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„El Macareno“ (Carlos Moreno) zwischen zwei Stieren (Salvatore Nicolosi und Daniela Castro Hechavarría). Foto: finest arts (Hans-Jürgen Brehm-Seufert)
„El Macareno“ (Carlos Moreno) zwischen zwei Stieren (Salvatore Nicolosi und Daniela Castro Hechavarría). Foto: finest arts (Hans-Jürgen Brehm-Seufert)
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Spanischer als „Carmen“, und härter – Manuel Penellas Oper „El Gato Montés“ in Kaiserslautern

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Gibt es eine Oper, die spanischer ist als „Carmen“? Das Opernrepertoire sagt: „Nein“, die Probe aufs Exempel aber beweist: „Doch“! – Auch „El Gato Montés“ spielt im andalusischem Milieu zwischen Toreros, Zigeunern und Banditen, allerdings in spanischer Sprache und mit stärker andalusisch geprägter Musik. Text und Musik stammen von Manuel Penella (1880-1939); die Oper wurde 1917 in seinem Geburtsort Valencia uraufgeführt. Erst jetzt zeigt nun das Pfalztheater in Kaiserslautern die deutsche Erstaufführung – mit einem spanischen Regieteam und dem langjährigen Ersten Kapellmeister, dem Spanier Rodrigo Tomillo, als Gastdirigenten.

Manuel Penella, Sohn des Konservatoriumsdirektors von Valencia, schrieb über 80 Bühnenwerke. Er kam als Komponist von der spanischen Gattung der Zarzuela her, die Anfang des 20. Jahrhunderts in die Krise und dann interessanterweise unter den Einfluss der Léharschen Operette geriet. Ein wenig spürt man das in den voll orchestrierten Passagen von „El Gato Montéz“, bei denen man nicht weiß, ob sie eher nach Léhar, nach Puccini oder einer der zahlreichen anderen Verismo-Komponisten klingen. Penella strebte nach der großen durchkomponierten Oper, und dazu gehörte wohl das, was der weitgereiste Abenteurer, der seine Frau in Chile kennenlernte und 1939 bei Filmmusik-Aufnahmen in Mexiko starb, als internationalen Standard der Gattung wahrnahm. Diese Elemente mischt er sehr geschickt und unverkrampft mit einer authentisch wirkenden regionalen Tonsprache. Immer wieder hört man die andalusische Kadenz, Tänze wie Pasodoble, Seguidilla und Garrotín. Spielweisen und Satztechniken der Folklore werden zitiert und stilisiert, und der Tonfall des Gesangs – so versichern die Kenner – folgt dem an vielen Stellen verwendeten andalusischen Dialekt.

Was für Penella heimatliches Idiom war, müsste für das deutsche Publikum eigentlich reizvolle Exotik sein – erst recht angesichts der Millionen deutscher Spanien-Urlauber in den vergangenen Jahrzehnten. Immerhin kam „El Gato Montés“ nach der Uraufführung gleich 1917 auch in Madrid und 1920/21 in New York auf die Bühne, wurde 1992 in Madrid mit Plácido Domingo in der Rolle des Stierkämpfers Rafael wiederentdeckt und von der Deutschen Grammophon Gesellschaft aufgenommen. Dass das Werk bis zur deutschen Erstaufführung 101 Jahre warten musste, ist erstaunlich; ohne Rodrigo Tomillo und das Pfalztheater mit seiner traditionell mutigen Spielplanpolitik hätte es wahrscheinlich noch länger gedauert.

„homme fatal“

Im kompakten, aber informativen Kaiserslauterner Programmheft erklärt Regisseur Alfonso Romero Mora diese Nichtbeachtung mit der traditionellen Dominanz der italienischen, französischen und deutschen Oper auf den Spielplänen – auch in Spanien selbst: „Ich muss allerdings sagen, dass wir Spanier auch nicht sonderlich gut darin sind, unser eigenes Kulturpodukt zu schätzen und zu exportieren.“ Ob „El Gato Montés“ für den spanischen Geschmack vielleicht einen zu starken andalusischen Einschlag aufwies, wäre eine interessante Frage. (Man stelle sich vor, ein bajuwarisch geprägtes Opernszenario mit Jodlern und Zithern, Zwiefachen und Schuhplattlern sollte an der Waterkant reüssieren.) Ein ernsthaftes Verbreitungshindernis dürfte aber auch in einer sprachlichen Nuance liegen. Übersetzt man den Titel als „Die Wildkatze“ ins Deutsche, entsteht leicht die Assoziation einer „femme fatale“ á la Carmen. Ungewohnt holprig, eher naturkundlich als sujet-typologisch, klingt dagegen die gendermäißg korrekte Übertragung als „Der Wildkater“. Tatsächlich geht es im Opemszenario, das der Komponist selbst verfasste, um einen männlichen Titelhelden, den Banditen Juanillo, wenn man so will, einen „homme fatal“, der mit seinem Schicksal nicht fertig wird und das Glück seiner Mitmenschen zerstört.

