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Avantgarde heute?

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Uraufführungen 2013/05
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Die „Garde“ ist eine Eliteeinheit, ein exklusiver Männerbund, strengem Reglement unterworfen und zusammengehalten durch Disziplin und Corpsgeist: „Einer für alle, alle für einen“. Der Einzelne verliert im Kollektivs zwar seine individuelle Freiheit durch unbedingten Gehorsam und Treue bis in den Tod, darf sich aber zugleich sicher fühlen, weil nicht er persönlich, sondern die ganze Truppe für Sieg oder Niederlage verantwortlich gemacht wird. Zudem genießen Gardisten Privilegien und Ansehen. Als strategische Vorhut „avant“ dem großen Tross voraus, stößt die „Avantgarde“ vor, um den nachfolgenden Scharen einen möglichst sicheren Weg zu bereiten. Die militärische Herkunft des Begriffs „Avantgarde“ ist unübersehbar. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts wurde er auf die Künste übertragen. Heute versteht man unter Avantgarde in erster Linie den fortgeschrittensten Vorposten des Neuesten vom Neuen in Kunst, Musik, Literatur und Theater.

Doch der Begriff ist problematisch, und zwar nicht erst seit Aufkommen von Postmoderne, Material- und Stilpluralismus. Bereits 1962 diagnostizierte Hans Magnus Enzensberger in seinem Essay „Die Aporien der Avantgarde“ die inneren Widersprüche der ästhetischen Ansprüche dieses Begriffs. Zwar eignet Kunst immer ein Moment der Antizipation, des Vorgriffs auf noch Nie-Dagewesenes. Weil diese Bewegung aber ins Unbekannte führt, kann letztlich erst die Zukunft entscheiden, ob etwas wirklich den Boden für Neues bereitet hat, das dann aber für die Nachwelt nicht mehr aktuelle Avantgarde ist, sondern bereits bekannte Gegenwart, denn: „Was vorne ist, weiß niemand, am wenigsten, wer unbekanntes Terrain erreicht hat.“ Enzensberger erste Aporie der Avantgarde lautet folglich: „Das avant der Avantgarde enthält seinen eigenen Widerspruch: es kann erst a posteriori markiert werden.“ Wir können zwar benennen, was Avantgarde gestern war, indem wir die historischen Avantgardebewegungen der 1910/20er-Jahre und 1950/60er-Jahre beschreiben. Aber wir können nicht angeben, was Avantgarde heute ist, weil dem Vortrupp ins Unbekannte selber nicht klar ist, ob er vertrocknender Irrläufer in der Wüste oder wegbereitender Pionier in eine Zukunft ist, die diesen Vortrupp dereinst rückwirkend als Avantgarde der eigenen Gegenwart erkennen wird. Dennoch: In jedem neuen Werk schlummert ein Versprechen auf eben dieses Neue, Ungehörte, Revolutionäre, Richtungs- und Zukunftsweisende. Das gilt auch für die Uraufführungen im wunderschönen Monat Mai.

Gleich mehr als zwanzig Novitäten bietet die diesjährige dritte Ausgabe des Kölner Festivals „Acht Brücken“ vom 30. April bis 12. Mai. Neben neuen Stücken der etablierten Komponisten York Höller, Georg Friedrich Haas, Christoph Ogiermann, Michael Beil, Marcus Schmickler, Wolfgang Mitterer, Benedict Mason, Enno Poppe und Iris ter Schiphorst gibt es Uraufführung der jungen Künstler Jagoda Szmytka, Vladimir Gorlinsky, Giovanni Biswas, Nicola Sani, Michel Roth, Lisa Streich, Oxana Omelchuk, Eduardo Moguillansky, Dimitri Kourliandski, Ying Wang und Li Yang. Hinzu kommen am 5. Mai vier Auswahlwerke des „Internationalen LANXESS Kompositionswettbewerbs für junge Komponisten“. Wohlan, wohin auch immer: Vorwärts!

Weitere Uraufführungen:

  • 03.05.: Friedrich Jaecker und Chris-tian Dellacher, neue Chorwerke,
  • Neanderthal-Museum Mettmann
  • 07.05.: Alexander Moosbrugger, Fonds, Schach, Basar für Ensemble Phoenix, Luzern
  • 12.05.: Frank Zabel, Doppelkonzert für Viola, Akkordeon und Orchester, Recklinghausen
  • 17.05.: Michael Reudenbach, Neues Werk für Ensemble L‘Art pour l‘art, Musik21 Hannover
  • 19.05.: Miroslav Srnka, My Life Without Me, Prager Frühling
  • 24.05.: Georg Friedrich Haas, Thomas, Oper auf einen Text von Händel Klaus, Schwetzinger SWR-Festspiele
  • 24.05.: Manfred Trojahn, neues Ensemblewerk, Robert Schumann-Hochschule Düsseldorf

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