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Insulaner im Spreewald

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Uraufführungen von Mike Svoboda und Vassos Nicolaou
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Die größten Überraschungen gibt es in der sogenannten Provinz. Wer hätte für möglich gehalten, dass just das Philharmonische Orchester des Staatstheaters Cottbus seit Jahren eines der innovativsten Konzertprogramme auffährt?

Das ist mutig: Nicht weniger als 55 Uraufführungen verbucht das Philharmonische Orchester des Staatstheaters Cottbus seit dem Amtsantritt seines derzeitigen Generalmusikdirektors Evan Christ. Der ist nicht etwa seit 55 Jahren im Amt – ein neues Werk pro Saison wäre für viele Klangkörper durchaus ein Akt – sondern kam erst 2008 ins brandenburgische Cottbus. Und brachte sofort zwei Composer-in-Residence mit, startete ein Jahr später die Reihe „Acht Uraufführungen in acht Konzerten“, holte namhafte Ensembles-in-Residence ans Haus.

Auch darüber hinaus scheint der junge Amerikaner (geboren in Los Angeles, aufgewachsen in Las Vegas) recht umtriebig zu sein, was einer sinnvollen Vernetzung in diesem Metier nur zugute kommen kann. So war er 2013 als Juryvorsitzender beim Internationalen Aeolus Bläserwettbewerb in Düsseldorf und kam dort geradezu zwangsläufig mit Sieghardt Rometsch in Kontakt. Der 1938 geborene Banker erfüllt sich seinen Lebensabend als Mäzen und widmet sich – als gelernter Hornist – vornehmlich den Blasinstrumenten. Seine 2004 ins Leben gerufene Sieghardt-Rometsch-Stiftung hat sich der Förderung hochbegabter junger Musiker verschrieben und richtet seit inzwischen zehn Jahren den im Zeichen  des Windgotts stehenden Bläserwettbewerb aus.

Zur Feier des ersten Dezenniums gab es einen Kompositionsauftrag für die Preisträger, den die Sieghardt-Rometsch-Stiftung ausgeschrieben hat. Und da nach dem turnusmäßigen Wechsel des Instrumentariums 2013 der Wettbewerb für Trompete, Posaune und Tuba ausgetragen wurde (in anderen Jahren sind Horn sowie Holzblasinstrumente dran), ist die seltene Gattung des Tripelkonzerts um eines für diese drei Instrumente bereichert worden.

Jurymitglied Evan Christ ließ es sich nicht nehmen, das Staatstheater Cottbus und die Brandenburgische Kulturstiftung am Kompositionsauftrag mit zu beteiligen, folglich kam es Mitte April zur Uraufführung im dortigen Haus. Wenn man nun weiß, wie sehr das Neue dort schon im Repertoire etabliert ist, so konnte die Programmgestaltung des 7. Philharmonischen Konzertes nicht sehr überraschen. Wer sich aber erstmals unter das brandenburgische Konzertpublikum mischte, kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Denn es sollten gleich zwei Uraufführungen erklingen! Und sie waren nicht etwa verschämt als modernistische Feigenblätter in einem Konzertprogramm mit klingenden Zugpferden aus dem Wunschkonzert-Repertoire versteckt, sondern stachen als zentrale Werke eines von zwei Kompositionen Carl Nielsens umrankten Abends hervor. Nicht minder überrascht hat der erwartungsvolle Zustrom im nahezu ausverkauften Auditorium – und erst recht die Klangqualität dieses auf eine Gründung von 1912 zurückgehenden Orchesters.

Die Philharmonie überzeugte schon in der Ouvertüre zur Oper „Maskerade“ von Carl Nielsen. Hierzulande gewiss kein sehr populäres Entree, in Dänemark zählt dieses 1906 uraufgeführte Opus des vor 150 Jahren geborenen Meisters als Nationaloper. Mehr noch bestach zum Konzertende dessen 2. Sinfonie, in der die vier Temperamente musikalisch beschrieben sind. Unter dem mit großen Gesten betriebenen Dirigat von Evan Christ ein empfindungsreich nachvollziehbarer Streifzug durch cholerische, phlegmatische, melancholische und sanguinische Daseinsformen.

An zentraler Stelle des Abends jedoch stand – noch vor dem voll tönender Reibungen steckenden, von Strom und Gegenstrom getriebenen Auftragswerk „Wechselströme“ des Staatstheaters an den 1971 auf Zypern geborenen Komponisten Vassos Nicolaou – das Tripelkonzert für Trompete, Posaune, Tuba und Orchester von Mike Svoboda. Der 1960 auf der Pazifikinsel Guam geborene, in den USA aufgewachsene und heute in der Schweiz lebende Musiker ist praktizierender Posaunist und hat sich dem Erkunden spielerischer Möglichkeiten von Blasinstrumenten verschrieben. Sein zweiteiliges Tripelkonzert leitete er mit gemeinsamem Tönen der Soloinstrumente ein, die kaum mehr nach Trompete, Posaune und Tuba klangen, sondern zu etwas Neuem verschmolzen. Das als Solist behandelte Tripel erhielt jedoch alle Freiheit zum Auf- und zum Ausbruch, spaltete sich tönend in die Bestandteile auf und stellte sich in spannungsvolle Bezüge zum großen, mit perkussiv jazzigen Phrasen begleitenden Orches­terapparat.

Svoboda forderte die Soli ebenso heraus – neben geblasenen Salven tönten Atemgeräusche, Ansatzvarianten und gedämpfte Passagen – wie das Ensemble, das mal mit andächtigem Streicherton, mal mit fast romantischem Orchesterklang, dann auch mit heftiger Schlagzeugkraft aufwarten sollte. Die teils ungewöhnlichen Spielweisen fügten sich aber harmonisch ineinander, waren kein Selbstzweck, sondern bildeten Höhepunkte mit Hör- und Schauwert Dass Tom Poulson, Trompete, Sebastian Kemner, Posaune, und Rubén Durá de Lamo, Tuba, neben aller Anstrengung auch richtig Spaß an diesem Tripelkonzert hatten, war weder zu überhören noch zu übersehen. Dem Trio aus Schweden, den Niederlanden und Portugal hat der Aeolus-Preis nachhaltige Erfolge gebracht. Man könnte inmitten all der Gesangs-, Klavier- und Streichinstrumentwettbewerbe von einer glücklichen Insel reden, auf der sich die in dieser Hinsicht etwas vernachlässigten Blasmusiker im Zeichen des Windgottes tummeln dürfen.

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