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„Der goldene Hahn“ von Nikolai Rimski-Korsakow an der Komischen Oper Berlin. (2024). Foto: Monika Rittershaus

„Der goldene Hahn“ von Nikolai Rimski-Korsakow an der Komischen Oper Berlin. (2024). Foto: Monika Rittershaus

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Groteske, revuehafte Parabel – Nikolai Rimski-Korsakows „Der goldene Hahn“ an der Komischen Oper Berlin im Schiller-Theater

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Im Norden der ehemaligen Grafschaft Ruppin liegt der klare und tiefe Stechlinsee. In Fontanes Roman „Der Stechlin“ ist die Rede von einem roten Hahn, der immer dann zu sehen auf einer Fontäne aus dem See aufsteigt und kräht, wenn es irgendwo in der Welt gärt und brodelt. Doch nicht nur Fontane bediente sich warnender, prophetischer Tiere. Die Weltliteratur ist voll davon. Auch der russische Dichter Alexander Puschkin hat einen alar­mierenden, allerdings goldenen Hahn in einem seiner Märchen (das das seinerseits auf der Sage vom arabischen Astrologen aus der Erzählsammlung „Die Alhambra“ (1832) von Washington Irving beruht) auftreten lassen. Der russische Dichter Wladimir Belski hat auf dieser Grundlage ein Libretto verfasst, das Nikolai Rimski-Korsakow 1906/1907 vertont hat. Barrie Kosky hat die dreiaktige Oper inszeniert. Nach Stationen in Aix-en-Provence, Lyon und beim Adelaide-Festival ist die gefeierte Koproduktion nun unter der musikalischen Leitung von Generalmusikdirektor James Gaffigan an der Komischen Oper Berlin erstmals über die Bühne gegangen.

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Unter den fünfzehn Opern Nikolai Rimski-Korsakows beziehen sich viele auf märchenhafte Vorlagen. Dabei ging es dem Komponisten nicht um eine Feier kindlicher Unschuld, sondern um die in diesen Fabeln steckende einzigartige Verbindung von Archaik, Fantastik und Bodenständigkeit, die er auslotete und damit das russische Musiktheater revolutionierte. Dass in diesen Stoffen immer auch das Potential für politische Satire steckt, wird in der Oper „Der goldene Hahn“ besonders deutlich: Der goldene Hahn stellt die autoritär-erstarrte Welt des alten Zaren Dodon der lebendigen, vielfältigen und verführerischen Welt der fremden Zarin Schemacha gegenüber. Hinter den Kulissen zieht ein Astrologe die Fäden, der in Prolog und Epilog über den Lehrcharakter des halb tragischen, halb komisches Traum-Spiel um Macht, Intelligenz und Liebe informiert, das als bissiger Kommentar auf nationalistisch-männliches Machtstreben gelesen werden darf. 

Rimski-Korsakow schrieb die Oper, nachdem 1904 die japanischen Seestreitkräfte einen Angriff auf Port Arthur vornahmen, da die japanische Regierung die Hoffnung aufgegeben hatte, die Russen jemals dazu bewegen zu können, die Mandschurei zurückzugeben. Rimski-Korsakow begann mit der Arbeit am Goldenen Hahn kurz nach dem japanischen Sieg im Jahre 1906. Ihn hatte allerdings auch die Niederschlagung des Aufstandes in Russland heftig bewegt. Er machte aus Puschkins ursprünglich märchenhafter Erzählung eine Satire auf militärische Unfähigkeit, aristokratische Dummheit und politische Korruption.

Barrie Kosky macht aus dem märchenhaften Traumspiel eine groteske, revuehafte Parabel in zauberhaftem Einheitsbühnenbild von Rufus Didwisszus, in dem wieder viel Strapse und Strass, Travestie und Glamour das Sagen haben. 

„Seht, ich bin der Zaubermeister“ verkündet der Astrologe bei seinem Auftritt zu Anfang des Stücks. James Kryshak tritt wie eine greiser Bilderbuch-Zauberer auf. Er stellt sich als Regisseur des folgenden Stücks vor und er will dem Zuschauer eine lehrreiche Geschichte erzählen. Das Publikum fordert er auf, der Handlung aufmerksam zu folgen und das Rätsel des Märchens zu lösen. 

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„Der goldene Hahn“ von Nikolai Rimski-Korsakow an der Komischen Oper Berlin. (2024). Foto: Monika Rittershaus

„Der goldene Hahn“ von Nikolai Rimski-Korsakow an der Komischen Oper Berlin. (2024). Foto: Monika Rittershaus

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Es geht in dem Märchen um einen alten, macht- und kriegsmüden König Dodon, der von seinem Astrologen und einer jungen schönen Königin eines Nachbarreiches genarrt wird. Im Mittelpunkt ein goldener Hahn, den der verschlagene Astrologe dem König schenkt, ein Hahn, der immer dann, wenn Gefahr droht, kräht. Als Preis dafür fordert der Astrologe zu späterem Zeitpunkt, sich eine Belohnung gleich welcher Art erbitten zu dürfen. Am Ende der Oper fordert er sein Recht: die junge Königin. Als König Dodon diesen Wunsch ausschlägt, wird er vom Goldenen Hahn getötet. Da tritt der Astrologe noch einmal vor den Vorhang und erklärt dem Publikum, er allein und Schemacha beanspruchten, lebendige, reale Menschen zu sein. Alle übrigen, der Zar, seine Entourage und seine Untergeben, auf die er seine Macht baut, seien bloße Schatten, scherenschnitthafte Gespenster, Nichts. Ein hartes, desillusionierendes Wort am Ende der Oper an die Adresse der Obrigkeit.

