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Kreuzchor beim Requiem A. Foto: Oliver Killig

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„Requiem A“ – Seichtes Gedenken an Krieg und (Dresdner) Zerstörung mit einer Uraufführung von Sven Helbig

Vorspann / Teaser

Man hätte sich so gern überraschen lassen. Überraschen lassen von Sven Helbig und seinem „Requiem A“, das am 9. Februar mit fast schon pompösen Erwartungsdruck in der Dresdner Kreuzkirche uraufgeführt werden sollte. Was aber dann? Dann klang alles ganz anders.

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Dann nämlich saß reichlich Publikum in der vollbesetzten Kreuzkirche, hatte ein großes weißes Segel vor sich, das über dem Altarraum aufgespannt war und in riesigem Format den Buchstaben A dargestellt hat. A wie Anfang, A wie Aufbruch, A wie Asche und Atmen, Schlüsselwörter, um (laut Programmheft) „einen Weg aus der Trauer in das Leben suchen“ – das vage Ziel müsste logischerweise ein Omega sein. Ein Kreis, ein Lebens- und vielleicht auch ein Sterbenskreis, der sich hier allerdings weder eröffnet und schon gar nicht er- oder geschlossen hat. Überraschungen gab es dennoch. Während des Abends schon, sowie vor allem in einer nachdenklichen Rückschau darauf, denn die seichte Gefühligkeit neuer (!) Musik, die ausdrücklich zu solch einem Anlass geschaffen worden ist, hat sowohl überrascht als auch verstört. Verstört aber wohl kaum in der intendierten Weise.

Da klang die einleitende Trauermotette „Wie liegt die Stadt so wüst“ von Rudolf Mauersberger doch tatsächlich wesentlich moderner als das gleich darauf uraufgeführte „Requiem A“ für Chor, Orchester, Bass und Elektronik von Sven Helbig. Weil das 1945 entstandene A-Capella-Chorwerk des einstigen Kreuzkantors näher dran gewesen ist an Dresdens Zerstörung? Weil Mauersberger das Unvorstellbare direkt vor Augen hatte, das Undenkbare an Leid mitsamt seinem Knabenchor – der in den Bombennächten vom 13. und 14. Februar ‘45 immerhin selbst 13 Opfer beklagen musste – gerade so überstanden? Diese Motette steht als klingendes Denkmal für den zerstörerischen Ungeist von Krieg und jedweder Gewalt, steht bis heute nicht nur für Dresden und den in dieser Stadt nach wie vor zelebrierten (teils auch missbrauchten) Gedenkkult. Dennoch sollten diese Februar-Konzerte zum Innehalten, Besinnen und Nachdenken anregen, also auch stets ohne Applaus ausklingen.

Betreten schwieg das Publikum im Anschluss an dieses immer wieder eindringlich nachwirkende Werk Rudolf Mauersbergers und erwartete nach einem Lichtwechsel im Kirchenraum (der seinerseits bleibende Spuren der Bombardements aufweist) das Requiem von Sven Helbig. Überraschend waren hier die eher konventionellen Klangstrukturen der Komposition, noch überraschender das mulmig blechern tönende Solo des Bassisten René Pape, am überraschendsten jedoch die von waberndem Trommelklang untersetzten Chorpartien. Mitglieder der Sächsischen Staatskapelle begleiteten die neun auf Wirkmacht setzenden Teile, in denen herkömmliche Liturgie wie Introitus, Kyrie, Sanctus und Agnus Dei mit neuen, eigenen Texten von Sven Helbig zusammengeflossen sind – ohne jedoch eine konzise Einheit zu ergeben, geschweige denn eine mit Wirkmacht.

Positiv überraschend war allenfalls die filmmusikalische Dramatik, die sich mit elektronischem und orchestralem Bombast deutlich von befürchteten Banalitäten à la Fahrstuhlmusik abzuheben vermochte. Auf anderer Ebene überraschten dann aber leider erwartbare Melodieführungen und allzu banale Akkordschemata. Orchesterstrukturen funktionierten nur ansatzweise, da sich ein Streicherklang über weite Strecken nicht entfalten konnte, die Bläser hingegen wirkmächtig im Vordergrund standen. Ergreifend geriet immerhin (auf ein Dies Irae wurde verzichtet) das Sanctus mit dräuendem Voranschreiten, nahezu marschartig ins ungewiss Lichtvolle (oder in endgültige Düsternis?), mal anschwellend, dann aber auch mit dem Verzicht auf orchestrale Entfaltung, als sollte die Staatskapelle hier nur den Klangteppich auslegen. Mit chorisch geatmetem Silbenhauch klang das von Kreuzkantor Martin Lehmann sehr umsichtig geleitete und vom Knabenchor mit höchster Akribie einstudierte Werk aus, das durchgängig von eher fragwürdigen Visualisierungen auf dem sonst weißen A-Segel begleitet worden ist. Auch hier hat eher das Banale überrascht, ja geradezu erstaunt: Der isländische Filmemacher und Videokünstler Máni Sigfússon lieferte simple Abbilder von Pflanzenwelt und Sonnenlicht, von glitzerndem Wellenspiel und seichter Romantik. Putten standen in schroffem Kontrast zu einem (KI-generierten?) Ringspiel, wie es auf Streaming-Plattformen und kaum banaler zu haben ist.

Als dann noch ein einsamer Bravo-Schrei durch den Kirchenraum gellte, war die Enttäuschung perfekt, wurde die ohnehin kaum aufgekommene Ergriffenheit vollends vernichtet. Dabei hätte man sich doch so gern überraschen und eines besseren belehren lassen …

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