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Don Carlos in Chemnitz. Foto: Dieter Wuschanski / Die Theater Chemnitz gGmbH
Don Carlos in Chemnitz. Foto: Dieter Wuschanski / Die Theater Chemnitz gGmbH
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Männer als Flaschen – Chemnitzer „Don Carlos“ als Nachschlag zum Verdi-Jahr

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Verspätung in Sachsen? 2013 war doch Verdi-Jahr, wieso bringt die Oper in Chemnitz jetzt, da sich alle Häuser auf Richard Strauss einspielen, einen „Don Carlos“ heraus? Die einfachste Antwort: Jedes Jahr ist Verdi-Jahr! Vielleicht sind die Sachsen manchmal ja doch besonders helle und spielen, wenn alle Welt Wagner spielt, 2013 beispielsweise György Ligeti und ernten damit großen Erfolg.

Die Oper Chemnitz hat es getan und landete zumindest mit dem Namen des Bühnenbildners einen kleinen Coup. Leider ist die Inszenierung in der Optik von Georg Baselitz schon wieder abgespielt. Doch statt nun Richard Strauss zu spielen, weil der vor 150 Jahren geboren worden ist, holt das Haus in der einstigen Industriestadt nun den Verdi-Geburtstag nach und zeigt einen neuen „Don Carlos“.

Die vieraktige Fassung in der Regie von Helen Malkowsky wurde musikalisch von Generalmusikdirektor Frank Beermann geleitet und ist zur Premiere am 1. Februar vom Publikum ziemlich bejubelt worden. Gab es da vielleicht sängerische Offenbarungen in der Provinz? Sind Stimmen zu entdecken gewesen, die in Kürze auch überregional für Furore sorgen werden? Oder hat es einen inszenatorischen Ansatz gegeben, der das auf Schillers Drama basierende Opus in einem ganz neuen Licht erhellt?

Nichts von alldem. Von alldem nichts, leider. Das Solistenensemble wirkte anfangs sogar reichlich bemüht und man hatte Sorge, dass alle Protagonisten halbwegs mit Anstand (und offenbar ohne Italienisch-Coach) durch den langen Abend kommen werden. Auch mit dem Orchester, der Robert-Schumann-Philharmonie, war nicht in purer Italienità mitzufiebern, sondern vor allem Geduld gefragt. Und die nicht nur schnörkellose, sondern auch ideenarme und teils sehr bemüht wirkende Inszenierung ließ einen schier endlosen Abend erwarten.

Dabei ist im „Don Carlos“ doch mehr als genug Konfliktpotential vorhanden, wie schon ein kleiner Blick in den Opernführer beweist. Wer sich dann noch die – für eine Neuproduktion unbedingt zu erwartende! – Mühe macht, Libretto und Partitur miteinander abzugleichen, sollte Futter mehr als genug für ein höchst spannungsvolles Theaterereignis finden. Da sollte es vier Stunden lang knistern, auf dass man schier atemlos hört und schaut, schaut und hört.

Doch der verspätete „Don Carlos“ braucht, siehe oben, vor allem Geduld. Das Orchester muss sich einen ganzen Akt lang erst warmspielen, bis es dann musikalische Glanzpunkte setzen kann und zu klanglichem Feuerzauber aufgelegt ist. Das macht die anfängliche Langeweile beinahe vergessen. Enorm gesteigert haben sich auch Maraike Schröter und Adam Kim als Königin Elisabeth und Marquis von Posa. Musste angesichts stark gepresster Höhen zunächst gebangt werden, ob unter diesem Druck Durchhaltevermögen entstehen kann, so haben beide bemerkenswerte Sicherheit gefunden und zumindest die zweite Halbzeit über für schönes Tonmaterial sorgen können. Dramatisch expressiv gaben sich auch Tuomas Pursio und Christian Juslin als König Philipp und dessen zunehmend in Rivalität geratender Sohn Carlos. Als wirklich starke Frau erwies sich allein die Eboli von Anna Danik, deren schwindende Macht in auch hörbare Zerrissenheit umschlägt. Nobel sonor der Großinquisitor von Kouta Räsänen, und auch Matthias Winter als mönchischer Wiedergänger Karls V. hinterließ starken Eindruck.

Sollte dieses Ensemble gemeinsam mit Chor und Orchester in künftigen Aufführungen vom Start weg pointierter agieren, wäre der Chemnitzer „Don Carlos“ als Hörereignis ein kleines Fest. Die über weite Strecken ausbleibende Dramatik im Bühnengeschehen könnte damit allerdings nicht wettgemacht werden. Helen Malkowsky und ihre Ausstatterin Kathrin-Susann Brose haben eine für alle Szenen anständige und nachvollziehbare Optik gefunden, der Palast ist zeitlos modern, historische Hinweise ergeben sich aus großflächig drapierter Beflaggung und Porträts à la El Greco und Velazquez. Eine nachvollziehbar glaubhafte Personenführung findet darin freilich nicht statt, mitunter geraten Gesten bis an die Grenzen unfreiwilliger Lächerlichkeit (soll Wut gespielt werden, wird ein Stuhl umgeworfen, aha!, der sich betrogen fühlende König verzweifelt mit einem halben Glas Whisky, oho!, und in der Sterbeszene Posas benimmt sich Carlos so hilflos, als gehe ihn der Freund gar nichts an, o weh!). Warum alle Männer, mit Ausnahme des Großinquisitors, dessen Brandnarben im Gesicht die Nähe zum „himmlischen“ Höllenfeuer suggerieren sollten, als Flaschen gezeigt werden mussten, erschließt sich nicht. Eine gelungene Verschränkung unterschiedlicher Szenen und Auftritte gelingt mit der kräftig eingesetzten Drehbühne, die Autodafé, Thronbesteigung und Flanderns Deputierte (die jedoch aussehen wie verspätete Flugkapitäne) geschickt zu montieren hilft. Da bekommen die Handlungsstränge Bewegung, obwohl gerade die Chorszenen – bis auf ein paar Anspielungen auf die ewigen Geheimdienstler (als Gag?) – meist statuarisch bleiben.

Jedes Jahr ist Verdi-Jahr? Aber ja, keine Frage. Sein Werk ist nicht an Jubiläen geknüpft. Erhellender wird es gepflegt, wenn es als das gezeigt wird, was es ist: Theater aus dem Geist der Musik. Dies ist der Chemnitzer „Don Carlos“ seinem Schöpfer schuldig geblieben.

P.S.: Wagner und Strauss, die beiden großen Opern-Richards, sind übrigens auch im Chemnitzer Spielplan zu finden.

Termine: 16.2., 2., 9., 21.3.2014

www.theater-chemnitz.de

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