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vorne: Karsten Mewes (Kommandant) sowie v. l. Peter Floch (Schütze), Alexis Wagner (Wachtmeister), Radoslaw Wielgus (Musketier), Ralph Jaarsma (Konstabel). Foto: Jörg Heieck
vorne: Karsten Mewes (Kommandant) sowie v. l. Peter Floch (Schütze), Alexis Wagner (Wachtmeister), Radoslaw Wielgus (Musketier), Ralph Jaarsma (Konstabel). Foto: Jörg Heieck
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Schreckenskabinett der Jahrhunderte – Richard Strauss‘ Einakter „Friedenstag“ am Pfalztheater Kaiserslautern

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Schon bald nach dem Mauerfall vor 25 Jahren hat – leider – das Thema „Krieg“ in der europäischen Politik wieder Einzug gehalten. Auf der Opernbühne hat es länger gedauert, doch inzwischen staunt man, wie findige Regisseure an unerwarteter Stelle einer Repertoire-Oper Maschinengewehre und Sprengstoffgürtel einbringen. Dagegen machen die Theater um ein Stück wie Richard Strauss‘ „Friedenstag“, das die Problematik tatsächlich offen thematisiert, einen großen Bogen. Nicht so das Pfalztheater in Kaiserslautern, vor dessen mutiger Spielplanpolitik sich ohnehin manch größeres Haus verstecken kann.

Auf den ersten Blick ist die Zurückhaltung der Bühnen verständlich, denn jeder weiß von der Verstrickung des Komponisten in die NS-Kulturpolitik. Und immerhin wurde „Friedenstag“ am 24.7.1938, gut vier Monate nach dem Einmarsch in Österreich und gut zwei Monate vor der Besetzung des Sudetenlandes, uraufgeführt und nicht etwa verboten, sondern bis 1940 an mehreren Bühnen gespielt. In der „heroischen Haltung“ des Kommandanten, der die im Dreißigjährigen Krieg belagerte Festung lieber in die Luft sprengen als dem Feind übergeben will, kann man im Nachhinein den Vorboten jener entsetzlichen Führerbefehle sehen, die den Kampf bis zum letzten Blutstropfen forderten und nicht nur bei Stalingrad in die Katastrophe führten. Wie deutsche Kommandeure auf Hitler fixiert waren, so ist in „Friedenstag“ der Kommandant fixiert auf den ausdrücklichen Befehl des Kaisers, Stadt und Festung unbedingt zu halten, und ignoriert alle Bitten der verzweifelten, hungernden Bürgerschaft und auch seiner eigenen Frau um Übergabe.

Das Szenario des Operneinaktes stammt allerdings von Stefan Zweig, mit dem Strauss nach der 1935 uraufgeführten Oper „Die schweigsame Frau“ eigentlich weiter zusammenarbeiten wollte, bevor die Gestapo seinen Brief an Zweig vom 17.6.1935 abfing. Dem deutsch-jüdischen Dichter, der im Hintergrund an Joseph Gregors Libretto mitarbeitete, kann man Sympathien für Krieg und NS-Ideologie nicht unterstellen. Und so gibt es in „Friedenstag“ auch über dem Kaiser noch eine höhere Instanz – nämlich das Verhandlungsergebnis des Westfälischen Friedens. „Hör, Kommandant, gewaltiger Held“, sagt „der Holsteiner“, Befehlshaber der belagernden Protestanten, wobei er höflicherweise unterschlägt, dass der Friedenskongress auch im protestantischen Osnabrück tagte: „Zu Münster sie saßen, Gesandte des Kaisers, Gesandte der Fürsten, der Bischöfe, Städte und allen Landes. Gediehn das Werk: Kriegerisch Wüten von 30 Jahren, zu End ists mit dem heutigen Tag.“ Der kaiserliche Kommandant aber kann und will es nicht fassen. Er beschwört von neuem die Gegensätze, während Maria, seine Frau, hinter dem Friedensboten eine höhere Macht am Werk sieht und ihren Mann auffordert: „Sieh mich doch an, sieh mir ins Auge, verhärte dich nicht, und glaube auch ihm!“ Verhärtung lag in Deutschland in der Luft, nicht erst 1938.

