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Außenansicht des Plenarsaals mit Blick auf die Dresdner Altstadt. Foto: © SLT/Oliver Killig

Außenansicht des Plenarsaals mit Blick auf die Dresdner Altstadt. Foto: © SLT/Oliver Killig

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Anne Frank könnte heute noch leben

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Der 27. Januar steht ganz im Zeichen des Gedenkens an die Opfer des deutschen Nationalsozialismus. Am 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz wurde mit der Kammeroper „Das Tagebuch der Anne Frank“ von Grigori Frid daran erinnert – im Sächsischen Landtag.

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Die Täter schweigen. Die Opfer sind tot. An die Verbrechen der deutschen Nationalsozialisten erinnern allenfalls Überlebende. Von Jahr zu Jahr werden es weniger, die noch berichten können. Aber die Zahl der Holocaust-Leugner steigt. Offenkundig ein Versäumnis von Bildung und Medien, von Politik und gesamtgesellschaftlicher Aufklärung. „Das Tagebuch der Anne Frank“ aber ist eine Ausnahme, denn hier kommt die authentische Stimme einer Ermordeten zu Wort.

Ein Mädchen, das 1929 in Frankfurt am Main geboren wurde, heute eine 95-jährige Frau sein könnte, wenn, ja wenn sie nicht dem verblendeten Rassenwahn des NS-Regimes zum Opfer gefallen wäre. Ein Schicksal von sechs Millionen Jüdinnen und Juden, die um ihr Leben gebracht worden sind, die umgebracht worden sind, einzig allein aus dem Grund, weil sie Jüdinnen und Juden gewesen sind. Ungeheuerliche Vorgänge, ein heute unvorstellbarer, im Grunde unglaublicher Horror.

Abgrundtiefer Hass, ideologischer Wahnsinn und eine nicht in Worte zu fassende Entmenschlichung haben diesen perfiden, industriell umgesetzten Massenmord möglich gemacht. Von deutschen Soldaten und Offizieren wurde mit geradezu penibler Bürokratie und vollem Einsatz ein Netz von Konzentrations- und Vernichtungslagern geschaffen, um diese mehr und mehr perfektionierte Tötungsmaschinerie vor allem in den völkerrechtswidrig eroberten Gebieten Osteuropas mit größtmöglicher Effizienz zu praktizieren. Als am 27. Januar 1945 Soldaten der Roten Armee das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau befreit haben, blickten sie in tiefste Abgründe unmenschlicher Verkommenheit.

Dieser 27. Januar hat sich eingeschrieben in das weltweite Erinnern an diese Verbrechen. Seit 1996 in der Bundesrepublik Deutschland, ist dieses Datum 2005 von den Vereinten Nationen auch als Internationaler Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust etabliert worden.

Dem Sächsischen Landtag in Dresden ist dieses ebenfalls Anlass für regelmäßige Gedenkveranstaltungen. In diesem Jahr, 80 Jahre nach dem alliierten Sieg über den deutschen Nationalsozialismus, war Chemnitz, die Europäische Kulturhauptstadt 2025, im Landtag zu Gast. Deren Oper präsentierte in einer konzertanten Aufführung „Das Tagebuch der Anne Frank“ von Grigori Frid, einem russisch-jüdischen Komponisten, der 1969 aus diesem einzigartigen Zeugnis eine Kammeroper schuf.

Dieses für Solo-Gesang und Sprechstimme verfasste, etwa einstündige Werk wurde vor allem für Schulen einstudiert und wird szenisch im Konzertsaal der Chemnitzer Musikschule gezeigt. Im Dresdner Landtag gab es eine nicht minder bezwingende konzertante Aufführung, die musikalisch und inhaltlich innehalten ließ. Der 2012 an seinem 97. Geburtstag in Moskau verstorbene Komponist Grigori Frid, der auch als Schriftsteller und Maler tätig gewesen ist, verwob in seiner Mono-Oper jüdische Themen mit moderater Moderne und setzte inhaltlich auf größte Emotionalität, um vor allem die inneren Vorgänge der Tagebuchschreiberin wirksam werden zu lassen. Unter der musikalischen Leitung von Maximilian Otto wurden die Sopranistin Elisabeth Dopheide und die Sprecherin Susanne Stein von einem kleinen Instrumentalensemble begleitet; das Publikum – Politiker, Kirchenvertreter, Honoratioren sowie Schülerinnen und Schüler mehrerer Dresdner Schulen – war gebannt.

Dem Anlass gerecht wurden auch kurze Ansprachen von Christoph Dittrich, Generalintendant der Chemnitzer Theater, sowie vom sächsischen Landtagspräsidenten Alexander Dierks, der rückblickend an die Verbrechen des deutschen Nationalsozialismus erinnerte und betonte, dieses Gedenken dürfe keinen Endpunkt kennen. Mit dem Blick auf heutiges Geschehen warnte Dierks zugleich, dass es keine Diktatur auf Probe gebe, auch damals hätten die Verbrechen nicht erst mit dem Holocaust selbst, sondern längst zuvor „mit bösen Reden“ begonnen, in denen Menschen sich wertend über andere Menschen erhoben.

Sechs Millionen Jüdinnen und Juden sind in der NS-Zeit umgebracht worden, Menschen mit Träumen mit Hoffnungen, mit Zielen in ihrem Leben, die einzig deswegen nicht länger gelebt haben, weil sie Jüdinnen und Juden waren. Dabei hätten all diese vielen Menschen Europa bereichern können! Chancen, die vom verbrecherischen deutschen Nationalsozialismus grundlos zerstört wurden. Auch Anne Frank könnte heute noch leben, sie wäre jetzt eine 95-jährige Frau!

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