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Barbara Hannigan (Bérénice), Bo Skovhus (Titus). Foto: © Monika Rittershaus / OnP
Barbara Hannigan (Bérénice), Bo Skovhus (Titus). Foto: © Monika Rittershaus / OnP
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Im Pariser Palais Garnier begeistert die neue Oper „Bérénice“ von Michael Jarrell

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Der Schweizer Michael Jarrell (60) hat auch schon zu Texten von Christa Wolf (Kassandra) und Heiner Müller (Der Vater) Opern komponiert. Die eine davon wurde unter dem Titel „Cassandre“ 1994 in Paris uraufgeführt. Jetzt kehrte er wieder mit einer Uraufführung ins Palais Garnier zurück. Diesmal lieferte der französische Klassiker Jean Racine die Vorlage.

Aus dessen Tragödie „Bérénice“ aus dem Jahre 1670 hat sich der Komponist selbst vier Sequenzen (wie er es nennt) für sein Libretto zur jetzt uraufgeführten gleichnamigen Opernnovität gestrickt. Für die Pariser Oper war das Chefsache. Philippe Jordan hat die Partitur musikalisch einstudiert und die so wandlungsfähigen wie fabelhaften Musiker seines Orchesters hörbar von der Musik begeistern können. Mit Barbara Hannigan als Interpretin der Titelpartie und mit Bo Skovhus als Titus war das Versprechen von darstellerischer und stimmlicher Extraklasse gegeben und wurde restlos eingelöst. Dass Regisseur Claus Guth ein sensibler Perfektionist ist, der schon am Anfang seiner Karriere mit Inszenierungen neuerer Werke auffiel, bewährt sich jetzt im Stadium seiner Meisterschaft aufs Beste.

In Jarrells „Bérénice“ geht es – anders als in Mozarts populärer Variante „La clemenza di Tito“ – nicht um den inneren Zwiespalt eines Herrschers bei der Frage mit wieviel Milde er die Ausübung von Macht versehen sollte, sondern darum, auf wie wieviel Liebe und persönliches Glück er verzichten muss, um vom Senat und vom Volk als neuer Herrscher akzeptiert zu werden. Dass die Römer die jüdische Königin von Palästina Bérénice nicht offiziell an der Seite ihres Kaisers auf dem Thron sehen wollen, verleiht der Konstellation etwas prinzipiell Politisches. Über die Jahrhunderte hinweg. Titus entscheidet sich für Macht, trennt sich von seiner Geliebten und leidet darunter. Dass sein Freund Antiochus (Ivan Ludlow) ebenfalls heimlich in Bérénice verliebt ist, aber bei ihr keine Chance hat, macht das Beziehungstableau so richtig operntauglich.

Es ist imponierend wie alle drei ihr Leiden selbst körperlich nachvollziehbar machen. Der Prozess ihrer Loslösung voneinander gipfelt bei Bérénice und Titus in einer explosiven Entladung. Beide gehen bis zur Erschöpfung aufeinander los. Bei zwei so intensiven Sängerdarstellern wie Hannigan und Skovhus schließt das eine geradezu artistische Beweglichkeit ein. 

Die packend raunende Musik schleicht sich zunächst an, zieht Kreise, scheint dann aber mehr und mehr aus dem Inneren der Akteure zu kommen, vermag sich aufzubäumen und ist dabei so beredt wie die Partien der Protagonisten. Die hebräische Sprechrolle der Bérénice-Vertrauten Phénice fügt sich bruchlos ein. Die weiteren Figuren Paulin (Alastair Miles), Arsace (Julien Behr) und Phénice (Rina Schenfeld) sind so etwas wie die personifizierte Verbindung der Protagonisten zur Außenwelt.

Claus Guth und sein Bühnenbildner Christian Schmidt haben Jarrells Kammerspiel des Abschiedsnehmens in drei nebeneinander liegende klassizistische Räume verlegt. Der mittlere ist etwas größer, die zwei kleineren links und rechts davon könnten die Privatgemächer von Bérénice und Titus sein. Von ausgesuchter Raffinesse sind die Videoüberblendungen, die Roland Horvath und Carmen Zimmermann (rocafilm) beisteuern. Sie setzten als schwarz-weiß Slowmotion-Einblendungen das Volk als unwirkliche Außenwelt dem inneren Kampf der Protagonisten gegenüber. Machen aus den Innenwänden durch Überblendung wuchtige Mauern oder projizieren Bilder von einer Bérénice, die im Wasser schwebt, an die Wand. Manchmal imaginieren sie sogar ein leichtes Beben.

Für das intime neunzigminütige Kammerspiel in den repräsentativen Räumen der Macht, bildet die gelegentlich projizierte geisterhafte Anwesenheit des Volkes einen Rahmen, von dem sich die Akteure fernhalten. Gleichwohl können sie dem Druck der Massen nicht wirklich ausweichen. So unwirklich weit weg es zu sein scheint, der Druck existiert und wirkt indirekt nach innen.

Mit Michael Jarrells neuer Oper wurde im Palais Garnier jedenfalls ein exquisites Gesamtkunstwerk bejubelt. Und dem man eine weitere Verbreitung nur wünschen kann.

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