Zeitdiagnostisches Potential

In seinem Brief an Strauss vom 21.8.1934 kommentiert Zweig sein Szenario mit den Worten „Nun kann man die Idee des Völkerfriedens, wenn man will, immer verächtlich pacifistisch nennen, aber hier scheint sie mir doch ganz an das Heroische gebunden.“ Damit erfasst Zweig den Zeitgeist präzise, und Strauss‘ ambivalente Begabung, jedwede Vorlage in Töne zusetzen, eröffnet im Fall der eher mühsam komponierten „Friedenstag“-Partitur zeitdiagnostisches Potential. Denn bei genauer Lektüre erkennt man in dem Einakter ein ziemlich klares Psychogramm der deutschen Zwischenkriegszeit von 1918 bis 1939. Das Bewusstsein für den Schrecken des Krieges und die Sehnsucht nach Frieden sind durchaus vorhanden, doch die ideologischen Vorstellungen polarisieren sich zunehmend, militärische Haltungen und Denkweisen gewinnen wieder an Gewicht. Nicht wenige Kriegsteilnehmer des 1. Weltkriegs haben nach 1918 überhaupt nicht ins zivile Leben zurückgefunden, sondern sind in Freikorps und paramilitärischen Organisationen ihren Idealen von Kameradschaft und Ehre, Disziplin und Gehorsam, Unversöhnlichkeit und Heldentum verhaftet geblieben. Geradezu exemplarisch beschwört der Kommandant den Krieg als „herrlichen Gedanken“, seine Frau ihn dagegen als „furchtbaren Würger“.

In der Oper löst sich dieser eigentlich unüberbrückbare Gegensatz durch das plötzliche Läuten der Friedensglocken als Deus ex machina. Am 30.9.1938 aber, nach dem fatalen Münchener Abkommen mit England, Frankreich und Italien, das die Tschechoslowakei letztlich der deutschen Willkür auslieferte, konnten der deutschen Bevölkerung die unvereinbaren Positionen sogar in der Realität vereinbar erscheinen. Deutschlands Ehre schien gewahrt und zugleich der Frieden gerettet. Doch war Hitler weder willens noch in der Lage, sich vom „Kriegs-“ auf einen „Friedensmodus“ umzustellen, und es fand sich eben keine höhere Instanz, ihn eines Besseren zu belehren. Der auf der Bühne in C-Dur eingeläutete Friedenstag blieb also Utopie, und so ist es ebenso konsequent wie sinnvoll, wenn Regisseurin Kerstin Maria Pöhler am Pfalztheater dem Einakter noch Richard Strauss' eigene Trauermusik zum Zweiten Weltkrieg, die 1946 uraufgeführten „Metamorphosen“ für 23 Solostreicher, folgen lässt.

Schrecken des Krieges und die Unwahrscheinlichkeit des Friedens

In ihrer Inszenierung von „Friedenstag“ sehen wir zahlreiche Beispiele für den Schrecken des Krieges und die Unwahrscheinlichkeit des Friedens, doch sie sind eher aus dem großen Schreckenskabinett der Jahrhunderte zusammengesucht als aus dem Stück selbst entwickelt. Da gibt es einen jungen Italiener aus Piemont (Christian Georg), der sich als kaiserlicher Kurier tapfer durch die protestantischen Linien hindurchgeschlagen hat, um dem Kommandanten einen Brief zu überbringen. Nach den überstandenen Strapazen singt er eine sanfte Kanzone vor sich hin, die die deutsche Besatzung schmerzlich an die Freuden des zivilen Lebens erinnert (und dem Komponisten Gelegenheit gibt, das düstere Eingangsbild freundlich aufzulockern). Dass die Soldaten unfreundlich reagieren, ist plausibel, dass sie den jungen Fremden misshandeln, als Frau verkleiden und vergewaltigen, ist es nicht – schon gar nicht angesichts der Treue ihres Kommandanten zum kaiserlichen Auftraggeber.

