Ein Musiktheater-Projekt für die Kleinsten eröffnet die „Tamáss“-Reihe am Mainzer Staatstheater. Andreas Hauff hat es sich angesehen und ließ sich beeindrucken.
Erfahrung macht skeptisch: Will da nicht wieder einmal ein Theater zu viele Fliegen mit einer Klappe schlagen? „Zweieinander“, die jüngste Musiktheater-Premiere am Staatstheater Mainz, leitet eine zweijährige Kooperation zwischen der etablierten rheinland-pfälzischen Bühne und einer freien Musikgruppe ein. Das gemeinsame Projekt mit der Mannheimer Oriental-Jazz-Formation LebiDerya, das vom Fonds „Doppelpass“ der Kulturstiftung des Bundes gefördert wird, heißt „Tamáss“ nach dem arabisch-persischen Wort für „Kontakt“ und „Grenze“. Es soll nicht nur die Begegnung zwischen zwei Kulturen thematisieren, sondern auch zwischen Komposition und Improvisation changieren und – nicht zuletzt – das schmale Musiktheater-Repertoire für das Kindergartenalter bereichern.
Aber sieh da: Regisseur Anselm Dalferth und Ausstatterin Birgit Kellner vom Staatstheater, der Trompeter Johannes Stange und der Perkussionist Joss Turnbull von LebiDerya machen eigentlich alles richtig, in dem sie in mehrfacher Hinsicht „klein anfangen“ – mit einem 45-minütigen Zwei-Mann-Programm, das sie zuvor in drei Mainzer Kindertagesstätten entwickelt und erprobt haben. Im Probenraum 2 des Kleinen Hauses sitzen nun voneinander abgewandt auf einem großen blauen Teppich die zwei Musiker – einer mit grünen, einer mit lila Socken, und um sie herum drei- bis fünfjährige Kinder, die eine Hälfte auf grünen, die andere auf lila Matten.
Stange und Turnbull fangen mit und auf ihren Instrumenten zu spielen an. Nach und nach entlocken sie ihnen die verschiedensten Geräusche und Klänge, dazu klopfen sie auch auf den Boden, und dass sie gleich am Anfang dazu munter die Füße in den bunten Socken bewegen, macht den Kleinen schnell klar: Wir sind hier nicht im Konzert, sondern in einem instrumentalen Theater. (Mauricio Kagel lässt die Erwachsenen grüßen.) Mal spielt jeder für sich, mal entsteht ein Dialog, mal eine gemeinsame Aktion – ein „Zweieinander“ eben, wenn man so will. Spieltechnisch ist dabei auf der Trompete alles erlaubt zwischen Jazzelementen und experimenteller Musik, und die von Joss Turnbull gespielte persische Kegeltrommel „Tombak“ gestattet nicht nur ein dunkles „tom“ auf der Fellmitte und ein helles „tak“ auf dem Rand, sondern auch das Klopfen auf dem Korpus und das Schnipsen und Kratzen auf dem Fell. Drei Spieltechniken eines Instruments werden den Kinder jeder Hälfte auch erklärt, von ihnen imitiert und einander vorgeführt, und daraus erwächst dann ein für eine Weile ein musikalisches Mitmachtheater.
Nicht nur Mitmachtheater
Doch plötzlich ist eine rote Rolle LKW-Plane mit im Spiel. Sie taugt nicht nur als Schlaginstrument, sondern als auch zum Hereinblasen, und schließlich wird sie quer über den Teppich ausgerollt. Die Musiker balancieren aufeinander zu wie über einen Schwebebalken, drücken sich mühsam aneinander vorbei, und marschieren dann doch gemeinsam zu Zirkus-Musik gemeinsam weiter wie zwei vergnügte Clowns. Immer wieder lacht das junge Publikum, tuschelt mit dem Nachbarn oder gluckst vor Vergnügen. Der Perkussionist nimmt die Trompete und legt sie demonstrativ vor sich aufs rote Band. Gaaaanz langsam, in Zeitlupe und Stück für Stück, zieht der Trompeter das Band zu sich herüber; als er sein Instrument endlich wieder in der Hand hält, belohnt ihn ein Knirps mit einem enthusiastischen „Bravo!“.
Und dann kommt etwas, was auch die Kleinsten aus ihrem Alltag schon kennen: Der verbindende Balken wird auf einmal zur Grenze, jedem der Musiker „gehört“ plötzlich eine Hälfte, die verteidigt werden will. Drohend schwingen die beiden ihre Instrumente gegeneinander, „Aua!“ schreien die Kinder in vorauseilendem Schrecken – und einen Moment später sind die Kontrahenten wieder zur Versöhnung bereit. Bei Erwachsenen, denkt der Beobachter, geht das oft anders aus – und ist gespannt auf die Fortsetzung dieser „Tamáss“-Reihe, die am Ende der Spielzeit in 2016/17 in ein großes interkulturelles Musiktheater-Projekt münden soll.