Es war ein cleverer Schachzug von Katharina Wagner, aus dem aufs nächste Jahr verschobenen neuen Nibelungen-Ring, einen kompletten Ring der besonderen Art zu machen. Den Rahmen dafür hatte sie mit dem „Diskurs Bayreuth“ bereits etabliert.
In den passte der Wagner erweiternde und genreübergreifende „Ring 20.21“ wie maßgeschneidert. Im Park steht die Installation „The Thread of Fate“ der Japanerin Chiharu Shiota für die „Götterdämmerung“. Für „Siegfried“ konnte man in den Walküre-Pausen in Jay Scheibs Kreation „Sei Siegfried“ mit einer 3D-Brille minutenlang interaktiv einen Drachenkampf im Festspielhaus bestehen. Nur die „Walküre“ gab es komplett. Dank Hermann Nitsch als ein recht farbenfrohes Konzert …
Zum Auftakt aber stand als „Rheingold“-Vertreter die Uraufführung der einstündigen Kammeroper „Immer noch Loge“ von Gordon Kampe zum Libretto von Paulus Hochgatterer auf dem Programm. Der mit vielen Talenten ausgestattete österreichische Puppenvirtuose Nikolaus Habjan machte aus Erda, Loge und den Rheintöchtern, die hier die große Katastrophe (am Ende der Götterdämmerung) überlebt haben, seine ganz eigenen Kreationen. Die überlebensgroße Erda-Klappmaulpuppe, die im Rollstuhl sitzt und als Urmutter Anklägerin und Richterin in einem ist, führt Habjan selbst. Zwei der Rheintöchter bewegen sich munter im Wasser und schleppen eine leblose Dritte im Bunde mit sich durchs ziemlich schlammig wirkende Teichwasser.
Eine ist Sopranistin Daniela Köhler. Die andere, Altistin Stephanie Hutzeel, leiht auch noch Erda die Stimme. Bariton Günter Haumer singt und verkörpert nicht nur Loge, sondern übernimmt auch den Gesangspart der dritten Rheintochter. Anfangs sind die singenden Protagonisten links von den sieben Musikern (an Violoncello, Kontrabass, Klarinette und Bassklarinette, Horn, Trompete, Posaune und Schlagzeug) deren Leitung der Komponist übernommen hat, in schwarzer Konzertrobe postiert. Es gehört zu den überraschenden Effekten, die Regisseur Habjan und sein Ausstatter Julius Theodor Semmelmann bereithalten, wenn Daniela Köhler als erste ihre Postion verlässt, mit ihrer eleganten Abendrobe in die Brühe steigt und fortan in räumlicher Nähe zu ihrem Puppen-Alter Ego singt. Auch Loges Anzug, der als Angeklagter zunächst unsichtbar in einem mit einer Festspielfahne abgedeckten Sarg am Fuße eines Steges gefangen gehalten wird, wird ziemlich nass.
Diese Auflösung der Trennung von singenden und spielenden Akteuren ist dramaturgisch gut platziert, sorgt mit dafür, dass die zweihundert auf Abstand um den Teich platzierten Zuschauer bei der Sache bleiben. Also bei dem Prozess, in dem Loge für die große Katastrophe verantwortlich gemacht wird. Der Feuergott als Feuerteufel sozusagen. Was schon seltsam wirkt, wenn man bedenkt, wer die Auftraggeber fürs finale Lodern waren. Aber weder Wotan, noch dessen Widersacher von den Nachtalben oder auch Brünnhilde können noch nach ihrem Beitrag zum Untergang befragt werden. Deren Asche lässt Erda in Einweckgläser füllen. Vielleicht will die Urmutter ja einen Vorratskeller für verbrannte Erfahrungen anlegen!? Man weiß es nicht. „Götterburgengrößenwahn. Gemeiner Frauenverkauf. Insolvenzverschleppung, die nur durch Betrug und Raub erzielt werden kann. …Anstiftung zu… Diebstahl, Erpressung, Totschlag“, was Erda hier vorbringt, fasst die verwerflichen Aktivitäten im Ring treffend zusammen. Doch die werden allesamt Loge angelastet. In unserem Rechtsverständnis hätte er mit einem guten Anwalt wohl Chancen, glimpflich davon zu kommen. Hier soll er via Sprengstoffgürtel in Flammen aufgehen. Was allerdings für jemanden, zu dessen Gestalt auch die wabernde Lohe gehört, eher ein Witz ist. Oder ein diabolischer Scherz. Erda ist halt auch nicht mehr die Jüngste. Sie beschwört „Das Ende!“ und „Das Nichts“. Und lächelt. Was alle häufig als Neuanfang inszenierte Schlussszenen der „Götterdämmerung“ ad absurdum führt. Also im abgründigen Scherz den „Ring“ grundsätzlich hinterfragt?
„Immer noch Loge“ kreist auch musikalisch über Wagners Ring, schaut und hört mal schärfer, mal mit bewusster Distanz auf das weltmärchenhafte Original. Bietet wie im Text, so auch in der zwischen eloquentem Parlando, pointierten Marschrhythmen, großer Geste und dem souveränen Gespür fürs Szenische changierenden Musik Kampes assoziativen Witz. Weit genug entfernt von Wagner, aber doch in seinem Universum und mit etlichen Déjà-vu-Momenten für Wagnerianer. Im Falle der Uraufführung im Garten der Gralsburg zu des Meisters Ruhm obendrein im Bündnis mit dem genius loci.