Die von Ausstatter Herbert Murauer entworfene gegenwartsnahe Metallkonstruktion macht zwar die Enge der belagerten Festung deutlich, aber die Regie zeigt nicht das wirklich die Situation von Befehl und Gehorsam, nicht die Hierarchie, nicht die unterschiedlichen Funktionen, nicht den Zwang zur soldatischen Haltung, nicht das Zusammenspiel von Aufeinander-Angewiesensein und Kameradschaft, nicht die Anspannung und die mühsam unterdrückte Nervosität des militärischen Personals– mit der darstellerisch imponierenden Ausnahme eines Zitterers. Dass ein potentieller Befehlsverweigerer sanktioniert wird, ist denkbar, dass die Kameraden seine Misshandlung genussvoll betreiben und beobachten, kaum. Wie der Kommandant (Karsten Mewes) ein Landsknechtslied anstimmt, um den Schrecken der Mannschaft angesichts der geplanten Sprengung zu überspielen und die Stimmung zu heben, wird von der Regie quasi übersehen. Überhaupt scheint dieser fast autistische Mann zu nichts und niemand eine Beziehung zu haben außer – merkwürdigerweise – zur schwarz-weiß-roten Fahne des deutschen Kaiserreichs. Die unerwartete Gegenwart seiner Frau nutzt er nach längeren rhetorischem Geplänkel über Ehre, Treue und Pflicht für einen kurzen Geschlechtsakt, den die aus dem Kellergewölbe zurückkehrende Mannschaft dann ungerührt beobachten darf. Dafür darf seine Frau ihn später mit dem Maschinengewehr in der Hand dazu nötigen, dem gegnerischen Kommandeur entgegenzukommen. Der aber ist kein Soldat, sondern ein gleich von Fernsehkameras begleiteter Zivilist mit staatstragendem Habitus.

Spannend und schmerzlich zugleich

Mit anderen Worten: Man sieht in dieser Inszenierung, dass Krieg unmenschlich und willkürlich ist, aber nicht, dass er von Menschen gemacht ist, dass er System hat und wie er als Idee und Realität in den Köpfen wirkt. Und obwohl das Orchester des Pfalztheaters unter GMD Uwe Sandner wirklich präzise, farbig und leidenschaftlich spielt, kommen die in Libretto und Partitur angelegten Wärme-Inseln nicht so recht zur Geltung. Maria Lobanova als Kommandantenfrau Maria zeigt eine enorme Präsidenz, tendiert aber, von der szenischen Situation genötigt, in Stimme und Auftreten von Beginn an zu sehr ins Hysterische. Imponierend sind die musikalischen und darstellerischen Leistungen von Chor und Extrachor, die zusammen mit der Statisterie auf der Bandbreite zwischen pauschaler Symbolik und liebevollem Detailrealismus szenisch stark gefordert sind. Die eindrucksvollste Phase des Abends ist jene ruhige Szene, in der ein Darsteller nach dem andern zum Klang der „Metamorphosen“ die weiße Friedensbinde am Arm auf je eigene Art und Weise wieder abstreift und abgeht – mal rasch, mal zögerlich, mal bedauernd, mal mit einer Geste der Verachtung. Spannend und schmerzlich zugleich wirkt, wie da die Kommandantenfrau auf dem Gerüst fassunglos ins Publikum schaut, während GMD Sandner die Musik in großer Ruhe bis zum Ende führt, bis beim Schlussakkord auf der Bühne nur noch eine einzige Person mit Binde im Dunkel verbleibt.

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