Hauptbild
Uraufführungen 2024/03.

Uraufführungen 2024/03.

Hauptrubrik
Banner Full-Size

Der wahre Staatsvertrag

Untertitel
Uraufführungen 2024/03
Vorspann / Teaser

Die ersten 19 Artikel des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland garantieren die unveräußerlichen Rechte aller Menschen im Gültigkeitsbereich der Verfassung. An erster Stelle steht die Unantastbarkeit der Würde des Menschen. Es folgen die Rechte auf freie Persönlichkeitsentfaltung, körperliche Unversehrtheit, Gleichheit vor dem Gesetz, Gleichheit der Geschlechter, Glaubens- und Gewissensfreiheit. Artikel 5.1 benennt das Recht auf freie Äußerung und Verbreitung der Meinung in Wort, Schrift und Bild. Der Artikel garantiert die Informations- und Pressefreiheit und erklärt: „Eine Zensur findet nicht statt.“ Einschränkungen erfahren diese Rechte laut Artikel 5.2 in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze und den Bestimmungen zum Schutze der Jugend und im Recht der persönlichen Ehre. Artikel 5.3 ergänzt dann ausdrücklich: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.“

Publikationsdatum
Paragraphs
Text

Damit ist eigentlich alles Wesentliche gesagt: Kunst, Meinung und Wissenschaft sind frei, müssen sich aber an die freiheitlich-demokratische Grundordnung halten. Wenn es jedoch nach dem Berliner CDU-Kultursenator Joe Chialo ginge, sollte in Zukunft die Vergabe von Fördermitteln des Berliner Senats an die Bedingung geknüpft werden, dass alle Antragstellenden zuvor ein klares Bekenntnis gegen Antisemitismus und Diskriminierung ablegen müssen. Hintergrund ist die 2019 vom Bundestag verabschiedete Resolution, wonach keine öffentlichen Gelder mehr für Projekte der Kampagne Boycott, Divestment and Sanctions (BDS) oder dieser nahestehende Veranstaltungen ausgegeben werden dürfen, die zum Boykott des Staates Israel aufrufen. Hinzu kamen 2022 die Antisemitismus-Vorwürfe gegen die documenta 15, bei der drei Kunstwerke eine alle Feuilletons wochenlang beschäftigende Debatte über Rassismus oder berechtigte Kritik an der israelischen Regierung sowie Kunstfreiheit versus Zensur auslös­ten, während tausende andere Kunstwerke pauschal demselben Vorwurf ausgesetzt und ansonsten keiner weiteren, weder ästhetischen noch politischen, ethischen, moralischen oder sonstigen Beachtung für wert befunden wurden. 

Sollte man wirklich Gesinnungsprüfungen einführen? Widerspräche das nicht dem Grundsatz: „Eine Zensur findet nicht statt“? Würden auf diese Weise nicht Diskussionen bereits im Keim erstickt, die nötig sind und von Kunst offenbar immer noch angestoßen werden können? Sollte die öffentliche Hand nicht viel eher darauf vertrauen, dass alle Bürgerinnen und Bürger die im Grundgesetz verbürgten Persönlichkeits- und Freiheitsrechte nicht nur genießen wollen, sondern in ihrem Verhalten gegenüber Mitmenschen auch selbst einzuhalten gewillt sind? Ist nicht genau das der wirkliche Staatsvertrag im Sinne des verfassungsrechtlichen Übereinkommens der gesamten Bevölkerung mit dem von ihr gebildeten Staat?

Also das gegenseitige Vertrauen aller durch die gemeinsame Treue zur Verfassung. Alles andere wäre Misstrauen, Unterstellung, Verdächtigung oder gar Vorverurteilung. Wozu kämen wir bei Arbeit, Leben und Lieben, wenn wir über unser Denken und Handeln jedes Mal erst eine negative Ausschlusserklärung abzugeben hätten, was wir alles nicht wollen – entweder weil wir es wirklich nicht wollen oder weil wir es von Staats wegen bloß nicht sollen –, bevor wir endlich positiv unsere wirklichen Anliegen, Absichten, Ideen und Unternehmungen schildern dürften?

Weitere Uraufführungen:

3.3.: Catherine Lamb, The Being/The World, Musikfabrik im WDR Köln

8.3.: Stefan Pohlit, VAPUR für hr-Sinfonieorchester, hr-Sendesaal Frankfurt a.M.

15.–24.3.: Festival MaerzMusik, diverse UA, Radialsystem, SAVVY Contemporary, Theater im Delphi, DAAD-Galerie, Villa Elisabeth, Elisabeth Kirche, Akademie der Künste, Universität der Künste, Haus der Berliner Festspiele

20.3.: Pierangelo Valtinoni, Die Reise zum Planet 9, Kinderoper nach dem Libretto von Paolo Madron, Opernhaus Dortmund

26.3.: Mark Simpson, Phôs für Bachchor und Mozarteumorchester, Mozarteum Salzburg

29.3.: Marius Felix Lange, Im Wald zur Nacht an einem kahlen Berg, Szene für Sopran, Kinderchor und Orchester, Staatsoper Unter den Linden Berlin

Print-Rubriken
Unterrubrik