Die „Fledermaus“ von Johann Strauß ist die Operette, die von den Opernhäusern und der Spitzengarde der Regisseure allemal wie eine Oper behandelt, also ernst genommen wird. Sie ist aber dennoch immer zugleich der silvestertaugliche Kassenfüller für jeden Spielplan. Die Komödie mit den Uralt-Witzen, die unter Artenschutz stehen, das Porträt der bürgerlichen Doppelmoral. Obendrein die Chance, den Frosch im dritten Akt so vom Leder ziehen zu lassen, dass Kultur- und Stadtpolitik das Lachen im Halse stecken bleibt.
So wie Stefan Herheim das gerade in der Komischen Oper mit seiner Neubetextung von Offenbachs „Blaubart“ gemacht hat. An dem kleineren Berliner Nachbarhaus würde man auch die „Fledermaus“ viel eher vermuten, als an der Deutschen Oper. Kein Wunder, dass im Haus an der Bismarckstraße die letzte Fledermaus vor 28 Jahren flatterte. Und dann gleich in Stein gemeißelt: da hatte Otto Schenk Brigitte Fassbaender als den Prinzen Orlowsky schlechthin an seiner Seite …
Für ihre neue „Fledermaus“ (nach 28 Jahren) hat die Deutsche Oper jetzt Rolando Villazón verpflichtet. Nicht als Tenor Alfred, sondern als Regisseur. Der Mexikaner hat sich seit seinem Aufstieg zum gefeierten Tenor (inklusive Stimmkrise) immer wieder auch als Regisseur versucht. Dem Frosch legt er sogar einen Tenorwitz in den Mund: „Kommt ein Tenor in die Bibliothek….“ so fängt an, was der Gefängnisdirektor Frank (Markus Brück torkelt effektvoll verkatert vor allem durch den dritten Akt) schon für den Witz hält und sich vor Lachen ausschüttet. So weit, ihn mit „Führt ein Tenor Regie….“ beginnen zu lassen, geht Villazón nicht…
Bühnenbildner Johannes Leiacker hat ihm einfach drei Sektoren auf die Drehbühne gesetzt. Für jeden Akt einen Raum. Nebst Ab- und Auftrittsweg an der Rampe entlang. Dort hat es sich (warum auch immer) ein Penner bequem gemacht. Der irgendwann verschwindet. Hier schickt Villazón seine Fledermaus und uns auf eine Zeitreise. Die beginnt im gut bürgerlichen Salon der Entstehungszeit bei den Eisensteins. Dr. Falke (Thomas Lehmann) jobbt dort offenbar nebenbei als Freizeit-Nosferato. Er zaubert ein Kaminfeuer auf den Bildschirm. Das dann zwischendurch auch mal auf die Wetterkarte „umschaltet“ und mit einem Tritt wieder zum Flackern gebracht werden muss. Ansonsten geht es zunächst zu wie immer. Annette Dasch macht als Rosalinde klar, dass sie an diesem Abend die raffiniert Selbstbewusste geben wird. Sie hält das durch und steigert sich beim Csardas in die große Revuenummer, die für die Pause einmal angehalten wird. So wie sich Thomas Blondelle als Gabriel von Eisenstein daheim aufführt, ist klar, dass er sich beim Ball des Prinzen Orlowsky (Angela Brower mit Verve) vollends zum Affen machen wird, wenn er am lautesten und als einziger über seine Witze lacht. Dass Alfred für Rosalinde tatsächlich die Verführung als Tenor und als Mann ist, ist dank Enea Scala zu hören und zu sehen. Auch, dass Adele sich zu Höherem berufen fühlt, macht Meechot Marrero klar.
Zeitsprünge und Behauptungen
Der Zeitsprung, den man schon zu Beginn ahnt, weil Stanley Kubricks Urmenschen durch die Szene geistern, führt im zweiten Akt in einen Partiekeller der Sechziger Jahre. Thema: der militante Osten. SM-Dessous unter NVA-Uniformen. Foto vom ersten Sowjet-Sputnik an der Wand und als Mao-Rotgardisten kostümierte Handlanger des Prinzen. Das Chruschtschow-Poster passt zum Zeitkolorit – wirkt aber in Westberlin seltsam. Dass das nach der Pause aber in der gleichen Szene durch ein Stalinbild ersetzt ist, gehört zu den Rätseln einer Regie, die auch sonst fröhlich Behauptungen in den Raum stellt und sie dort stehen lässt.
Kosmischer Kalauer
Beim Wechsel zum Gefängnisakt wirft ein Urmensch den Knochen wie in Kubricks Film-Klassiker. Auch die „Also sprach Zarathustra“-Fanfare ertönt wie im Film. Und wir finden uns von nun an im Weltraum wieder. Richard Strauss mitten im Johann Strauß. Wenn das kein kosmischer Kalauer ist! Im Weltraum-Gefängnis mit Blick auf den blauen Planeten ist Frosch zum Androiden mutiert. Manchmal hat dessen Software eine Störung, schaltet auf den guten alten Slibowitz-Liebhaber um und man merkt nur zu deutlich, was man an dem hat(te)! Und eigentlich auch vom Sympathikus Florian Teichtmeister gerne hören und sehen würde.
Als Regisseur profitiert Villazón von seinem Temperament und seinen Erfahrungen mit der Sängerperspektive. Im Detail sitzt da vieles passgenau auf der Musik. Gleich zu Beginn, etwa der gekonnte Wechsel der Beleuchtung in der Abschiedsszene, in der Rosalinde, Gabriel und Adele lügen, was das Zeug hält. Dabei hat jeder seine eigenen Pläne für die kommende Nacht, in der sich alle wiedersehen. Aber nicht als einsame Strohwitwe, sondern als ungarische Gräfin, nicht als Gefängnisinsasse, sondern als französischer Marquis und nicht als fürsorgliche Nicht, sondern als angebliche Tänzerin.
Doch das genau getimte und passgenau auf der Musik sitzende Personen- (und Chor-)führungsdetail ist höchstens die Hälfte einer gelungenen Inszenierung.
Donald Runnicles und die Seinen geben sich im Graben alle Mühe mit dem Abheben, auch wenn es nicht ganz bis zum Wiener Charme reicht. Gesungen wird durchweg ordentlich. Doch die Idee mit der Zeitreise ist eine Schnapsidee. Oder besser: eine Slibowitz-Idee. Wenn schon denn schon.