In keiner Biographie über Richard Strauss fehlen der Vater Franz Strauss und dessen gestörtes, sich zu schierem Hass auswachsendes Verhältnis zu Richard Wagner. Keiner versäumt, einige Anekdoten zu erzählen, einige der mehr als despektierlichen Äußerungen des 1. Hornisten des Münchner Hofopernorchesters zu zitieren, der sich Wagners wegen selbst mit Hans von Bülow überwarf und trotzdem auf Weisung Ludwigs II. gehalten war, bei der Uraufführung des „Parsifal“ 1882 in Bayreuth mitzuwirken – vom Komponisten seines virtuosen instrumentalen Könnens wegen ausdrücklich verlangt, doch dann, zum Obmann des Bayreuther Orchesters gewählt, mit diesem gleich in neuen Konflikten.
Die Meinung des schwierigen, eigensinnigen Musikers über Wagner nach den Münchner Uraufführungen von „Tristan“ und den „Meistersingern“, die er gespielt hatte, stand unumstößlich fest. Er rieb sich an der Person wie an der Musik, und daran änderte sich auch später nichts, als der Sohn Richard als 18-jähriger nach dem Erlebnis der Generalprobe zum „Parsifal“ und nach dem Studium der „Tristan“-Partitur völlig in den Bann Wagners geriet. Für Franz Strauss blieb dieser lebenslang – und das Leben währte lang, bis 1905 – der „Mephisto der Musik“. Er attestierte dem „besoffenen Lumpen“ maßlosen „Größenwahn und Delirium“, wie er an seine Frau schrieb, und auch der raketenhafte Aufstieg des jungen Richard konnte die Differenzen zwischen Vater und Sohn in diesem Punkte nicht abmildern.
Wagner wiederum sah sein Verhältnis zu Franz Strauss weniger verbissen. Er schätzte dessen technisches Können und seine Musikalität ungemein, brauchte ihn für die Aufführung seiner Werke und war deswegen bereit, über Strauss’ oft unmögliches Verhalten hinwegzusehen. Dass die Kluft zwischen Wagner und dem Münchner Solohornisten auch tiefe musikalische Gründe hatte, können wir jetzt lernen, wenn wir die beiden gänzlich vergessenen Hornkonzerte von Franz Strauss hören, die Roman Brogli-Sacher mit Marie Luise Neunecker und den Lübecker Philharmonikern kürzlich in zwei Konzerten ausgegraben hat, welche auch vom Label Klassik Center Kassel mitgeschnitten wurden und demnächst auch als CD veröffentlicht werden.
Die beiden – mit einfühlsamer Entschiedenheit ausmusizierten – Konzerte sind das Kernstück der eifrigen Kompositionsbemühungen des Münchner Hornisten, der, hauptsächlich für das von ihm dirigierte Laienorchester, Salonpiècen und tänzerische Gelegenheitsstücke zu schreiben pflegte. Die beiden in ihrem Charakter durchaus verschiedenen Konzerte in c-Moll und Es-Dur geben sich ein wenig anspruchsvoller, doch sie stehen fast ein wenig naiv hinter ihrer Zeit zurück; gekonnt, aber ganz vorausberechenbar und niemals aufregend instrumentiert, gefällig im Rhythmischen, von einigen hübschen melodischen, zuweilen ins Kraftlose verrinnenden Einfällen getragen, harmlos im Satztechnischen, kleine, handsame Bravourstückchen für das solistische Horn aus der Leipziger Schule.
Haydn, Mozart und Beethoven hat Franz Strauss immer als seine Götter bezeichnet. Der Unterschied zwischen Kleinmeister und Genie zeigt sich am eklatantesten an der Dynastie Strauss selbst. Das 1. Hornkonzert des jungen Richard, nach dem Abitur für den Vater geschrieben und ihm gewidmet, greift mit seinem Hauptthema des Dreiklang-rufes deutlich anspielend auf des Vaters c-Moll-Konzert zurück, aber was er daraus zu entwickeln weiß, an Einfällen und Eigenwilligkeiten, an Instrumentalfarben und formaler Schlüssigkeit, das weist schnurstracks in andere Höhen.
Trotzdem war es reizvoll, Vater und Sohn Strauss, den ganz Vergessenen und den Vielgespielten in einem Programm zu konfrontieren, eine biographische Fußnote wieder zu lebendiger Musik zu machen.