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Lohengrin am Hessischen Staatstheater Wiesbaden. Foto: Karl und Monika Forster

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Neonschwan und Auszeitpendel – Henriette Hörnigk inszeniert Lohengrin in Wiesbaden

Vorspann / Teaser

In Wagners „Lohengrin“ geht es in Gestalt der märchenhaften Handlung weniger um den Titelhelden, sondern vielmehr um das Schicksal einer jungen Frau, der so übel mitgespielt wird, dass sie sich eine utopische Rettergestalt herbeifantasiert. Und es geht um das Verhalten exemplarisch opportunistischer Chormassen, die mehr oder weniger alles gut heißen was von „oben“ verkündet wird. In der Hinsicht hatte es der Heerrufer als Regierungssprecher des Königs Heinrich bei Wagner deutlich einfacher, als seine demokratisch oder anderweitig bezahlten Nachfolger heute, denen eh kaum etwas ohne Widerspruch geglaubt wird.

 

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Im Stück erscheint der rettende Ritter tatsächlich. Wenn auch heutzutage kaum noch „in lichter Waffen Scheine“ wie in Elsas prophetischem Wunschtraum. Sein Erscheinen macht noch in der nüchternsten Inszenierung ziemlichen Effekt. Notfalls sorgen Orchester und Chor dafür, wenn der das Ganze ohnehin vielstimmig als Wunder deklariert. In Wiesbaden verkörpert ein Neongeflecht in vager Schwanengestalt, das aus dem Schnürboden einschwebt, den Wassertransporter vom Gral nach Brabant. Der Held selbst trägt üppiges Schwanengefieder über der Schulter und seiner glitzernden Jacke. Er hält mit seinem Erscheinen quasi die Zeit, sprich das geheimnisvolle große Pendel an, das bis dahin seine Bahn zog. Versteht sich, dass es bei seiner Abreise wieder anfängt zu schwingen.

Das Einschreiten des Unbekannten mit Waffen oder Zaubertricks für die Angeklagte ist mit dem Frageverbot an eine Bedingung geknüpft, die die Bedrängte nicht einzuhalten vermag. Dabei geht es natürlich nicht einfach um weibliche Neugier. Schon gar nicht, wenn – wie jetzt in Wiesbaden – mit Henriette Hörnigk eine schauspielversierte Frau das erste mal große Oper inszeniert. Es geht um Selbstwert und Emanzipation aus verordneter Unmündigkeit. Der Bruch des Versprechens als Akt der Selbstbefreiung – und kost’ es auch ihr Leben…. Sie wie?, was sie tut, als sie eben doch nach Nam und Art fragt.

Dieser in Gestalt von Heather Engebretson geradezu kindlichen Elsa hat die Regisseurin ein Double im roten Kleid an die Seite gestellt – es könnte einfach die Personifizierung ihrer Möglichkeiten oder Wünsche sein, aber auch einer gewissen Unbekümmertheit. Noch im Vorspiel sieht man nämlich wie sich Elsa gleichsam von sich selbst (also ihrem Double) so ablenken lässt, dass sie ihren Bruder aus den Augen verliert.

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Lohengrin am Hessischen Staatstheater Wiesbaden. Foto: Karl und Monika Forster

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Julius Theodor Semmelmann hat Brabant auf den Bühnen-Nenner eines Auditoriums verdichtet. Die Choristen im Einheitslook von Mao (oder seinen Nachfolgern) tragen allesamt unansehnliche Perücken und Brillen, sitzen in Käfigen und bewegen sich normiert. Kann gut sein, dass die kuriose Choreografie der Ausrichtung der Teetassen für die Delegierten des jüngsten Volkskongresses in Peking hier eine Inspirationsquelle war. Die Bühnenästhetik bleibt generell in der Schwebe zwischen surreal Verfremdetem, nicht immer Entschlüsselbarem und Rückbezügen in die Lebenswelt der Gegenwart. So wie Friedrich Telramund und seine Frau Ortrud ausstaffiert sind und sich bewegen, könnte man sich auch mittlere Chefs oder Beamte und diverse ehrgeizige Sekretärinnen vorstellen – energische Spießigkeit pur. Die zum Auditorium gefügten Elemente der Bühnenwelt lösen sich immer mehr auf — fürs Brautgemacht ist nur noch ein Gestell übrig, das zwar mit luftigen weißen und blauen Stoffen aufgefüllt wird, aber kaum als Brautbett dienen könnte. Mit dem blauen Stoffen waren die Frauen und auch ein Teil der Männer beim Aufmarsch vor dem Münster im zweiten Akt sozusagen genderfluid drapiert. Der eine oder andere Wagnerianer, der den von Neo Rauch dominierten Lohengrin in Bayreuth gesehen hat, könnte das als eine Parodie auf die Kostüme deren Aufmarsch lesen, die Rosa Loy beigesteuert hat und die selbst dort schon wie eine unfreiwillige Parodie wirkten. Aber mit der Rezeptionsgeschichte legt sich diese Wiesbadener Inszenierung eher nicht an. Muss sie auch nicht. Die Bühne beginnt also mit einer kompakten Konstruktion und löst sich auf. Die Kostüme wiederum starten mit einem Massen-Einheitslook und enden mit einem tiefen Griff in den Kostümfundus. Könige und Heilige, Kostüme für Queen und Kanzlerin, Künstlerberühmtheiten – alles marschiert am Ende auf. Ein Akt der Befreiung ist das dennoch nicht – jetzt manipuliert sich jeder selbst – und die Masse mutiert zur Summe ihrer Teile. 

Gehört die Szene eher in die Kategorie von „Vorhang zu und viele Fragen offen“, bietet diese Inszenierung musikalisch eine Antwort, ob ein Haus wie Wiesbaden die musikalischen Kapazitäten aufbieten kann, um ihrem reichlich gepflegten Kanon an Wagneropern auch einen strahlenden „Lohengrin“ hinzuzufügen. Die wird mit einem überzeugenden Ja beantwortet. Am Pult sorgt Michael Güttler für romantischen Silberglanz und die Energie fürs Auftrumpfen der von Albert Horne einstudierten Chöre. Er muss auch nicht befürchten, dass seine Protagonisten im Rausch des Orchesterklangs untergehen. Mirko Roschkowski ist ein wunderbar timbrierter, höhensicherer Schwanenritter, dem auch die differenzierten Passagen mühelos gelingen. Bei der quicklebendigen Heather Engebretson ist Elsa wirklich mal ein junges Mädchen. Selbst wenn sie sich mal sichtbar um die Töne ihrer Partie bemühen muss, passt das.

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Lohengrin am Hessischen Staatstheater Wiesbaden. Foto: Karl und Monika Forster

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Als Heerrufer überzeugt Christopher Bolduc sowohl als ambitionierter Animateur wie auch als Spielführer. Für das finstere Paar bietet Thomas de Vries seine Erfahrung auf, um seinem Friedrich Telramund den von seiner Frau angestachelten Ehrgeiz zu verpassen. Dshamilja Kaiser macht aus ihrer (Einspringer-)Ortrud ein Kabinettstück von selbstbewusstem Zynismus. Yong Doo Park schließlich ist der sonore und sich aus dem Rollstuhl aufbäumende König Heinrich. Man kann nur hoffen, dass sich das Wiesbadener Publikum bei den verbleibenden Vorstellungen zahlreicher als bei der besuchten ersten Wiederholung auf den musikalischen Genuss und die szenische Herausforderung einlässt. 

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