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10 in aufreizend knappen roten Kleidern mit langen Handschuhen gekleidete Männer und Frauen tanzen verführerisch vor einem schwarzglitzernden Vorhang.

Ein burleskes Frauenensemble? Bedingt: Welche Geschlechter hier bei „La Cage aux Folles“ ihre Weiblichkeit feiern ist teils unklar und meist wohl auch irrelevant. Foto: Sylwester Pawliczek/MACHMAMACHMA

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Matthew Wilds „La Cage aux Folles“-Inszenierung am Staatstheater Kassel: Geradeaus aber mit Tempo

Vorspann / Teaser

In musicalaffinen Metropolen wie Wien oder Berlin gibt sich auch das Publikum gerne mal betont queer, wenn ein einschlägiger Hit wie „La Cage aux Folles“ auf dem Programm steht. In der Wiener Volksoper ist es schon vorgekommen (bei einer letzten Vorstellung in der Spielzeit etwa), dass die Dragqueens der Stadt in Putz und Fummel gleich in mehreren Ranglogen residierten, die Regenbogenfahne über die Brüstung drapierten und dann auch noch von der Intendantin des Hauses am Ende sozusagen offiziell gegrüßt wurden.

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So flippig ging es in Kassel bei der jüngsten Premiere des Broadway-Musicals aus dem Jahre 1983 nicht zu. Wenngleich das Publikum auch im Staatstheater aus seiner Sympathie für die Botschaft, die dieses Musical neben und hinter allem Klamauk immer auch transportiert, keinen Hehl machte. Es jubelte zwischendrin bei jeder passenden Gelegenheit und am Ende natürlich ausführlich, allem zu, was es sah und hörte.

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Vor allem der Song „I am what I am“ („Ich bin was ich bin“) bietet sich als eine Hymne der Schwulenbewegung geradezu an. Es ist quasi die gesungene Variante des zum geflügelten Wort avancierten „und das ist auch gut so“, mit dem sich einst der Regierungschef der deutschen Hauptstadt Klaus Wowereit outete. Das damit verbundene Selbstbewusstsein und die Selbstermächtigung reichen inzwischen weit über die queere Community hinaus. Durch die Aids-Krise der 80er Jahre hindurch, bis in die Zeiten, in denen die „Ehe für Alle“ ein Markenzeichen für eine liberale Gesellschaft geworden ist. Und entsprechend von ihren Feinden in Polen, Ungarn oder Russland und den USA vehement bekämpft wird. Dass sich die Tiraden des rechtskonservativen potenziellen Schwiegervaters im Stück heute wieder anhören wie Auszüge aus einer aktuellen Wahlkampfrede des Anführers der österreichischen Rechtspopulisten, oder, dass gerade eben der schwule Neubrandenburger Oberbürgermeister seinen Rücktritt angekündigt hat, weil ein Verbot des Hissens der Regenbogenfahne durch seinen Stadtrat nur das Tüpfelchen auf dem „ı“ diverser Anfeindungen war, gehört allerdings auch zur Wahrheit über die bislang erreichte Emanzipation.

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Wenn in Kassel, wo Intendant Florian Lutz und auch ein Bühnenbildner wie Sebastian Hannak den Ehrgeiz hochhalten, mit originellen szenischen Zugängen Erwartungshaltungen zu unterlaufen, für eine „La Cage aux Folles“-Inszenierung einen Regisseur wie Matthew Wild eingeladen wird, dann weckt das schon eine gewisse Erwartungshaltung. Zumal sich der Südafrikaner Wild gerade in Frankfurt getraut hat, ausgerechnet aus Heinrich Tannhäuser einen schwulen Schriftsteller zu machen, der in den 30er-Jahren des vorigen Jahrhunderts in die USA emigriert, und dort nach seinem Outing in den 50er Jahren in den Selbstmord getrieben wird.

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Albin steht in hellrosa Kostüm und langen blonden Haaren in der Mitte an einer grau-grünblauen Wand. Rechts hängt ein kleiner Kruzifix an der Wand. Die anderen beteiligten sind in einfacheren Farben und Kleidungsstilen der 60er gekleidetet.

