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 Œdipe 2019: Christopher Maltman (Œdipe). Foto: © SF/Monika Rittershaus
Œdipe 2019: Christopher Maltman (Œdipe). Foto: © SF/Monika Rittershaus
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Das Leben ein Kampf – Enescus „Œdipe“ bei den Salzburger Festspielen

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Mit dem „Œdipe“ von George Enescu (1881-1955) folgen die Salzburger Festspiele ihrem in Sachen Oper nur gelegentlichen Impuls, auch einmal weniger Bekanntes auszugraben und zur Diskussion zu stellen. Mit dem 85-jährigen Achim Freyer, diesem Bühnen-Magier eigenen Rechts, setzten sie zugleich auf das an der Salzach schon öfter Bewährte. Dass Freyer die Felsenreitschule mit dem 1936 in Paris uraufgeführten, wuchtig raumgreifenden Werk des Rumänen seinem Universum einverleibt hat, ist schon auf den ersten Blick unverkennbar, meint unser Kritiker Joachim Lange.

Das Kostüm bzw. die Ganzkörpermaske als muskelbepackter Boxer, in die er Christopher Maltman gesteckt hat, ist ein Statement: Ödipus, ist der Mann, der sich durchs Leben boxen muss. Der Kämpfer. Der Größe gewinnt, weil er schuldlos verstrickt, die Konsequenzen trägt (im Politikersprech von heute würde man sagen: die Verantwortung übernimmt) und dadurch als Blinder sehend wird.

Christopher Maltman: überwältigend

Es ergibt – über die reine bildliche Wirkung hinaus – weiterführenden Sinn, wenn er zu Beginn wie ein Baby auf dem Boden liegt und strampelt. Maltman muss die gesamten drei Stunden über Dauerpräsenz zeigen, trägt die vokale Hauptlast und ist dabei schlichtweg überwältigend. 

Um ihn lässt Achim Freyer sein Universum wogen und kreisen. Es ist ebenso in sich geschlossen wie auf andere Weise das von Robert Wilson. Eine Art von in sich geschlossener Ästhetik, der auch Peter Sellars offenbar nachzueifern versucht, dabei jedoch im dekorativ Rituellen stecken bleibt.

Freyer verwirklicht sich in seinen Inszenierungen stets auch als bildenden Künstler, erzählt aber dabei gleichwohl in surrealen Traumbildern erkennbar die Geschichte des Ödipus nach. Für das wortreiche Libretto hat Edmond Fleg die Ödipus-Tragödien des Sophokles verbunden und sie mit einem quasi christlichen Erlösungsfinale versehen. Ödipus ist von seinem Vater Laios (Michael Colvin) gegen göttlichen Willen gezeugt worden und daher mit einer Erbsünde belastet. Der Prophezeiung, dass er seinen Vater töten und die Mutter (Anaïk Morel ist die in blaue Blütenblätter verpackte Jocaste) zur Frau nehmen werde, versuchen die Eltern zu entgehen, provozieren aber gerade dadurch bekanntlich deren Erfüllung. Als sich Ödipus in einer ausführlichen Szene dieses Verhängnisses bewußt wird, sticht er sich die Augen aus. Seine Mutter, die er zur Gemahlin genommen und mit der er Kinder gezeugt hat, stürzt sich in den Tod. In der Oper wird er am Ende auf dem Wege einer Verklärung von der Schuld gereinigt und dadurch sehend. Die Antwort des Ödipus auf die Sphinx „Der Mensch ist stärker als das Schicksal“ ist ein Kernsatz dieses Kämpfers.

„Der Mensch ist stärker als das Schicksal“

Für den Wendepunkte in seinem Leben – das Erkennen seiner „Schuld“ und die Selbstblendung – ist eh ein Orchester-Paukenschlag vorgesehen. Aber auch Freyer findet dafür ein starkes Bild: Die roten Stofffetzen, die ihm fortan vom Gesicht hängen, imaginieren stilisiert die leeren Augenhöhlen und die Selbstverstümmlung.

Manche Figuren, wie etwa den blinde Seher Tirésias, zeichnet er mit kindlicher Naivität überdeutlich. Die schwarzen Punkte auf gelbem Grund reichen ihm da nicht, es gibt auch noch eine Augenbinde und eine Kinderpuppe, die den Übergroßen, unter dem sich der bewährte John Tomlinson verbirgt, an einem Stöckchen über die Bühne führt. 

Es gibt noch mehr Puppen und Ungeheuer. Eine Schere, die mehr Regenwürmern ähnelt und ein Eigenleben führt. Ein einzelnes Auge. Viele Boxsäcke kommen aus dem Schnürboden. Ein Hirte sitzt ganz oben rechts in der Ecke. Eine Figur hängt kopfüber von der Decke. Oder stürzt ruckweise herab, bis sie unten aufschlägt. Die normale Geschwindigkeit in Freyer-Inszenierungen ist schon immer entschleunigtes Schreiten. In einem Anflug von Selbstironie sogar für einen Moment beim Aufmarsch zum Schlussapplaus.

Dass Freyers marionettenhaftes Vollraumtheater die Spannung hält, liegt natürlich auch an der Energie, die die Musik von Enescu vom Graben aus verbreitet. Ingo Metzmacher und die Felsenreitschule – das ist eh eine Art Liebesgeschichte. Er hat schon oft bewiesen, dass er diesen archaischen Ort ganz selbstverständlich zum Raum für eine noch so herausfordernde Musik zu machen versteht. Diesmal mit den Wiener Philharmonikern, die nicht nur mit ihrer Souveränität, sondern auch mit ihrer Fähigkeit zum Wechsel der musikalischen Temperamente verblüffen. Nachmittags Offenbach, abends Enescu. Ohne dass es irgendwelche Abstriche bei Verdi oder allem anderen gibt. Musikalisch ist das Festspielpracht vom Feinsten.

Der bildende Künstler Achim Freyer lädt mit seiner Skulptur „Ödipus-Komplex“ (aus nicht verwendeten Resten der Ausstattung) neben dem Brunnenfoyer in der Hofstallgasse zur jüngsten Arbeit des Opernregisseurs ein. Wer ihr folgt, ist erstaunt, dass auch sein längst bekannter Bilderkosmos noch variierbar ist.

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