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Foto: Thomas Aurin
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Der Meister und Margarethe … – Frank Castorf inszeniert an der Oper in Stuttgart Charles Gounods „Faust“

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Ganz fremd ist Schauspielregisseur-Ikone Frank Castorf das Musiktheater nicht. In Basel hat er einst mit einem Otello die Fachwelt verblüfft und das Publikum in Wallung gebracht. Wenn man großzügig ist, kann man seine Hamburger „Fledermaus“ mitzählen, wenn man noch großzügiger ist auch die Luxemburger „Meistersinger". In Bayreuth hatten sie in der Not jedenfalls den richtigen Riecher, ihn als Ringeinspringer zu engagieren. Um die berufliche Zukunft von Frank Castorf (65) muss man sich also keine ernsthaften Sorgen machen. Einen Job als Opernregisseur dürfte er allemal finden. Zumindest nach dem Gounod „Faust“, den er jetzt dem aktuellen Opernhaus des Jahres, in Stuttgart, zum Spielzeitauftakt beschert hat.

Seine nicht ganz freiwillig endenden 25 Jahre als Chef der Ostberliner Volksbühne will er im kommenden Jahr mit einem „Faust II“ krönen. Oder es mit (neben oder ohne) Goethe krachen lassen, bevor das Haus von Chris Dercon, bildlich gesprochen, zu einer globalisierten Eventbude geschliffen wird. In Stuttgart lieferte er jetzt quasi als Vorspiel auf der Opern-Bühne die sehr französische Version von Faust I, mit der Charles Gounod seit der Pariser Uraufführung 1859 Furore macht. 

Für die Hardcore-Castorf-Fans, die auf eine seiner legendären (oder gefürchteten) Dekonstruktionen erpicht sind, müssen dabei stark sein. Allen anderen dürfte das Herz aufgehen. Denn hier wird nichts zertrümmert, verbogen oder gegen die Musik gestellt. Castorf macht das genaue Gegenteil: Er lotet das Stück in einer Tiefe aus, vor der sich viele mit allfälligem szenischen Mummenschanz herumdrücken. Er entfaltet einen geradezu subtilen Humor, macht seinen Teufel nicht zu einem plumpen Verführer und Possenreißer des Bösen, sondern zu einem Flaneur durch die Abgründe des Menschlichen, von denen er eine ganze Menge weiß. Dabei setzt er seine bewährten Mittel, wie die Live-Übertragung von auf der Bühne nicht sichtbaren Szenen oder von Nahaufnahmen so souverän ein, dass sie nie aufgesetzt wirken, sondern durchweg eine zusätzliche szenische Dimension eröffnen. Wozu auch gehört, dass er verschiedene Zeitebenen (von der Entstehungszeit der Oper bis zur Zeit des Algerienkrieges ein Jahrhundert später), nicht einfach durcheinander wirbelt, sondern inhaltlich miteinander verschränkt. Die ansonsten fabelhafte Stuttgarter Bühnentechnik kam mit den in die Szene gehängten Projektionsleinwänden zwar noch nicht ganz hinterher. Aber das wäre auch schon der einzige Einwand, den man zu diesem Abend der Verführung zu einem Faust a la Parisienne machen könnte.

Was der Bühnenbildner Aleksandar Denić (für das Castorf-Theater ein Glücksfall!) drauf hat, weiß man seit dem Bayreuther Ring. Aber wie er hier Paris auf einen optischen Nenner bringt, das ist ein kleines Wunder. Das so klein gar nicht ist – über neun Meter hoch ist der Teil, der mit seinen Wasserspeiern an die Türme von Notre Dame erinnert. Mit einem offenen Bistro, der Metrostation STALINGRAD (was vom Soldaten Valentin blutrot mit „L'Algérie est française“ übermalt wird). Über dem Eingang zur einer Schlächterei leuchtet ein gedoppelter Coca-Cola Schriftzug feuerrot wie ein teuflisches Ornament, denn hier gibt’s die Walpurgisnacht.

Es ist ein Paris im Sepia-Dämmer, wie es sich in Träumen von dieser Stadt in Erinnerung bringt. Es ist eine opulente Verführung, in der sich alle Schauplätze mühelos imaginieren lassen. Wir sehen Margarethe oben hinter ihrer Dachgaube und mit dem Schmuck in Großaufnahme. Wir sind gleichsam live und in Großaufnahme dabei, wenn sich Frau Schwertlein den Teufel angeln will oder wenn der das Gesicht verzieht, wenn Faust und Grete sich in der Liebesnacht anschmachten. Als die Soldaten dann mit erheblichem musikalischem Pomp den Krieg feiern, marschieren die Legionäre mit abgeschlagenen (wohl algerischen) Köpfen auf. Im Film sieht man aus der Opferperspektive in den Lauf einer Waffe, so dass einem ganz anders wird. 

Aber alles was man sieht, hört man an diesem Abend auch. Und wie man das hört! Denn am Pult sorgt Marc Soustrot nicht nur für einen hin- und mitreißenden, gleichsam idiomatischen Sound. Stuttgart bietet ein Ensemble auf, dass man sich besser kaum wünschen kann. Das fängt bei der dramatisch präsenten Frau Marthe von Iris Vermillion  und Josy Santos als Gretchen-Verehrer Siebel an. Die macht ihn hier mit erheblichem Sexappeal zur begehrenden Freundin. Mandy Fredrich durchmisst vokal bestechend und darstellerisch hinreißend die ganze Tragödie einer jungen Frau, die am Ende, nach allem gerichtet und gerettet, im Bistro allein und verlassen Tabletten in ihr Glas schüttet und uns über ihr Schicksal im Unklaren lässt. Mit wunderbar geschmeidiger Höhe glänzt Atalla Ayan als smarter Faust-Hallodri. Dass der Teufel allemal die besten Darstellerkarten hat, beweist Adam Palka mit jedem Ton, jeder Grimasse, ob nun im Nadelstreif, in Uniform oder halbnackt. Sie alle sind Teil eines Faustwunders, das man so opernopulent, zeitebenendurchdacht, und gesamtkunswerksubtil dann doch nicht erwartet hatte. Das Publikum lieferte die paar Sekunden Ergriffenheit vor dem unisono Jubel, der Frank Castorf etwas unheimlich zu sein schien. 

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