Diesen Juanillo verband eine Jugendliebe mit der schönen Zigeunerin Soléa; im Streit um sie tötete er einen Rivalen und floh aus der Haft in die Berge. Die verlassene Soléa wurde von dem jungen und erfolgreichen Torero Rafael Ruiz und dessen Mutter Frasquita wie ein Pflegekind in Haus und Hof aufgenommen. Rafael, der den Spitznamen „El Macareno“ trägt, hat sich in sie verliebt, und Soléa erwidert diese Liebe aus einem Gefühl von Dankbarkeit heraus, das sich von der Leidenschaft, die sie für Juanillo empfand, spürbar unterscheidet. Bei einer Siegesfeier auf Rafaels Hof erscheint der „Wildkater“ plötzlich und macht seine Rechte an Soléa geltend. Soléa selbst trennt die beiden, doch Juanillo rät Rafael in ihrer Gegenwart, sich beim bevorstehenden Stierkampf von einem der Stiere töten zu lassen, anderenfalls werde er es tun. Rafael entscheidet sich trotz der Drohung und der unheilvollen Weissagung einer Zigeunerin, den besonders anspruchsvollen Kampf professionell zu bestehen, legt sein Schicksal in Gottes Hände und nimmt liebevoll Abschied von Soléa. In der Arena besiegt er einen Stier nach dem andern, wird aber dann von einem Tier tödlich verwundet. Auch Soléa bricht wenig später tot zusammen – was Bühnenbildner Ricardo Sánchez Cuerda in Kaiserslautern mit der drastischen Skulptur eines von Pfeilen tödlich getroffenen Herzens illustriert.

Ungewöhnlich ist nun die Fortsetzung: Im 3. Akt der Oper sehen wir den Pfarrer, Rafaels Mutter Frasquita und seinen väterlichen Freund und Assistenten Hormigón am noch offenen Grab Soléas. Zum Schrecken aller erscheint Juanillo, steigt ins Grab hinab und beansprucht in wütender Klage alle Trauer für sich. Das weitere Geschehen zeigt Regisseur Romero Mora nur in abgemildeter Form. Laut Penellas Szenario müsste der Bandit die tote Geliebte noch in seine Höhle verschleppen, bevor ihn Feldschützen und Gutsbewohner stellen. Am Pfalztheater lässt er sich, da sein Leben sinnlos geworden sei und er den Ordnungshütern nicht wieder in die Hände fallen will, gleich am Grab von einem seiner Leute erschießen. Nicht der erfolgreiche Torero, nicht die schöne Zigeunerin zwischen zwei Männern steht also letztlich im Mittelpunkt der Oper, sondern ein Ausgestoßener und pathologisch Liebender. Und nicht dem strahlenden Tenor oder der glänzenden Sopranistin gilt am Ende das größte Interesse des Komponisten, sondern dem dunkleren, eher weichen Bariton. Anders als Bizets Carmen wirkt Juanillo eher gehetzt als souverän, und anders als bei Bizets ins Banditentum abrutschendem „José“ fällt es dem Zuschauer eher schwer, Sympathie für den „Wildkater“ zu entwickeln. In „El Gato Montés“ geht es härter zu.

Rafael wiederum ist nur nach außen hin ein strahlender Escamillo, dem die Frauen zu Füßen liegen. Er liebt Soléa aufrichtig, zeigt sich ernsthaft verletzt, als er von ihrer intensiven Beziehung zu Juanillo erfährt, und empfindet in diesem Moment die Liebe seiner Mutter als einzig verlässliche Wahrheit im Leben. Doch schon bei Juanillos Abschied von Soleá spürt man bei beiden nicht nur den Willen, sondern auch die Fähigkeit, liebevoll wieder zueinander zu finden – was die schicksalhafte Macht krankhafter Unversöhnlichkeit um so brutaler hervortreten lässt. Allerdings: Hätte Padre Antón, der joviale Ortsgeistliche, der sich eher als dörflicher Honoratior denn als Seelsorger versteht, dem verzweifelten Juanillo nicht den Segen verweigert und Soléa nach ihrer Beichte alleine gelassen, hätte sich die fatale Zuspitzung womöglich doch noch vermeiden lassen. Den skeptischen Blick des Komponisten auf den Vertreter der katholischen Kirche beantwortet der Bühnenbildner mit einem überdimensionalen Madonnenbild, dem das Gesicht fehlt.

