Jukka Tiensuu lässt das Instrument wie eine Orgel erklingen. Der finnische Komponist verschließt sich verbaler Erklärung und führt das Akkordeon in „Aion“ auf sein Wesen zurück: Luft wird per Balg durch Klänge erzeugende Zungen gepresst. Ganz anders „Trionfale II“. Helmut Zapf kombiniert hier ein Akkordeon-Duo mit Blechbläsern – seltsam reizvoll mischt sich beiderlei Sound bis hinein in geräuschhafte und perkussive Momente. „Dekonfabulation“ des jungen Spahlinger-Schülers Johannes Kreidler verwendet Splitter aus Popsongs und anderen Radioklängen – Akkordeonist und Schlagzeuger müssen knapp kommentieren.
Daniel Göritz indes hat seine E-Gitarre parat und und lässt in seinem Trio „Brachinus Crepitans“ noch einen Kontrabass swingen. Dem Experimentieren sind keine Grenzen gesetzt und in der kleinen evangelischen Kirche St. Annen mischen sich Fachwelt und Dorfpublikum. Die Interpreten geben das ihre dazu: Susanne und Veli Kujala vertreten die finnische Tradition, Christine Paté lernte als Kind in Lyon die Musette, Bettina Buchmann studierte bei Anzellotti in Bern und spielt sehr kontrolliert. Mit Absicht hat das Festival ästhetisch ungleiche Spieler nach Zepernick eingeladen – vier Deutsche komplettieren das Feld der Solisten, die vier Abende lang Werke für und mit Akkordeon realisieren; den populistischen Höhepunkt bildet das Nürnberger Akkordeonorchester mit Stefan Hippe am Pult. Unterschiedliche Handschriften, Generationen und Sozialisationen treffen musikalisch aufeinander – so lautet das „Randspiele“-Konzept. Das bedeutet hier im Nordosten Berlins konkret auch, gehäuft Vertretern der einstigen DDR-Avantgarde zu begegnen, die anderswo keine Plattform mehr haben. Georg Katzer trifft man hier an, Ralf Hoyer und Hermann Keller, aber eben auch Jin-Ah Ahn, Olga Rajewa, Peter Köszeghy und andere der nachrückenden Jungen. Aus beider Begegnung erwächst in manchem Moment etwas verloren Geglaubtes: dass es Dialoge gibt zwischen den Generationen und dass hochkarätiges kompositorisches Handwerk noch immer gepaart sein kann mit Redlichkeit und politischer Integrität. Avanciertes „made in GDR“ ins vereinte Deutschland zu retten und für Heutiges schlichtweg offen zu sein – auf diese Formel könnte man die „Randspiele“ lapidar bringen. Das Kleinfestival erwuchs aus kirchenmusikalischem Tun und daraus resultiert die Verankerung an einem Ort, an dem man zeitgenössische Klänge zunächst nicht vermutet.
Seit Anfang der 90er-Jahre stehen die Zepernicker Kantorin Karin Zapf und Georg Katzers ehemaliger Schüler Helmut Zapf hier im Brandenburgischen für Programm und Organisation. Das Land, der Landkreis und der Energiekonzern EWE fördern die Initiative. Das Festival ist ein Highlight mit internationalen Kontakten in einer sonst kulturell armen Region. Wer hier uraufgeführt werden will, muss sein Werk allerdings stiften – trotz namhafter Partner wie Pro Helvetia, der GEMA, dem Deutschen Musikrat, Deutschland Radio Kultur und der Akademie der Künste sind die Mittel extrem knapp. Im Regelfall kommen Musiker, Komponisten und Künstler anderer Sparten jedoch nicht aus finanziellen Gründen hierher, sondern um sich hier zu positionieren, wo der Diskurs über Musik und Gesellschaft nicht in festgefahrenen Bahnen verläuft. Für Lothar Vogtländer und Helmut Oehring gilt das ebenso wie für Dieter Schnebel und Max E. Keller sowie für die zahlreichen Jungen aus aller Welt, die im nahen Berlin zu wenig Förderung finden. Was Alexandra Filonenko, Michael Jordan und Gary Berger, Blazej Dowlasz, Matthew Whittall oder Sakari Raappana hier in Zepernick bieten, lebt indes nicht von politischer Reibung und ästhetischer Innovation – es ist die Vielgestalt der Stile, welche die junge Generation charakterisiert.
Das „III. Zepernicker Liederbuch“ ist dafür ein äquivalenter Beleg. Es handelt sich um eine Folge von fünfzehn eigens neu geschriebenen Werken verschiedener Machart, deren Bindeglied das Akkordeon ist. Anna Maria Sommer, Jahrgang 1981, eröffnet mit der Performance „Simone“. Es ist ihre erste Komposition. Friedrich Schenker gibt zwei neue „Feldmusiken“ hinzu, aparte Satiren auf Militärisches; Friedrich Goldmanns „4 Duos für Orgel und Akkordeon“ stechen durch Klangschönheit hervor. Für das Highlight indes stehen vier Nachwuchs-Talente: das hochtalentierte Sonar-Streichquartett aus Berlin bietet Quartette von Peter Köszeghy, Helmut Zapf und Mathias Hinke mit so viel Spielwitz, Emotion und Experimentierlust, wie man sie heute auf Avantgarde-Podien selten hat. Vielleicht verdankt es sich gerade auch diesem Konzert, dass Festivalleiter Helmut Zapf als überzeugendster Komponist dieses 15. „Randspiele“-Jahrgangs in Erinnerung bleibt – mit gleich mehreren Arbeiten von beachtlicher Reife und Dimension.