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Naima Laube, Vokalistinnen des Damenchors des Staatstheaters Braunschweig. SEARCHING FOR ZENOBIA © Judith Buss

Naima Laube, Vokalistinnen des Damenchors des Staatstheaters Braunschweig. SEARCHING FOR ZENOBIA © Judith Buss

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Lucia Ronchettis „Searching for Zenobia“ eröffnet die Münchener Biennale

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Elf Uraufführungen gibt es bei der fünften und letzten von Daniel Ott und Manos Tsangaris kuratierten Münchener Biennale für Neues Musiktheater vom 31. Mai bis 10. Juni unter dem Motto „On the Way“. Die von Menschen beschleunigte Evolution steht zur 19. Runde des größten Musiktheater-Uraufführungsfestivals der Welt im gedanklichen Mittelpunkt der Koproduktionen mit dem Theater Basel, der Deutschen Oper Berlin und dem Staatstheater Kassel. Die erfolgreiche Eröffnungspremiere des Musiktheaters „Searching for Zenobia“ entstand mit dem Staatstheater Braunschweig. 

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In den vergangenen Jahren hat die italienische Komponistin Lucia Ronchetti (geb 1963) die mitteleuropäische Musiktheater-Landkarte kontinuierlich mit einem immer dichteren Netz ihrer performativen Präsenz überzogen. Nur fünf Wochen nach der Schwetzinger Uraufführung ihrer Oper „Der Doppelgänger“ folgt jetzt Ronchettis bei der Münchener Biennale mit fast reportagehafter Rasanz produziertes „Musiktheater für Mezzosopran, Schauspielerin, syrische Vokalistin, Frauen-Vokalensemble, Streicher und syrischen Perkussionisten“. Eigentlich ein gutes Zeichen: Einige Komponist:innen – Stefan Heucke ging es im Mai mit drei Uraufführungen beim Bachfest Münster und am Theater Regensburg ähnlich – kommen unter Uraufführungsdruck, was auch ein Zeichen gehobenen Bedarfs ist. 

Ronchettis langer Untertitel vereint äußerst heterogene Ensemblegruppen: Ein Streichsextett des Staatstheaters Braunschweig und sechs Vokalistinnen aus dem Damenchor des Staatstheaters Braunschweig sind in Entsprechung. Die syrische Vokalistin Mais Harb und der syrische Schlagzeuger Elias Aboud dagegen als Solitäre. Sie alle sind in die schlichte Choreographie von Isabel Ostermann verwoben. Ausdrücklich dankt Ronchetti der Braunschweiger Operndirektorin und Regisseurin für deren Fähigkeit, „äußere und innere Konflikte zu sehen und zu analysieren“, auch „Lösungen zu finden“. 

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In einem herkömmlichen Opernhaus kann man sich das zwischen drei Zeitebenen schwebende Werk schwerlich vorstellen. Das Publikum sitzt in der Muffathalle auf Podesten an den Längsseiten. Nähe, Distanz und Perspektiven sind äußerst vielfältig und waren in dieser Hörform erwünscht. Das gilt auch für die dynamische Gewichtung und Organisation der Gruppen durch die Dirigentin Susanne Blumenthal. Auf dem langen Steg mit Erhebungen finden sich eine Bank und ein Wasserbecken. Dieser Steg gleicht gefrorener Zeit. Eine Schwimmweste, Zeichen für Risiken einer Flucht, und ein Buch sind die wichtigsten Requisiten. Das Buch enthält die Aufzeichnungen der Archäologin Zeina. Sie ist aus Syrien nach Deutschland gekommen, ihre Tochter Leila hier aufgewachsen. Zwischen der Tochter und der in dieser Inszenierung sehr jungen Mutter gab es Konflikte, weil diese Zeinas ständige Erinnerungen an Syrien nicht mehr aushielt und ihre eigene Identität finden wollte. Erst im Endstadium von Zeinas tödlicher Magenkrankheit versichern sich Mutter und Tochter wieder ihrer Gefühle. Zeida beruflicher Lebensinhalt war die antike Königin Zobaida. Die syrische Vokalistin Mais Harb singt erst für diese Figur der Vergangenheit, verschmilzt dann in einer sehr opernhaften, wenn auch musikalisch verhaltenen Schlussszene mit Zeinas Tochter.

Dieser Sterberaum von Ronchettis Partitur ist im Mittelpunkt der von Stephan von Wedel durch die Muffathalle gezogene Steg-Topographie. Erst nach längerem Text und Abouds Trommel-Promenaden setzen die Streicher gerade Akkorde, werden diese vom Frauensextett aufgegriffen und in vokale wie physische Bewegung gebracht. Male Harb singt erst aus der Tonloge und dringt dann in das musikdramatische Geschehen ein. Hier bedingen sich Vertonung, Regie und Interpretation zu einem ruhigen, suggestiven Fluss. 

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Milda Tubelytė SEARCHING FOR ZENOBIA von LUCIA RONCHETTI © Judith Buss

Milda Tubelytė SEARCHING FOR ZENOBIA von LUCIA RONCHETTI © Judith Buss

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Die syrische Königin und Identifikationsfigur Zenobia aus dem Halbdunkel der spätantiken Eroberungsgeschichte wurde nach blutigen Kämpfen, an denen Zenobia aktiv teilnahm, von Kaiser Aurelianus im Triumphzug nach Rom geschleppt. Davor zeigte ihm Zenobia die militärstrategischen Zähne. Die Figur tritt mit Zitaten aus Tommaso Albinonis Oper „Zenobia, regina di Palmireni“ aus dem Jahr 1694 auf. Milda Tubelytė singt eine Koloraturarie. Es ist das einzige stark konturierte Stück in Ronchettis Musiktheater, mit leiser und dabei markanter Verfremdung durch die Begleitung. Der Autor Mohammad Al Attar hat keineswegs an eine zielstrebige Struktur gedacht. Erfahrungen syrischer Flüchtlinge in den Zufluchtsländern, auch von Mitwirkenden, fließen ein und offenbaren profunde Missverständnisse. Das 2015 von ISIS zerstörte Palmyra ist nicht nur ein traumhafter Nostalgieort in den Köpfen schöngeistiger Europäer, sondern in der Lebensrealität Einheimischer vor allem Standort der Tadmur-Gefängnisse, in denen grausame Folterungen an Dissidenten vollzogen wurden. 

Die Archäologin Zeina nennt sich selbst einen „Zirkusaffen“ der deutschen Kulturszene, empfindet ihre Führungen über (alt-)syrische Kunst im Museum für andere Geflüchtete nicht nur als Angebot, sondern auch als andere subtile Ausgrenzung. Dieser Konflikt bedrängt sie noch mehr als die Auseinandersetzungen mit der Tochter: Was weiß man in Deutschland über das Lebensgefühl und Bewusstsein der Lebensextreme? Ronchetti und Al Mohammad setzen in Dialogen und Begegnungen ihrer Figuren Fakten zueinander in Beziehung, konfrontierten Gefühl und Gewissheit. Daraus wachsen viele Fragen ohne Antworten. Ronchettis Musik schwebt in erweiterter Tonalität und harmonischen Engführungen. Diese Musik weiß oft nicht, wohin. Letztlich wurde „Searching for Zenobia“ ein Report der Ratlosigkeit mit einem Appell an Empathiefähigkeit, welche aus Durchleuchtung der Gründe hinter den sichtbaren Fanalen sichtbar wird. Auch deshalb ist der Applaus nicht laut und trotzdem nachgiebig.

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