Es war einmal ein Theatermann, der wurde gefragt, ob es denn kein Stück über Bayerns Märchenkönig Ludwig II. gäbe; von da an hatte er eine Vision... Es war einmal ein Avantgarde-Komponist, der auch einmal probieren wollte, wie es ist, populäre Melodien für die Massen zu schreiben, und es war einmal ein ehrgeiziger Musikverleger, der sofort spürte, dass man mit solch einem Stoff ein Happening für Millionen eventhungriger Musiktouristen kreieren könnte.
Es war einmal ein junger Mann, der wuchs in der wildromantischen Bergwelt des bayerischen Allgäu auf. Sein Vater war Maximilian II. von Bayern und führte ein strenges erzieherisches Regiment. Seine Mutter bevorzugte seinen jüngeren Bruder Otto, was ihn dazu verleitete, sich in die epische Sagen- und Gralswelt des Mittelalters zu flüchten. Er war Thronfolger und interessierte sich trotzdem nicht die Bohne für Politik und Regierungsgeschäfte. In jungen Jahren besuchte er eine Opernaufführung Richard Wagners und fand seinen Meister. Viel zu früh starb schließlich sein Vater, er musste das verantwortungsvolle Amt eines Herrschers übernehmen, aber am Regieren reizte ihn nur das Bauen von neo-romantischen Schlössern ... Es war einmal ein Theatermann, der wurde gefragt, ob es denn kein Stück über Bayerns Märchenkönig Ludwig II. gäbe; von da an hatte er eine Vision... Es war einmal ein Avantgarde-Komponist, der auch einmal probieren wollte, wie es ist, populäre Melodien für die Massen zu schreiben, und es war einmal ein ehrgeiziger Musikverleger, der sofort spürte, dass man mit solch einem Stoff ein Happening für Millionen eventhungriger Musiktouristen kreieren könnte. class="bild">Was nun daraus geworden ist, kann man sich täglich (außer montags) im extra dafür erbauten, rund 80 Millionen teuren Musical-Palast am Forggensee im bayerischen Königswinkel im idyllischen Kurort Füssen anschauen. Das erste deutsche Musical am Original-Schauplatz mit Blick auf die Königsschlösser Hohenschwangau und Neuschwanstein, die nachts extra angeleuchtet werden und die man sich auf den Dachterrassen des Theatergebäudes in der Pause anschauen kann.
Die Idee ist nicht schlecht, schließlich werden Jahr für Jahr, seit Jahrzehnten, täglich Tausende von amerikanischen und japanischen Touristen zur Schlossbesichtigung nach Neuschwanstein gekarrt, die sich fragen, ob nicht doch Walt Disney das Original in Florida bauen hat lassen. Wer war nur dieser „mad king“, der Mitte des 19. Jahrhunderts das Geld seiner Untertanen für solch gigantische Bauwerke ausgegeben hat?
Auch wenn Ludwig II. sich zu Lebzeiten wünschte: „Ein ewiges Rätsel will ich bleiben mir und anderen“, das Ludwig-Musical präsentiert den Monarchen in allen Facetten. Von der Amtsübernahme 1864 bis zu seinem immer noch rätselhaften Tod im Starnberger See 1886 kann der wissbegierige Bayern-Reisende in „post-post-romantischen“ und symbolbeladenen Bildern die Stationen eines tragischen Lebens und Sterbens miterleben. Der Theaterbau enttäuscht von außen erst einmal mit modernistischen grauen Platten. Denn man erreicht vom Parkplatz aus das Gebäude von seiner Rückseite. Erst nach einem Rundgang öffnet sich der Blick auf den putzig angelegten Garten mit prächtiger Aussicht auf den Forggensee und die Königsschlösser.
