Der Papst sitzt fest im Sattel und mit dem einzig wahren Glauben werden die Hunnen besiegt. So geht Risorgimento an der Mailänder Scala. Verdis Schlachtendrama aus dem 5. Jahrhundert wird beinahe gegenwärtig.
„Die Musik und die Kultur sind ein Bollwerk der Demokratie.“ Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella gab wieder einmal ganz den Europäer, der jedoch mehr und mehr auf verlorenem Posten zu stehen scheint, wenn man den Fürsprechern von Lega und Cinque Stelle (einem so kruden Bündnis, wie es wohl nicht mal für die Oper erdacht werden könnte) Glauben schenkt. Von Rechten und anderen Komikern wird wider die Union gewettert, sogar das Unwort vom „Italexit“ ist hier schon im Umlauf. Da ist es schon mutig, wenn „Il Presidente“ entschlossen dagegenhält.
Zur Eröffnungspremiere der neuen Saison an der Mailänder Scala, der „Inaugurazione“, hat man sich einmal mehr auf die Verdi-Traditionen berufen, mit „Attila“ allerdings fast eine Rarität aus dessen Oeuvre ausgegraben. 1846 in Venedig uraufgeführt, noch im selben Jahr von Mailand übernommen. Musikdirektor Riccardo Chailly, Direttore musicale klingt wirkmächtiger, will (nach „Giovanna d’Arco“) noch „Macbeth“ folgen lassen, um die frühen Verdi-Opern komplett vorzustellen.
Für „Attila“ hat er sein Orchester, ohne abenteuerliche Risiken einzugehen, einmal mehr als klangschönen Sachwalter agieren lassen. Typischer Verdi-Stil, freilich noch nicht mit jener musikalischen Dramatik von dessen späteren Ohrwürmern. Warum Chailly mit Rossini würzen musste, fast ein Sakrileg an diesem Haus, bleibt sein Geheimnis.
Die vergangene Scala-Saison ging im vorigen Monat mit der Uraufführung eines ungarischen Komponisten, György Kurtágs Oper „Fin de partie“, zu Ende. Mit der Oper über einen historischen Ungarn, dem Hunnenkönig Attila, ist die neue Saison eröffnet worden. Darin geht es um dessen Tötung durch die ihm nur vorgeblich zugetane Odabella, die damit den Mord an ihrem Vater rächen will.
Die sehr bildreiche Inszenierung von Davide Livermore allerdings warf zahlreiche Fragen auf. Geht es hier wirklich um Herrenrasse und Untermenschen? „La patria“ wird da gefeiert, das italienische Vaterland mit der Trikolore, und die Hunnen werden als zerstörerische Fremde, Eindringlinge, ja: Barbaren dargestellt. Im Italien von heute weckt das natürlich Assoziationen zur gegenwärtigen Lage, zumal die Kostüme von Gianluca Falaschi reichlich Uniformdeutung zulassen. Hintergründige Schlachtenbilder und Ruinenlandschaften von Bühnenbildner Giò Forma und vor allem die Videokünste von D-Wok tragen viel dazu bei, dass eine aktuelle, moderne Inszenierung wie zur Saisoneröffnung schon lange nicht mehr an der Scala gezeigt worden ist. Was Kriege anrichten, wird hier nicht nur plakativ verallgemeinert, sondern auch ganz konkret persönlich. Dafür gab es zur Premiere hier und da freilich auch deutliche Buh-Rufe, denn politisch ambitioniertes Musiktheater scheint auch in Italien nicht jedem zu gefallen.
Proteste ganz anderer Art – neben den schön traditionellen Böllern und Sprechchören vor dem Haus, die sich diesmal gegen die Politik von Innenminister Matteo Salvini gerichtet hatten – gab es vorab gegen Inszenierungsdetails. So durfte eine Madonnenfigur nicht in Stücke zerbrechen, Tierschützer forderten zudem, dass auf zwei echte Pferde Bühne verzichtet werden sollte. Nun, die Madonna blieb ganz, die Pferde – eins für Attila, das andere für den Papst – blieben brav.
Berühmte Schlachtengemälde boten die Vorlage für diese Begegnung zweier zumindest historisch unvereinbarer Kulturen. Ob sich die Menschheit auch für die Zukunft damit abfinden muss, liegt mehr denn je in ihren Händen.
Musikalisch war dieser „Attila“ jedenfalls ein ganz großer Abend. Der russische Bass Ildar Abdrazakov in der Titelpartie hatte vorab eingestanden, dass just diese Oper seinen Berufswunsch als Sänger geweckt haben soll – wie gut diese Wahl war, bewies er mit Inbrunst und auch emotionaler Differenziertheit. Auch sein tenoraler Widerpart Foresto, gesungen von Fabio Sartori, Bariton George Petean als römischer General Ezio und vor allem die spanische Sopranistin Saioa Hernández als geliebte Gefangene Odabella lieferten ausnahmslos Glanzleistungen ab. Neben Riccardo Chailly und dem Orchester der Scala, dieser auserlesene Solistenschar erwies sich nicht zuletzt auch der Chor des Hauses neuerlich als bestens prädestiniert.
Dass dem Staatspräsidenten beim Betreten der Ehrenloge geradezu gehuldigt wurde, darf gewiss als Zuspruch für sein immer wieder geäußertes Bekenntnis pro Europa gewertet werden. Intendant Alexander Pereira, der kürzlich deutlich gemacht hat, dass er gemeinsam mit Riccardo Chailly bis 2022 an der Mailänder Scala zu bleiben gedenkt, darf sich über diesen Diskussionsstoff liefernden Saisonauftakt durchaus freuen. Zumal mit Korngolds „Die tote Stadt“ und der Übernahme von Woody Allens Sicht auf Puccinis „Gianni Schicchi“ für großes Interesse gesorgt sein dürfte. Neben der „Ägyptischen Helena“ kommt auch „Ariadne auf Naxos“ von Richard Strauss nach Mailand, wie jüngst in Dresden mit Krassimira Stoyanova in der Titelpartie und dem Intendanten höchstselbst als Haushofmeister.
- Termine: 11., 14., 18. und 21. Dezember 2018 sowie 2., 5. und 8. Januar 2019