Packende Musik

Bis zur Pause allerdings vermag die szenische Gestaltung nicht so recht zu überzeugen. Das Regieteam platziert die Handlung auf einer kreisrunden, leicht schrägen Scheibe, auf der die von Bühnenbildnerin Rosa García Andújar historisch gekleideten Figuren ziemlich statisch zur Rampe hin agieren. Daniel de Vicente als Juanillo, Carlos Moreno als Rafael und Andiswa Makana als Soleá überzeugen stimmlich, bewegen sich aber in erstaunlich altbackener Weise behäbig und temperamentsarm. Polina Artsis als Frasquita, Bartolomeo Stasch als Padre Antón, Daniel Böhm als Hormigón und Rosario Chávez als befreundete Zigeunerin, allesamt gesanglich ansprechend und rollengerecht, zeigen hier wesentlich mehr szenischen Einsatz. Die links und rechts der Scheibe sitzenden Schaulustigen von Heute, verkörpert von Chor und Extrachor, passen zwar zum Szenario der Siegesfeier, nicht aber zu den eher privateren Momenten. Wäre nicht die packende Musik, man würde sich langweilen. Rodrigo Tomillo entlockt dem Orchester des Pfalztheaters einen leidenschaftlichen Duktus, der Gesang und Aufmerksamkeit über weite Strecken trägt, ohne es dabei an stilistischen Nuancen und satztechnischen Feinheiten fehlen zu lassen.

Fesselnder wird die Inszenierung nach der Pause. Da gönnt sie den Hauptdarstellern intimere Momente und erlaubt ihnen das Ausspielen ihrer Gefühle. Ausgesprochen spannend ist die Stierkampfszene, die nicht auf Aufwand, sondern auf präzise Stilisierung setzt. Durch einen Kreidekreis wird die Bühnenscheibe zur Arena, an deren Rand sich Rafaels Angehörige und Freunde platzieren, während der (von Johannes Köhler ausgezeichnet einstudierte) Chor im Hintergrund und das Orchester im Graben den Eindruck einer sportlichen Großveranstaltung vermitteln. Ein Tänzerpaar, Daniela Castro Hechavarría und Salvatore Nicolosi, vertritt mit geschmeidigen, immer wilderen Bewegungen die Stiere und zückt am Ende Dolche statt der Hörner, während sich vom Bühnenhimmel ein Speer nach dem andern bedrohlich über Rafaelo senkt. Choreographin Elena Iglesias Galán bezieht den Torero dabei konsequent in den Tanz mit ein, und Carlos Moreno beweist dabei eine erstaunliche Gewandtheit.

Anders als in „Carmen“ steht hier der Stierkampf tatsächlich im Mittelpunkt, und das mag im Tierschutz-bewussten deutschen Kulturraum ein weiteres Rezeptionshindernis für Penellas Oper sein. Man spürt in der Szene deutlich, was Regisseur Romero Mora im Programmheft so formuliert: „Dieser Kampf hat nichts mit Hass zu tun, ganz im Gegenteil. Es geht um Ehre und Respekt, sogar um Liebe für das Tier. Dieses Gefühl für das Tier ist so groß, dass die Toreros dazu bereit sind, ihr eigenes Leben zu riskieren. Es ist eine Art Todesritual, ein Todestanz mit der brutalen Macht des Stieres.“ Damit berührt die Aufführung eine archaische Ebene ritualisierter Aggression, mit der unsere Gesellschaft schwer umgehen kann, die sich ja gerne zivilisiert gibt – aber dann über hervorbrechende Wut und Gewalt wundert. In diesem Kontext ahnen wir auch, was im Fall des „Wildkaters“ anders hätte laufen können: Hätte sich nur jemand, dem Stierkampf vergleichbar, auf eine liebevolle und energische Konfrontation mit Juanillo eingelassen, anstatt ihn immer nur auszugrenzen oder vor ihm zu flüchten! Dass am Ende wieder Schaulustige die Szene begleiten, ergibt nun als Steigerung auch Sinn. Voyeuristisch und rücksichtslos verfolgt das Bühnenpublikum das eigentlich bestürzende Geschehen und bannt es mit gezücktem Smartphone aufs Bild – vom tödlichen Geschehen in der Arena bis hin zum sterbenden Banditen über dem Grab.

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