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Aaron Pegram (Harlekin), Sebastian Wartig (Kaiser Overall). Foto: © Frank Höhler
Aaron Pegram (Harlekin), Sebastian Wartig (Kaiser Overall). Foto: © Frank Höhler
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Tod oder Leiden – Dresden zeigt Viktor Ullmanns „Kaiser von Atlantis“

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Die Theresienstädter Kammeroper ist auch siebzig Jahre nach ihrem Entstehen ein wichtiges Zeitstück. Michael Ernst hat die Premiere an der „Semper 2“ miterlebt.

Entstanden ist die Oper „Der Kaiser von Atlantis“ ist ganz in der Nähe von Dresden. Viktor Ullmann, einst Schüler von Arnold Schönberg und Alexander von Zemlinsky, vollendete sie 1944 im Konzentrationslager Theresienstadt, wohin der vielseitig tätige Künstler aufgrund seiner jüdischen Herkunft von den deutschen Nazis verschleppt worden war. Wenig später wurde er in Auschwitz-Birkenau ermordet.

Erst 1975 ist „Der Kaiser von Atlantis“ in Amsterdam uraufgeführt worden, obwohl es bereits im „Vorzeigeghetto“ Theresienstadt (dem heutigen Terezín) erste Proben zu diesem Stück gegeben haben soll. Bis heute ist ungeklärt, warum es nicht zur Aufführung kam. Gut möglich, dass die Anspielungen des „Kaisers“ zu deutlich einen „Führer“ persiflierten. Blutrünstig verrückt waren ja beide.

Jetzt wird „Der Kaiser von Atlantis“ auch in Dresden gezeigt. Regisseurin Christiane Lutz hat diesen wahnwitzigen Totentanz an der Semperoper inszeniert. Nicht auf der großen Bühne für die noch immer gut zahlenden Touristen, sondern auf „Semper 2“, einer Spielstätte für Wagnis und Experiment. Die einstige Probebühne fasst nur ein paar Dutzend Zuschauer, bietet aber die Chance zu beinahe hautnaher Begegnung mit den Akteuren. Also auch mit der Musik.

Ullmann, ein Mann zwischen den Welten und Zeiten, der im Abgrund der wohl unmenschlichsten aller Welten zugrunde ging, hat eine eigene Tonsprache gefunden (was hätte er daraus künftig noch formen können!), die allerdings die vorherige Musikwelt sehr sinnvoll zitiert. Vieles klingt da nach Kurt Weill, anderes nach Romantik und Verismo, hier und da fetzt sich ein wenig Jazz mit hinein, zum Schluss tönt gar ein Bach-Choral. Das sind klangliche Herausforderungen, denen sich das recht junge Projektorchester dieser Produktion selbstbewusst stellt. Unter der Leitung von Johannes Wulff-Woesten bringt es die Phalanx der Stile zum Leuchten, verbindet Orchesterklang mit sanglicher Hochleistung.

Das alles spielt sich auf einer kleinen Bühne ab, die eine Art von insularer Situation suggeriert, aber schon bald mit der Binnenwelt eines kriegerischen U-Boots konfrontiert wird. Gestrandet – ist nicht nur die Nazi-Zeit, von der Viktor Ullmann und sein Librettist Peter Kien zu diesem Geniestreich angeregt worden sind. Gestrandet ist auch die kriegerische Titelfigur des Kaisers, dem die Soldaten in ihren Schlachten nicht mehr sterben wollen. Aber was wären das denn für Kriege, in denen nicht zahlreich gestorben wird?

Der Tod verweigert sich. Sogar die Hingerichteten bleiben am Leben. Eine solche Farce inmitten des Sterbens im Konzentrationslager zu zeigen? Undenkbar. Und in unserer heutigen Zeit, da die Allgemeinheit sich längst wieder mitschuldig macht nicht nur im Rüstungsproduktions- und -exportstaat Deutschland, sondern ebenso in einem Deutschland, dass Militär zwar in fast alle Welt schickt, vor Flüchtlingen aber gern dichtmachen will? In einem Europa, das sich im Wegschauen übt?

Unvorstellbar, dass wer den „Kaiser von Atlantis“ anschaut, ohne sich der brennenden Aktualität bewusst zu werden. Die Musik veranschaulicht das Tun auf der Bühne so eindringlich wie mitreißend. Die Akteure auf der Insel, im Ausguck eines U-Boots sowie auf der danebenstehenden Kapitänsbrücke geben der Kammeroper erst gar nicht den Anschein einer realen Handlung, sondern spielen metaphorische Typen einer aus dem Lot geratenen Welt. Allen voran der Kaiser selbst: Ein wahnsinniger Tyrann, der sich für den Retter hält – und zum Schluss dem Tod gegenübersteht, der erst dann wieder „ans Werk“ gehen will, wenn der Kaiser vorangeht. Um dem Sterben wieder einen Sinn zu geben?

Zwangsläufig willigt der Despot ein – eine Szene wie im „Führerbunker“. Der Tod ist der Stärkere. Tilmann Rönnebeck gibt dem körperlich und stimmlich unwiderstehlich Statur. Als versehrter Soldat mit einem mechanischen Arm gezeichnet, muss man ihn fürchten. Es sei denn, man agiert so unbefangen menschlich wie Harlekin, den Aaron Pegram trotz vokalen Anspruchs ganz spielerisch unverstellt gibt. Ein liebenswürdiger Schelm, zu harmlos, um ins Weltgeschehen eingreifen zu können. Dazu erhebt sich Sebastian Wartig als Kaiser Overall. Eine drastisch gezeichnete Figur mit stimmlich charakterisierter Präsenz sowohl im Befehlston als auch im Einknicken vorm Tod. Sein Trommler wird beflissen von der generalsmäßig agierenden Gala El Hadidi verkörpert, deren Mezzo beschwörend erklingt. Auch Emily Dorn sowie Simeon Esper als Mädchen und Soldat erweisen sich als bezwingende Sänger-Darsteller. Ihre Figuren können einander zwar lieben und hassen, sich aber nicht töten.

Matthias Henneberg als Lautsprecher gibt dem Stück eine „Vorrunde“ am Billardtisch, hält kommentierend als Spielmeister die Karten in der Hand, singt und spielt so eine überzeugende Kunstfigur.

  • Termine: 21., 25., 27., 28.2., 2., 3., 5., 6.3.2016

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