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Starke Meistersinger, seichte Moderne

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Die Salzburger Osterfestspiele müssen sich wandeln, wenn sie bleiben wollen
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Richard Wagner zu den Osterfestspielen, dazu die Sächsische Staatskapelle Dresden und das alles mit Christian Thie­lemann am Pult – kein Wunder, dass die Musikwelt da nach Salzburg blickt. Riesen Begeisterung und großes Nörgeln gehören dort zum Geschäft.

Es sei das überflüssigste Festival überhaupt, heißt es einerseits – die seit 2013 in Salzburg agierende Staatskapelle und ihr Chefdirigent als Künstlerischer Leiter wären hier unverzichtbar, wird rasch gekontert. Dass just der aktuelle Jahrgang heftige Fronten aufwarf, scheint geradezu vorprogrammiert gewesen zu sein. An Wagner lag es nicht. Nach „Parsifal“ und „Walküre“ in vergangenen Jahren standen diesmal „Die Meistersinger von Nürnberg“ an, geradezu kurzweilig wirkend dank musikalischer Brillanz, vortrefflicher Besetzung und szenischer Grundidee. Pausengespräche schieden das spannungsvolle Verhältnis brachialer Klangzauberei und kammermusikalischer Leichtigkeit zwar in Gut und Böse, doch was wäre Salzburg, wenn nicht (auch) ein Spiegel seiner selbst. Da geht es längst nicht mehr nur ums Sehen und Gesehenwerden, sondern auch um delikaten Meinungsstreit.

Insbesondere die Solistenbesetzung hat für wuchtige Grabenkämpfe gesorgt. Das Hauptaugenmerk galt doch wohl dem Rollendebüt von Georg Zeppenfeld als unumstrittenen Hans Sachs, das dem Bass mit überwältigend schöner und sicherer Stimmführung gelang. Seinem Anspruch an absolute Textverständlichkeit wurde er einmal mehr gerecht, für ihn auch eine Frage des Respekts gegenüber Werk und Kollegen. Da wären in den „Meistersingern“ einige zu nennen: Klaus Florian Vogt etwa als ein lyrisch feiner Walther von Stolzing, Vitalij Kowaljow als nobler, prachtvoll präsenter Veit Pogner und sowieso Adrian Eröd als Beckmesser mit glänzend baritonaler Leichtigkeit, nicht zuletzt Sebastian Kohlhepp, der als David ebenfalls debütiert hat und diesen sichtlich reifenden Gesellen mit charaktervollem Timbre auszustatten vermochte. Bis hin zum Nachtwächter von Jongmin Park agierten ausschließlich wirkliche Meister-Sänger, ergänzt von zwei Meister-Sängerinnen: Jacquelyn Wagner hat spielerisch und stimmlich eine begehrenswert jugendliche Eva präsentiert, Christa Mayer edelte ihre Magdalene klangschön und sympathisch.Vital bis feurig agierten zudem der Dresdner Staatsopernchor sowie der Bachchor Salzburg, bestens unterstützt vom Wagner-Orchester aus Dresden und Christian Thielemann, momentan einem der Wagner-Experten schlechthin.

Dass Regisseur Jens-Daniel Herzog seine Salzburger „Meistersinger“ als Theater im Theater interpretiert hat, mit Sachs mehr als regieführendem Intendanten denn als Schuster, erschließt sich. Dazu wurden das Portal der Dresdner Semperoper sowie das Nürnberger Theater im Festspielhaus zitiert; nach Dresden gelangt die Produktion kommende Spielzeit, in Nürnberg ist Herzog Intendant, somit sind beide Häuser beteiligt. Mehr Ortsbezug gab es im Bühnenbild von Mathis Neidhardt nicht, auch die Kostüme von Sibylle Gädeke engten das Theaterspiel nicht ein. Große Chorgesten betonten vielmehr das Affektvolle, bis die Kulissenkirche in sich selbst zusammenfiel.

Absicht dieser hier und da mit Alberei aufwartenden Regie sollte ein Entpolitisieren dieser häufig überstrapazierten Oper sein. Gibt es Wagner überhaupt unpolitisch? Mir schien, die „Meistersinger“ von Salzburg wurden auf ihren menschlichen Kern reduziert, um die Rolle fester Traditionen ebenso wie das Verhältnis zum Fremden zu reflektieren. Die enge Gilden-Welt mit der Kunst gesungenen Wortes aufzumischen, ist schließlich ein erklärtes Ziel von Sachs – der in dieser Deutung freilich selbst überrascht wird, wenn sich Stolzing und Eva abkehren von den Konventionen.

Wer diesen Gedanken fortspinnt, sah in der Uraufführung der Kammeroper „Thérèse“ von Philipp Maintz eine logische Konsequenz. Das auf Emile Zola zurückgehende Libretto von Otto Katzameier drängt ein Ehepaar – dargestellt von der wunderbaren Marisol Montalvo und Tim Severloh als krudem Camille – in die klaustrophobisch wirkende Enge des Hauses von Tante Raquin, dargestellt von der grandiosen Renate Behle. Hamburgs Intendant Georges Delnon hat diese bedrohlich wirkende Konstellation in der Universitätsaula inszeniert  – mit dem singenden Librettisten gerät ein mörderischer Liebhaber ins Konfliktfeld, der aber die alptraumhaft folgenden Gewissensnöte nicht verdrängen kann.

Ausweglosigkeit scheint das Ziel dieses von Nicolas André mit Musikern der Hamburger Staatsoper aufgeführten Experiments zu sein – das einerseits den Festspielgedanken mit Moderne gewürzt, andererseits das Menetekel der Osterfestspiele schlechthin verdeutlicht hat: Soll hier eine begonnene Erneuerung fortgeführt werden (die Dresdner haben ihrer Partnerstadt Salzburg bereits regelmäßige Familien­konzerte beschert, warten jährlich mit der „Kapelle für Kids“ auf und ziehen inzwischen auch „Ohne Frack auf Tour“ durch angesagte Kneipenviertel) oder geht es zurück zum immergleichen ­Weiterso. Bis jetzt werden die Novitäten vom durchaus erweiterten Publikum dankbar angenommen. Denn die Nobelgäste des Festspielhauses verlaufen sich kaum zu solchem Wagemut. Also führen die neuen Wege durchaus in die Stadt.

Solche Erfolge mit einer Personalie aufs Spiel zu setzen, klingt nach Frevel auf Bestellung und sollte angesichts der herzlichen Aufnahme von Künstlerischem Leiter und Residenzorchester eigentlich undenkbar sein. Staatskapelle und Thielemann haben sich die Salzburger Herzen erobert. Soll dies wegen der anstehenden Nachfolge des noblen Intendanten Peter Ruzicka aufgegeben werden?

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