Ein Pulverfass-Kennenlernen: Das junge Paar aus Dindon-Tochter Anne (Leonie Dietrich) und Geroges Sohn Jean Michel (Merlin Fargel) auf der linken Seite besucht mit Annes Homophobiker Vater (3. v. r.: Bernhard Modes) und seiner Frau (r: Ingrid Frøseth) die übersterilisierte Wohnung von Albin (mitte: Adrian Becker) und George (2. v. r.: Livio Cecini). Foto: Sylwester Pawliczek_MACHMAMACHMA

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Da im Musical auch von den beiden Langzeitpartnern Georges (souverän: Livio Cecini) und Albin (mit Staraplomb: Adrian Becker) das heteronormative Familienleitbild adaptiert und (erfolgreich) praktiziert wird, haben die beiden und ihr Umfeld natürlich die allgemeinen Sympathien auf ihrer Seite, wenn der Provinzpolitiker Dindon (Bernhard Modes) seine schwulenfeindlichen Sprüchen klopft. Georges Sohn Jean Michel (Merlin Fargel) will dessen Tochter Anne (Leonie Dietrich) heiraten. Komödienkompatibel wollen Dindon und seine Gattin (Ingrid Frøseth) einen Kennlernbesuch bei Jean Michels vermeintlich „normaler“ Familie machen. Deshalb wird auf Jean-Michels feiges Drängen hin von der Wohnungsdekoration alles, was auch nur entfernt nach nackten Kerlen aussieht, ausgelagert und durch ein schlichtes Kruzifix ersetzt.

Die Bühne (Sebastian Hannak) bleibt dabei an der Grenze zur Nüchternheit. Auch Jacquelines (Clara Hendel) Edelrestaurant hätte einen Schuss mehr vertragen. Andererseits erzählt Wild die Geschichte zwischen den Auftritten Albins im Travestienachtclub als Zaza mit großem Feder-Kopfschmuck zum silbernen Glitzerkleid und dem mehr oder weniger bürgerlichen Familienleben des Künstlerpaares und seiner männlichen Zofe Jacob (wunderbar überdreht: Fausto Israel) sozusagen geradeaus und nimmt die Geschichte als Botschaft, die für sich steht, immer noch aktuell ist und schon deshalb keiner Überhöhung oder Hinterfragung bedarf.

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Eine Person mittleren Alters mit schwarzer Hochsteckfrisur steht in einem auslandenden roten Boa-Schal gehüllt vor einem schwarz glitzernden Vorhang. Die Person zeigt viel Haut: Ihr Oberteil ist ein knapper silberner Body mit reichlich platz für weibliche Brüste. Die Beine sind unbekleidet, verstecken sich aber hinter der Boa. Die Schuhe sind extrem hochhackige silber Pumps. Die Person ist ein Mann. Das ist allerdings kaum auszumachen.

Adrian Becker füllt die Rolle des Albin und alle von Albins Rollen begeisternd aus. Foto: Sylwester Pawliczek/MACHMAMACHMA

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Was bleibt, sind Tempo und Esprit für das betont genderfluide Ballett, für die wunderbar affektierte Hysterie von Jacob oder die demonstrativ überdehnten Schwulenklischees bei Albin. Zu einem Kabinettstück wird natürlich der Versuch, ihm einen Heterohabitus a la John Wayne beizubringen, damit er wenigstens als Onkel am Familientreffen teilnehmen kann. Adrian Becker läuft in jeder Albin-Facette zur Hochform auf. Am berührendsten ist er allerdings, wenn er spontan die leibliche Mutter Jean Michels spielt, weil die plötzlich abgesagt hat. Als Jacob den Braten anbrennen lässt und alle ins Restaurant zu Jaqueline umziehen, kommt es zum Eklat, als sich Albin bei einem Lied, das er zum Besten gibt, in der Euphorie die Perücke vom Kopf reisst und damit selbst den ganzen Schwindel auffliegen lässt. Am Ende retten die Schwulen den Reaktionär, vor der Bloßstellung in der Presse, indem sie ihn zum Teil ihrer Show machen. Eine Pointe, die mehr in die Rubrik „Privat geht vor Katastrophe“ gehört und der Stücklogik entspricht, als der Wirklichkeit in die Quere kommt.

Im Ganzen funktioniert der Käfig voller Narren immer noch. Schon, weil die Musik zündet und mitreist. Dafür sorgen Peter Schedding, das Staatsorchester Kassel und das fast völlig aus Gästen bestehende Ensemble. Ob wirklich die im Käfig die Narren sind, oder die anderen, das ist eine Frage, die man kostenlos mit nach Hause nehmen kann.

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