Zwei Lehrkräfte unterrichten gemeinsam ein Klasse oder Gruppe, die auch von einer Lehrkraft alleine geführt werden kann. Für gleichbleibende Stundenzahlen werden mehr Lehrkräfte eingesetzt, und für gleichbleibende Schülerzahlen wird mehr Geld ausgegeben. Können wir uns das leisten angesichts des bedrohlichen Musiklehrer-Mangels, angesichts der 70.000 nicht aufgenommenen Kinder auf Wartelisten und angesichts einer Kostenexplosion, die es auch dem gutwilligsten Träger schwer macht, die durch kein Gesetz geforderten Finanzlasten für die Sing- oder Musikschule zu tragen? Der Städtischen Musikschule Weilheim in Oberbayern geht es nicht besser als anderen Schulen, und dennoch haben ihre Lehrerinnen und Lehrer vor einigen Jahren darauf hingearbeitet und das Einverständnis ihres Schulträgers erwirkt, daß der Unterricht in der Abteilung „Spielschule“ (= Musikalische Früh-Erziehung) im Regelfall als Tandem-Unterricht geführt wird, und daß Tandem-Unterricht auch in der „Grundkurs“-Abteilung (=Musikalische Grundausbildung) eingerichtet werden kann. Auch innerhalb der Städtischen Sing- und Musikschule München richtet eine Lehrerinnen-/und Lehrergruppe die jeweils neue Grundklasse als Tandemkurs ein. […]
Tandem in der Musikschule – Zwei Lehrkräfte unterrichten gemeinsam
Im Tandem-Unterricht gibt es keine eindeutige Führungs- oder Machtspitze, und die Distanz zum erst fremden Erwachsenen ist geringer. Dadurch, daß das Kind zwischen zwei Personen auswählen kann, bei welcher es den ersten Vertrauenschritt wagt, kommt es nur noch selten vor, daß Eltern von vierjährigen Neuankömmlingen ihre Kinder wiederholt durch ihre Anwesenheit stützen müssen. Tandem ermöglicht mehr Kontrolle und mehr Freiheit, mehr Einordnung und mehr Aus-sich-herausgehen, mehr Gemeinsamkeit und auch mehr Einzelaktionen; denn für zwei Unterrichtende ist es leichter, eigene autoritäre Verhaltensweisen abzubauen und die verschiedensten Aktivitäten von Gruppe und einzelnen Kindern aufzufangen. Dies gilt insbesondere dann, wenn man seinen Unterricht zwar mit klaren Vorstellungen, jedoch ohne Programm, ohne aufwendige Ausstattung, ohne feste Sitzordnungen und ohne vorgegebene Lern- und Arbeitswege gestaltet. Wenn Tandempartner allerdings nicht harmonieren oder wenn einer von ihnen zu sehr dominiert, kann diese Unterrichtsform auch zu mehr Kontrolle und zu absoluter Einordnung führen und jede Einzelaktion verhindern – eine Gefahr, die man nicht übersehen darf. […]
Im Tandem-Unterricht herrscht Arbeitsteilung. Das heißt nicht, daß jeder nur die Hälfte dessen tut, was sonst einer allein bewältigt. Der in jeder Gruppe vorhandene „Störenfried“ braucht nicht zum Nichtstören gezwungen zu werden; denn man kann sich so um ihn kümmern, daß er es mit der Zeit nicht mehr nötig hat, dauernd aufzufallen. Wenn bestimmte Fertigkeiten – etwa in der Bewegungs-Erziehung oder im Umgang mit einem Instrument – erforderlich oder zu wecken sind, ist die zweite Lehrkraft eine große Erleichterung und Bereicherung. Und ein weiterer Aspekt: Tandem ermöglicht die Aufnahme eines oder mehrerer behinderter Kinder und damit für Behinderte und Nichtbehinderte gleich wichtige Erfahrungen, zumal in diesem Alter die Verlegenheitsprobleme gegenüber der Behinderung oder Nichtbehinderung des anderen gar nicht erst aufkommen. Größere Effektivität ergibt sich also nicht nur aus dem durch Arbeitsteilung reibungsloseren Unterrichtsverlauf, sondern auch durch das im Tandem mögliche erweiterte Angebot. […]
Werner Mayer, Neue Musikzeitung, XXIII. Jg., Nr. 5, Okt./Nov. 1974
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