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Netta Or bei den Schwetzinger SWR-Festspielen. Foto: SWR
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Höhepunkt: Francesco Cavallis „Veremonda, l’amazzone di Aragona“ in Schwetzingen

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Im Jahreskalender der Barockfestivals hat das Rokokotheater in Schwetzigen längst seinen festen Platz. Kein Wunder bei so viel höfischer Pracht. Nur der Zusatz SWR-Festspiele klingt da etwas nüchtern und bürokratisch. Im umfangreichen Programm gibt es immer einen barocken Leckerbissen für die Fangemeinde.

Der Geist von Georg Friedrich Händel, dieser sichersten Hausnummer in Sachen Barock und Vorreiter für den Boom der vorklassischen Musik im 20. Jahrhundert, spielt dabei immer mit. Aber mehr als historischer Bezugspunkt für die Einordnung der Ausgrabungen in ein Davor, Daneben oder Danach.

Francesco Cavalli ist ein großer Vorgänger, der sozusagen die Epoche zwischen Monteverdi und Händel beherrscht und von heute aus gesehen überbrückt. Der 1602 geborene Schüler und Nachfolger Monteverdis, der zu seiner Zeit in Italien der berühmteste Komponist war und über 30 Opern schrieb, starb 1676, neun Jahre bevor Händel das Licht der Welt erblickte. Eine regelrechte Cavalli-Begeisterung löste Herbert Wernickes legendäre „La Callisto“ Inszenierung aus. Seither verbindet sich mit dem Namen des Komponisten wieder eine konkrete Vorstellung.

Das Libretto, das Giulio Strozzi (1583-1652) für die 1652 in Neapel uraufgeführte Oper „Veremonda, l’amazzone di Aragona“ verfasste, ist für die barocke Fließbandproduktion von Operntexten nach gebräuchlichen Mustern, geradezu spannend. Es bietet erstaunlich differenzierte Charaktere und stellt obendrein auch noch starke Frauen in den Mittelpunkt einer Liebesintrige im Schatten der Endphase der spanischen Reconquista im Jahr 1244, der christlichen Rückeroberung der maurisch besetzten iberischen Halbinsel. Dabei wird der Orient bei diesem Clash der Kulturen von der maurischen Königin Zelemina, nebst Ratgeberin und anderem Personal, repräsentiert, die in der Festung von Gibraltar der christlichen Rückeroberung standhalten. Die christlich spanische Partei wird vom eher schöngeistigen, lieber die Sterne als das Schlachtfeld beobachtende König Alfonso und seiner Frau angeführt. Die hat eine Vergangenheit als Amazone und immer noch den dieser Spezies Frauen zugeschriebenen Kampfgeist. Womit sie ihren Gatten sowohl in Sachen Entschlossenheit, als auch mit ihren erotischen Eroberungsambitionen deutlich in den Schatten stellt.

Zum Motor der Handlung wird der attraktive, allseits begehrte Feldherr des Königs Delio, der mit beiden Königinnen sein Spiel treibt und gleichzeitig seinen Job zu machen und eine alte Rache-Rechnung zu begleichen versucht. Dabei spielt er mit dem Feuer. Weil Alfonsos Vater Delios Mutter vergewaltigt haben soll, versucht er nun seinerseits, die Königin Veremonda zu vergewaltigen. Es gehört zu den eher fantastischen Wendungen dieses Librettos, dass die Bedrängte sich da mit geheuchelter Liebe herauswindet. Anderseits bringt das doppelte Spiel, das sie und Delio treiben, eine Prise tv-serienreife Spannung in den Abend.

Für eine barocke Opernfigur wie Delio ist das ziemlich vielschichtig. Um dem stimmlich und darstellerisch mit Verve standzuhalten, ist der amerikanische Counterstar Lawrence Zazzo genau der Richtige. Ebenso ist dies Counter Matthias Rexroth: Sein warmes Timbre passt zu dem gegen Ende auch mal richtig wütend werdenden König. Netta Or führt als Ex-Amazone und Gattin des Königs nicht nur ihre Kämpferinnentruppe, sondern die Damen des Ensembles entschlossen an. In dem vermag sich vor allem Alexandra Samouilidou als Zelemina in der Rolle der bedrängten Herrscherin, gleichwohl selbstbewusst Liebenden und dann am Ende im lieto fine auch noch der gebrochenen Frau zu profilieren.

Bei Regisseurin Amélie Niermeyer, Stefanie Seitz (Bühne) und Kirsten Depphoff (Kostüme) spielt der Gegenwartsbezug, der sich in diesem Libretto von selbst ergibt, eine Rolle für die grundsätzliche Entscheidung, auf den direkten Bezug zu Versatzstücken barocker Theaterpracht zu verzichten. Über eine nüchterne Gegenwartsästhetik öffnen sie Assoziationsräume. Wobei die auftretenden allegorischen Figuren (von Il Crepuscolo (Johannes Mayer als Dämmerung) über Il Sole (Altus Alin Deleanu als Sonne) bis La Vendetta (Miriam Gadatsch als Rache), Amore (Ruth Katharina Peeck als Liebe) und Furore (Counter Leandro Bermudez Lafont als Wut) alle bei einem Conchita Wurst Casting mitmachen könnten.

Spanier und Mauren treffen hier in einem betont nüchternen Einheitsraum aufeinander, der Bunker- oder bestenfalls Lagerhallen-Atmosphäre verbreitet. Ein paar Leitern und Waffenkisten (mit den offenbar unvermeidlichen Kalaschnikows) genügen. Der Raum wird von einem flachen Wasserbecken geteilt. Was zu einem schönen poetischen Bild führt, wenn sich die entgegen aller politischen und Glaubensfronten Liebenden, Delio und Zelemina, über diesen Graben hinweg nur mit den Fingerspitzen berühren. Dass der Feldherr des spanischen Königs Alfonso dabei von der maurischen Herrscherin einen Ring bekommt, den er im Kampf um deren Festung nutzt, steht für die enge Verbindung die die Liebeshändel und die Haupt-und Staatsaktion barockoperntypisch auch hier hat. 

Am Ende kommt es ziemlich dicke: Da müssen Veremonda und Delio dem König beibringen, dass sie nichts voneinander wollten, als nur dem Feind die Festung abnehmen, was ihnen ja auch gelungen ist. Aber da konvertiert Zelemina auch noch zum christlichen Glauben, um Delios Frau zu werden, während im Schlusschor zum Massenmord an den übrig gebliebenen Mauren geblasen wird. Bis dahin hat sich die Wand, die die allegorischen Figuren zu Beginn ganz nach hinten geschoben hatten, wieder nach vorn bewegt. So dass alle, sichtbar traumatisiert, mit dem Rücken zu Wand stehen. Ein lieto fine sieht anders aus. Die Trümmer nach einem solchen Zusammenprall der Kulturen aber nicht.

In dieser Koproduktion mit dem Staatstheater Mainz sorgt Gabriel Garrido und die Spezialisten des Concerto Köln für einen packend erfrischenden Sound, der beim Parlando der Rezitative genauso maßgeschneidert sitzt, wie er die Protagonisten durch die ariosen Passagen trägt.

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