Drinnen findet man aber dann alles, was das ausgehungerte Herz nach der beschwerlichen Fahrt durch die Allgäuer Serpentinen begehrt: ein Classic-Café mit Snacks, neoklassizistischen Szene-Gemälden und Bedienungen mit Schiffspersonal-Jäckchen, Geländer mit stilisierten Schwänen, Schwäne überall – auch als Baumarktartikel wie Türgriffe! – eine urbayerische Bieroase mit Rauten-Überbau und ganz vielen Hirsch- (oder sind es nur Reh-) Geweihen. Für die feine Gesellschaft eine Champagner-Bar und ein Gourmet-Restaurant. Im Mittelpunkt steht aber das Souvenirgeschäft, wo man alles kaufen kann vom Käppi über das sündteure Edelgeschirr, die CD (neun Mark teurer als im normalen Handel, aber man hat sie schließlich am Originalschauplatz erworben...) bis hin zum spanischen Fächer und zur Schneekugel mit Ludwig in einer Kutsche. Halt, warum einen spanischen Fächer kaufen, warum eine Schneekugel? Die Inszenierung gibt die Antwort: Im zweiten Teil kutschiert der Kini von zwei echten weißen Schimmeln gezogen durch eine winterliche Schneelandschaft und singt, am Ende verengen sich die schwarzen Vorhänge und es bleibt – jawohl – eine Schneekugel! Um den Umbau zu verdecken entfächert sich nun besagtes Kühlungswerkzeug für Damen über den verblieben Schneekugelguckkasten – voilà! Der Andenkenladen ist übrigens täglich bis 24 Uhr geöffnet, man hat auch nach der Vorstellung Gelegenheit, zu promenieren und zu konsumieren.
Für die Daheimgebliebenen bieten sich auch Kochbücher als Mitbringsel an, das eine ist der zuckersüßen Sissi, Kaiserin von Österreich, gewidmet, die zuvor ganz in rosa Rüschen den eigentlich schwulen Ludwig umgarnt hat, Inhalt natürlich Desserts. In dem zweiten Buch mit dem sinnigen Titel „Jetzt genießt er wieder – Bayerische Schmankerl à la Luwig II.“ findet man so kreative Gerichte wie „König Ottos Rapunzelsalat“, „Wahnsinnshaxe“, „Verführungs-Bällchen“ oder auch den „Verschwörungsbraten“, der sich bei näherem Hinsehen als Spanferkel entpuppt ...
Vom Kochbuch ist der Weg nicht weit zum typisch-bayerischen Minister, wie ihn uns die Inszenierung nahebringt: Wir haben es ja schon immer gewusst, sie tragen alle Sepplhüte und dicke Bäuche – daran ist der viele Schweinsbraten schuld. Für Kultur haben sie nichts übrig und rauben dem romantischen König damit jede Lebenslust. Wenn man solche Urtypen in bayerischen Städten schon kaum mehr findet, hier werden sie einem wenigstens noch im Original präsentiert. Billig ist der ganze Spaß natürlich nicht, aber man bekommt auch eine große Szenenvielfalt geboten: ein Ministerballett samt Bismarck, eine Szene in einer Cannabis-Höhle mit leicht bekleideten Musen, ein Trachtlerballett, die Herren ohne Hemden, die Damen ohne traditionelles weißes Blüschen unterm Dirndl, das noch dazu richtig kurz ist, besagte Kutschenfahrt, eine Ballonfahrt über die Erde bis der König sogar landet: Liebliche japanische Mädchen überreichen ihm einen blühenden Kirschzweig, er schenkt dafür einen weißen Porzellanschwan, das wird unsere Freunde aus dem fernen Osten zu Tränen rühren ...
Geboten wird darüber hinaus nicht nur ein simples Musical mit einem einzigen durchgängigen Plot und eingängigen Melodien in der amerikanischen oder britischen Tradition, „Sehnsucht nach dem Paradies“ ist auch Operette, Musikantenstadel, Sinfoniekonzert und Singspiel.
Da kann keine Langeweile aufkommen, es erwartet einen kein langatmiges Historienspiel, obwohl alle historisch wichtigen Gestalten in Ludwigs Leben vorkommen – von Wagner bis Sissi –, sondern eben, wie die Veranstalter betonen, ein „phantastisches Drama“. Nicht mehr und nicht weniger – wohl bekomm’s.
Das Ludwig-Musical im Internet: www.ludwigmusical.de