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Paul Valentin Clementi (Jean-Michel), Florentine Beyer (Anne Dindon), Daniel Prohaska (Georges). Foto: © Markus Tordik

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Bewegend und bewusst: „La Cage aux Folles“ zurück am Münchner Gärtnerplatz

Vorspann / Teaser

Mit der Neuproduktion von Jerry Hermans und Harvey Fiersteins „La Cage aux Folles“ zeigt das Münchner Staatstheater am Gärtnerplatz einen publikumsnahen Riesenerfolg mit politisch implizierten Rahmen zur queeren Emanzipationsgeschichte. Das legendäre Stück um die Pride-Hymne „I Am What I Am“ erklang authentisch. Die Neuproduktion spielt liebevoll mit den Kontrasten einer dekorativen Vergangenheit zur queeren Selbstrepräsentanz in der Gegenwart. Armin Kahl als Albin/Zaza und Daniel Prohaska als Georges triumphierten an der Spitze eines passionierten Ensembles in der Regie von Intendant Josef E. Köpplinger. 

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Josef E. Köpplinger beließ es mit seinem bewährten Bühnenbildner Rainer Sinell zwar beim originalen Schauplatz Saint-Tropez in den 1970ern, umrahmte diesen allerdings mit einer Splitter-Chronik aus der queeren Zeitgeschichte zur Ouvertüre und mit dem Ausblick auf die erste schwule Trauung Frankreichs im Mai 2013 zum Schlussakkord. Das Souvernirbook dokumentiert die wachsende Frequenz von „ LGBTQIA+ Musicals That Made History“. Da reiht sich das Gärtnerplatztheater selbst rühmlich ein mit „Drei Männer im Schnee“ und „Oh! Oh! Amelio!“. Das Kultstück „La Cage aux Folles“ gehört ans Haus wie Offenbach und Mozart, wenn auch das explizit sichtbare Biotop von Queerness im Glockenbachviertel allmählich mit der Vielfalt urbaner Toleranz und Diversität verschmilzt. Als 1985 Jerry Hermans Musical herauskam, sangen ein Bariton die Partie des Travestiestars Albin-Zaza und ein Tenor Albins Lebenspartner, den Cis-Mann Georges. 

Am Gärtnerplatz meißelte man die nostalgischen, paradoxen und perfiden Aspekte des „Käfigs voller Narren“ mit überpixelnder, aber nicht outrierender Vergrößerung und Verfarblichung heraus. Der mediterrane blaue Himmel prallt auf Georges’ und Albins tieflila Interieur, das zum Besuch des Spitzenkandidaten der ultrarechten Partei für Tradition, Familie und Moral von allen dekorativen Schwuchteleien entkernt werden muss. Alfred Mayerhofer denkt die Show- und Alltagskostüme in den Farben der Trikolore: Cancan-Rot und Nixen-Blau für die Cagelles, viel Weiß für die Schönen der Nacht vor Jacquelines Erlebnisrestaurant. So entsteht musikalisches Unterhaltungstheater mit Kick in exklusiv wirkende Vergrößerung. 

Zweigeteilt sind in dieser Produktion die Pole der Travestie-Traumwelt zwischen frivoler Ausgelassenheit on stage und der bis 1990 noch weithin grassierenden Stigmatisierung queerer Lebensformen. Köpplinger, natürlich auch die jeden Cachelle-Charakter individuell zeichnende Choreographie Adam Coopers geben dem Revueaffen in den Showszenen reichlich Zucker, um in den ‚Realszenen‘ mit einer äußerst feingliedrigen, subtil komödiantisch bis pointierenden Personenregie zu kontrastieren. Der Besuch der ultrakonservativen Dindons, das allmähliche Umkippen der Politikergattin Marie (wunderbar: Anna Clementi) in die proqueere Enthemmung wird toll entwickelt. 

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Christian Schleinzer (Jacob), Daniel Prohaska (Georges), Paul Valentin Clementi (Jean-Michel), Florentine Beyer (Anne Dindon), Anja Clementi (Marie Dindon), Erwin Windegger (Edouard Dindon). Foto: © Markus Tordik

Christian Schleinzer (Jacob), Daniel Prohaska (Georges), Paul Valentin Clementi (Jean-Michel), Florentine Beyer (Anne Dindon), Anja Clementi (Marie Dindon), Erwin Windegger (Edouard Dindon). Foto: © Markus Tordik

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Köpplingers pointensichere und in vielen Aspekten subtile Personenregie schärft auch das Dilemma des 22-jährigen Sohns zwischen seinen queeren Patchwork-Eltern und seiner Liebe zu Anne (Florentine Beyer als Retro-Edition blonder ‚Natürlichkeit‘). Paul Clementi gibt dazu einen sympathischen, von handfester Energie und einem gerüttelten Maß jugendlicher Unbedenklichkeit strotzenden Jean-Michel. Im Gegenzug evozieren Christoph Schleinzers zackig gesetzte Auftritte als ‚Butler‘ Jacques’ ausufernde Gelächter-Inseln. Mit Ausnahme der moralisch-hölzernen Ungelenkigkeit von Monsieur Dindon, die Erwin Windegger einem knöchernen bis steinernen Mienenspiel verstärkt, agieren alle äußerst lebendig und sensibel. Anna Overbeck gibt eine mit exponierter Charme-Offensive zum Mireille-Mathieu-Double aufgebrezelte Jacqueline. Frank Berg als ikonischer Inspizient Francis und Frances Lucey als guter Theatergeist Babette ergänzen die Entourage mit passgenauem Kolorit. 

Daniel Prohaska verkörpert einen fast zu feinen Nightclub-Chef Georges. Smart und sympathisch hat er nicht immer die optimalen Sicherheitssperren für die schweren Emotionsgeschütze seines Partners. Armin Kahl dagegen gibt einen Albin, der sich die Spuren der Vergänglichkeit mehr einredet als real darunter leidet. Albins Minuten-Verwandlung in den heteronormativen Onkel gerät zur steilen Bürohengst-Persiflage. 

Schön vor allem: Im Uraufführungsjahr 1985 waren Unterschiede von dem fließend, was man heute weitaus strenger definiert … Butler Jakob rotiert demzufolge als Dragqueen, bisher ohne Chance zum ganz großen Bühnenauftritt und deshalb vor allem eine Verwandlungsmeisterin für Salon und Straße. Albin ist deshalb kein Cis-Mann wie Georges, sondern eine sich mit fließender Kleidung und fluiden Bewegungen gefallende Person, welche ihre Bühnenidentität als Travestiestar Zaza nicht ins Privatleben mitnimmt. 

Geschliffenheit haben alle Club-Cagelles – glamourös aufgestellt mit spezifischer und lüsterner Liebenswürdigkeit. Jeff Frohner animiert im Orchestergraben zu einem detailbesessenen und leicht kühlen Gesamteindruck, welcher entschieden zum Flair ohne flach wohltemperierte Nostalgie-Wärme beiträgt. Die Hauptmomente von Prohaska, Kahl und Köpplinger liegen in feinen Beobachtungen an diesen „Szenen einer wilden Ehe“, die eine anerkannte queere Ehe sein will. Hinter dem harmlosen Kolorit des Komödienklassikers sprühen also die Aktualitätsfunken desto weiter und höher – mitsamt dem Wissen um die mögliche Gefährdung von Rechten und Gleichstellungen, welche über mehrere Pride-Generationen hart erkämpft wurden.

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