In der neuen Leipziger „Le nozze di Figaro“-Produktion bleiben Susanna und Figaro die Beziehungsoptimisten, meint unser Kritiker Joachim Lange.
Mozarts „Le nozze di figaro“ hat Konjunktur. An den Staatsopern in Berlin und Hamburg. Und jetzt eben in Leipzig. Warum das so ist, weiß man nicht so genau – Spielpläne haben eine lange Vorlaufzeit. Für die Sängerdarsteller ist der Tolle Tag, den Mozart und DaPonte aus Beaumarchais’ vorrevolutionärer Komödie zu einer genialen Oper umgemodelt haben, allemal ein Fest. Und von Zeit zu Zeit sieht ja auch das Publikum seine alten Bekannten gern.
Und dann hat es diese Buffa ja tatsächlich in sich. Auf den ersten Blick ist es die turbulente Komödie. Da schummeln, intrigieren und verkleiden sie sich, was das Zeug hält. Sieht man genauer hin, ist das ganze eine kluge Studie über die Stadien der Liebe: vom blutjungen Cherubino und seiner Barbarina, zum Brautpaar Figaro und Susanna, über das, sagen wir routinierte gräfliche Ehepaar bis hin zu den im Herbst ihres Lebens doch noch zueinander findenden Eltern Figaros Marcellina und Bartolo. Mozart und DaPonte als Beziehungs-Analytiker in Hochform.
Hinzu kommt aber das Rumoren im Untergrund, denn es geht um Herren-Willkür und Menschen-Freiheit. Um einen Diener, der nicht kuscht, sondern seinen Herrn, sprich Arbeitgeber, notfalls zu einem metaphorischen Tänzchen auffordert, wenn der ihm als Mann in die Quere kommt. Zumindest nimmt er sich das vor, wenn er alleine ist. Ansonsten setzt er klugerweise auf seine gewitzte Braut, auf Verbündete und kleine Intrigen. Dass der andere Konkurrent um Susannas Gunst, der Überdruck-Knabe Cherubino, vom Grafen zum Militär geschickt, also quasi verbannt wird, findet Figaro aber auch nicht schlecht. Da ist er sich mit dem Grafen sogar mal einig.
Der musicalgeschulte Regisseur Gil Mehmert setzt auf eine Melange aus Komödie und Beziehungsanalyse. Den Kostümen von Falk Bauer nach in den frühen Sechzigern, hochtoupiert und noch ein bissl verklemmt. Jens Kilian hat hinter einer barocken Prachtfassaden-Gaze eine dreitägiges Schlossinneres gebaut – mit Freitreppe und Vestibül und fürs Hochzeits-Schaubett, einer Etage für Schränke und Kammern. Oben gibts die (getrennten) Schlafzimmer für Graf und Gräfin, daneben das von Susanna und auf der anderen Seite das von Figaro. Ein Komödien-Innenleben mit Uhrwerkpräzision. Für die Gartenszene werden ein paar Hecken und jede Menge nächtliche Schattenspielatmosphäre hinzugefügt. Dass die Grafengesellschaft zur Ouvertüre (haargenau wie gerade auch bei Jürgen Flimm in Berlin) wie eine Ausflugsgesellschaft in die Luxussommerfrische anreist, vergisst hier der Regisseur wieder. Vielleicht kommen die ja auch von irgendwo. Denn sie bleiben am Ende da. Mehr oder weniger im Happy End vereint – so nach dem Frauen-Motto: wie nehmen die Männer halt wie sie sind. Inklusive des Grafen. Damit ist ein guter, unterhaltsamer Teil des Figaropotenzials abgedeckt. Der andere, gefährlich brodelnde bleibt unberührt. Blut wäre hier wohl nicht geflossen, wenn der Graf Cherubino im Wandschrank der Gräfin erwischt hätte und nicht die geistesgegenwärtige Susanna.
Matthias Foremny dirigiert das Gewandhausorchester nicht nur äußerst geschmeidig, sondern auch erfreulich zupackend. Bei ihm kann man sich die Morgendämmerung der Revolution dazu denken. Bei den Sängern glänzen vor allem der sympathisch agile Figaro von Sejong Chang und der elegant kraftvolle Graf Almaviva von Mathias Hausmann. Olena Tokar ist eine hochmusikalisch einschmeichelnde, und doch bodenständige Susanna, Wallis Giunta ein quicklebendiger Cherubino und obendrein der Hosenrollen Glücksfall einer jungen Frau, die einen jungen Mann spielt, der eine Frau spielt. Karin Lovelius ist eine klassische Marcellina. Bei Marika Schönbergs etwas angestrengter Gräfin merkt man nichts mehr von ihrem jugendlichen Vorleben als Rosina in der anderen Barbier Oper von Rossini.
Der einzige Schatten, der auf der Premiere am Samstag lag, war der Terror in Paris vom Vorabend. Dazu hat Intendant Ulf Schirmer zu Beginn vor dem Vorhang das Notwendige gesagt. Dazu hätte die Marseillaise als gemeinsames Bekenntnis eigentlich ganz gut gepasst. Aber Mozart ist auch eine Antwort auf die Barbarei.
- Nächste Vorstellungen: 18, 27.11., 30.1., 12.3.