Der scheidende Intendant der Staatsoperette Dresden Wolfgang Schaller setzt nicht nur auf Operette, bestimmte Opern und auf bewährte Musicals, sondern hat für seine letzte Spielzeit sogar ein neues in Auftrag gegeben, das jetzt seine Uraufführung erlebte. Unser Kritiker Joachim Lange ist durchaus nicht so begeistert.
„Der Mann mit dem Lachen“ geht auf Victor Hugos monumentalen historischen Roman „L’homme qui rit“ zurück. Buch und Dialoge hat Tilmann von Blomberg adaptiert, Alexander Kuchinka hat die Gesangstexte beigesteuert und Frank Nimsgern die Musik komponiert.
Der Titel des neuen Musicals klingt irgendwie nach Mann mit der Maske. Der Inhalt ist nur komplizierter. Dafür gibt’s der Außenseiter den Royalisten am Ende so richtig: „Ich bin das Volk“ singt der Titelheld, der von den Zeitgenossen als Monster oder Freak wahrgenommen wird, weil man ihm als Kind ein ewiges Lachen ins Gesicht operiert hat. Dennoch kommt er durchweg als Sympathikus rüber. Der ist auch nicht mehr entstellt, als manch ein Stammkunde der Tattoo-Studios von heute…
Der Held ist ein von Amt und Erbe in Elend und Armut verbannter englischer Lord. Er war vom richtig fiesen Finsterling im Stück, Barkilpherdro, an Kinderhändler verkauft worden. Der hatte schon seinen Vater aus politischen Rachemotiven ermordet. Zum jungen Mann herangewachsen, will der ihn jetzt als Peer reaktivieren und zum Schein mit der eigenen Geliebten verheiraten. Alles nur, damit die beiden an sein Land und Geld kommen.
Das Oben und Unten ist klar verteilt. Die urige Königin Anne Stuart (als Sprechrolle: Angelika Mann) und ihr arroganter Adel hier – das (Gaukler-)Volk dort. Der Held wechselt für kurze Zeit den Stand und lernt die dekadente Oberschicht im Schnellkurs von innen kennen. Der als Gaukler auf dem Jahrmarkt groß gewordene Gwynplaine ist natürlich in der Lage, von jetzt auf gleich, von Gaukler auf Lord umzuschalten. Rüschen ans Adelshemd, Perücke auf den Kopf, schwarze Binde vor den entstellen Mund – fertig ist der Lord. Man hat’s halt im Blut. Dazu gibts auch noch die obligate Liebesgeschichte für genregemäße Ausflüge in die Herz-Schmerz Sphären.
Hanebüchen – Kitschgefahr
Natürlich muss ein Bühnenplot raffen, verkürzen, die Dinge auf den Punkt bringen. Aber muss es wirklich so hanebüchen sein? Wenn Gwynplaine vor Königin und Oberhaus am eine Rede hält, die quasi ein Revolutionsmanifest ist, sich dabei in einen Ich-bin-das-Volk-Rausch steigert und hinter ihm alles, was die Weltgeschichte so an Revolutionen zu bieten hat, im Video-Schnelldurchlauf zu sehen ist, läuft das Fass mit der Kitschgefahr dann doch über.
Das liegt vor allem am Text. In seinem Eifer einer eigentlich spannenden Geschichte aus alten Zeiten, die allemal für Mantel- und Degen-Filme und Musicals taugen, beizukommen, rutscht der allzu oft in eine banale Gute-Zeiten-Schlechte-Zeiten-Rhetorik ab, kollidiert das verbale Reim-dich-oder-ich-schlag-dich mit dem Charme von Allonge-Perücke oder Reifrock.
Jannik Harneit überzeugt als jener Gwynplaine, der im Zeitraffer aufsteigt, den Lords die Leviten liest und dann zu seiner Liebe aus Kindertagen, der blinden Dea (Olivia Delauré), zurückkehrt, um zusammen mit ihrem Ziehvater Ursus (Elmar Andree gibt in dieser Rolle neben dem Schausteller, auch noch den Arzt, Philosophen und Gelehrten!) am Ende in einem Äppelkahn durch den Kanalnebel ins freiere Holland zu entfliehen (u.a. weil da der Käse besser ist). Christian Grygas nutzt als strippenziehender Bösewicht Barkilphedro seine besonderen Profilierungschancen ebenso wie Anke Fiedler als seine Geliebte Herzogin Josiane. Die Bösen haben es in der Beziehung ja immer leichter, als die penetrant Guten.
Dirigent Peter Christian Feigel bewährt sich im Graben am Pult des Orchesters der Staatsoperette als Spezialist für das Genre, vermisst die musikalische Meterware routiniert und sorgt dafür, dass die immer mal wieder eingeschobenen Anspielungen auf Purcell oder Händel und deren Bläserglanz, oder von Charleston-Rythmem in der Admiralität auffallen. Gegen die szenische Verpackung von Regisseur Andreas Gergen, Sam Madwar (Bühne), Uta Loher und Conny Lüders (Kostüme) und die Choreografie von Simon Eichenberger ist nichts einzuwenden. Die Bühnenoptik hat das richtige Maß an Historie. Das Tempo der Verwandlungen stimmt. Das Publikum war mit diesem Ausflug ins alte England hörbar einverstanden. Immerhin.
- Nächste Aufführungen: am 8., 12., 14. Mai 2019