Rechtsrock-Forscher ganz neue Fragestellungen auf: „Wir müssen uns grundsätzlich überlegen, ob der Rechtsrock-Begriff, mit dem wir seit rund 25 Jahren arbeiten, überhaupt noch zeitgemäß ist.“ Gerade in den letzten fünf Jahren habe sich die rechte Szene sehr stark gewandelt. So tauchte die Identitäre Bewegung als ein neues Phänomen auf. Die Keimzelle befindet sich in Frankreich, seit 2014 ist sie in Deutschland aktiv: „Sie bringt ihre eigene Musikszene mit, die aber keinerlei strukturelle Verbindung zur klassischen Rechtsrock-Szene hat.“ Zu denken sei zum Beispiel an den Identitären-Rapper „Komplott“.

Veränderungen in der Rechtsrockszene beobachtet auch Yvonne Wasserloos, Professorin für Musikwissenschaft an der Hochschule für Musik und Theater in Rostock. Aktuell sei in der rechtsextremen Szene und ihrer Musiknutzung ein „Aufruf zum Kampf“ festzustellen. Dinge, die unter Begriffe wie „Tradition“, „Kultur“ oder auch „Heimat“ subsumiert würden, sollten verteidigt werden. „Wobei diese Begriffe ausgehöhlt wurden, indem sie von den Rechten ausgrenzend definiert werden“, so Wasserloos. Letztlich gehe es weder um „Heimat“ noch um „Kultur“, sondern um eine Abgrenzung von „den Anderen“.

Wasserloos lehnt eine pauschale Qualifizierung von Musik als „rechts“ ab. Musik an sich könne nicht „rechts“ sein. „Musik wird durch rechtspopulistische oder rechtsextreme Gruppierungen für ihre Zwecke instrumentalisiert“, erklärt sie. Dies geschehe durch Liedtexte mit rechten Anschauungen oder durch die „Umwidmung“ von Musik aus einem völlig anderen Kontext für rechte Motivations- oder Mobilisierungsvideos. Beispiele finden sich in Clips auf YouTube, die Aktionen rechtsextremer Gruppierungen dokumentieren: „Unterlegt sind sie zum Beispiel mit Musik aus ‚Matrix Revolutions‘“.

In welcher Weise Musik die Community der Rechtsextremen verbindet, wie sich die rechte Szene via Musik selbst darstellt und auf welche Weise sie musikalisch über Werte kommuniziert, das untersuchte in Freiburg Georg Brunner. Der Musikdidaktiker und Musikwissenschaftler nahm zu diesem Zweck die Video- und Musikplattform YouTube unter die Lupe. Videos, sagt er, verbreiten rechte Botschaften wesentlich effektiver als Konzerte. Bei seinen Recherchen fand Brunner auf YouTube viele Hundert Verweise auf NS-Musik, Rechtsrock, rechtsradikale Lieder und rechten Rap.

In der rechten Parallelwelt im Internet geht es, wie Brunner herausfand, äußerst lebhaft zu. Ein Video wie „Wahre Werte“ von FreiWild bringt es seit 2011 auf über 8,3 Millionen Aufrufe, fast 2.100 Kommentare und nahezu 20.000 Wertungen – die allermeisten davon positiv. Mehr als eine halbe Million Mal wurde das YouTube-Video „Deutschland“ von „DJ Himmler“ aufgerufen. Der nationale Rap „Dem deutschen Volke“ von „King Bock“ bringt es inzwischen auf über 60.000 Zugriffe. Teilweise wird lediglich mit einem Standbild gearbeitet, etwa bei „SS SA Remix“ von „DJ Adolf“, daneben gibt es Clips mit mehreren Bildern. Echte Filme sind eher selten.

Gerade die YouTube-Videos zeigen das Dilemma, in das Forscher zum Thema Rechtsrock nur allzu leicht geraten, meint Brunner: Viele Videos verschwinden nach relativ kurzer Zeit wieder aus dem Netz. Um die Songs möglichst lange verfügbar zu machen, erscheinen Symbole oft nur versteckt. Was bedeutet: „Eine Konnotation mit der rechten Szene ist nicht sofort herzustellen.“ Vieles müsse zunächst decodiert werden. Auffällig ist für den Musikdidaktiker, wie häufig Textaussagen, Musik oder ganze Songs von der Community im Internet positiv bewertet werden.

Auf die Tatsache, dass Populismus heute in Europa omnipräsent ist, geht ein aktuelles Forschungsprojekt in Oldenburg ein. Mario Dunkel, Direktor des Instituts für Musik an der Carl von Ossietzky Universität, untersucht, inwieweit Mainstream-Klänge mit populistischen Botschaften helfen, populistische Ideologien in Europa zu verbreiten. Die VolkswagenStiftung fördert das im Juli 2018 gestartete Projekt im Rahmen der Ausschreibung „Herausforderungen für Europa“ bis Juli 2021 mit knapp einer Million Euro. Neben den Forschern aus Oldenburg sind Wissenschaftler aus Ungarn, Österreich, Italien und den Niederlanden beteiligt.

Den Erfolg der Populisten zu verstehen, ist eine elementare Voraussetzung dafür, um ihren Einfluss eindämmen zu können. Dazu soll das Forschungsprojekt einen wichtigen Beitrag leisten. Die Wissenschaftler richten ihren Blick auf kommerziell erfolgreiche Musiker und Bands in Deutschland, Ungarn, Österreich, Italien und Schweden, die in ihren Songs populistische Ideen und Bilder aufgreifen. „Wir gehen davon aus, dass es einen engen Zusammenhang zwischen dem Erfolg dieser Musik und der Verbreitung populistischer Ideologien in verschiedenen Ländern Europas gibt“, erklärt Dunkel.

Die Forscher erhoffen sich neue Erkenntnisse, indem sie zunächst analysieren, welche populistischen Elemente in kommerziell erfolgreichen, weit verbreiteten Songs zu finden sind. Hierfür untersuchen sie die Verbindung zwischen Songtexten, Musikvideos und musikalischen Parametern wie Form, Rhythmus, Melodik, Harmonik und Sound von Songs, die zwischen 2015 und 2018 in den fünf Untersuchungsländern veröffentlicht wurden. Anschließend geht es um die Rezeption der Lieder aus soziologischer Perspektive. Hierfür sind in den fünf Beispielländern moderierte Gruppendiskussionen mit Erstwählern geplant.

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