Barrie Kosky zeigt die Märchenoper surreal stark verfremdet, ohne alle russische Folklore, als schopenhauerisch eingedüsterte, Groteske in einem Einheitsbild, das einen von mannshohen Gräsern bewachsenen Hügel von angedeutetem Wald-Prospekt zeigt. Darauf eine Baumruine, auf der der im wahrsten Sinne des Wortes goldene Hahn thront und kräht. Gesungen wird er ganz vortrefflich von der der Sopranistin Julia Muzychenko atemberaubend hoch und glasklar und vom venezolanischen Darsteller Daniel Daniela Ojeda Yrureta szenisch verkörpert wird. König Dodon (stimmlich ganz hervorragend vom international gefragten russischen Bassisten Dmitry Ulyanov gesungen) wird als unansehnlicher Penner in langen verschmutzten Unterhosen gezeigt. Eine ins Lächerliche gezogene Erscheinung mit Pappkrone, die man von Anfang an nicht ernstnehmen kann und auch nicht soll.

Dodons Haushälterin Amelfa (von der russischen Mezzosopranistin Margarita Nekrasova eindrucksvoll gespielt) darf mal mit Schmetterlingsflügeln und mal im Pelzmantel und Blondhaarperücke auftreten. Auch sie ist eine Karikatur.

Dodons Gegenspielerin, die Königin von Schemacha, tritt hingegen in prachtvollen Kostümen von Victoria Behr auf, die die russische Koloratursopranistin Kseniia Proshina (sie ist seit September 2019 Mitglied der Opéra National de Paris) singt und spielt mit betörender Sinnlichkeit und Stimm-Gelenkigkeit, zu schweigen von ihrer verführerischen Körperlichkeit. Die beiden dummen und immer in Rivalenkämpfe verstrickten Söhne Dodons, Prinz Afron (ihn singt der polnische Bariton Hubert Zapiór) und Prinz Gwidon (vom russischen Tenor Pavel Valuzhins gesungen) sind vortrefflich. Dass sie schließlich als enthauptete Frackträger am Baum des goldenen Hahns hängen und Dodon gar noch mit einem der abgeschlagenen Köpfe spielt, entspricht der holzhammerhaft plakativen Inszenierung Koskys, der ja auch den Astrologen mit seinem (singenden) Kopf unterm Arm auftreten lässt.  

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„Der goldene Hahn“ von Nikolai Rimski-Korsakow an der Komischen Oper Berlin. (2024). Foto: Monika Rittershaus

„Der goldene Hahn“ von Nikolai Rimski-Korsakow an der Komischen Oper Berlin. (2024). Foto: Monika Rittershaus

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Dick aufgetragen sind die Soldaten als Pferde, halb Mann, halb Tier, in Strapsen und Netzstrümpfen. Travestie auch bei den Ballettszenen vierer Herren mit viel Glimmer und Zeigefreudigkeit, wobei Schlachtenmusiken und Tänze weitgehen verharmlost, ja verschenkt werden. Es wird nivelliert auf das ein im Grunde trostlose Bild, das durch Choristen als schwarzverhüllte Mönchsgestalten noch trostloser wird. Lediglich beim großen zweideutigen, ironisch gemeinten Herrscherpreisen fährt Kosky ein buntes, Pandämonium von Choristen und Statisten als bunte Kostümparade auf. Über die zugegeben theatralisch souveräne Inszenierung kann man allerdings unterschiedlicher Meinung sein.

Von den dezidierten, feinsinnigen politischen Implikationen des zu Lebzeiten Rimski-Korsakows nie aufgeführten Stücks bleibt in Koskys Inszenierung kaum mehr übrig als der übertitelte Text, der (für uns heute) allerdings an ironischer Deutlichkeit nichts zu wünschen lässt. Wladimir Belski hat Rimski-Korsakow ein literarisch- philosophische Meisterwerk von Libretto geschrieben.

Der Komponist, der eine Vorliebe für exotische und sinnliche Tonwelten hatte, für farbige, chromatisierende, irisierende Klänge und exotisch anmutende Instrumentationen, geht in seiner letzten Oper „Der Goldene Hahn“ reservierter als sonst vor, seine harmonische Palette ist weniger gefällig als sonst und seine Melodien sind strenger als in den vorhergegangenen Werken. Gleichwohl handelt es sich um eine prächtige Oper. Der amerikanische Dirigent James Gaffigan bringt diese Musik so klar und transparent wie möglich zur Wirkung. 

Schon das handverlesene Sängerensemble erster Güte (in allen, auch nicht erwähnten Partien) und das tadellos spielende Orchester der Komische Oper Berlin sichern der Produktion das Etikett „Herausragend“.

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