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Mit Juliane Banse und Holger Falk  prominent besetzt: Manfred Trojahns „Septembersonate“ wurde in Düsseldorf uraufgeführt. Foto: Wolf Silven

Mit Juliane Banse und Holger Falk  prominent besetzt: Manfred Trojahns „Septembersonate“ wurde in Düsseldorf uraufgeführt. Foto: Wolf Silven

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Verheddert im Konjunktiv der Liebe

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„Septembersonate“: Manfred Trojahns neunte Oper in Düsseldorf uraufgeführt
Vorspann / Teaser

Berühmter Schriftsteller hin oder her: Man möchte dem Herrn im unvorteilhaften Dreiteiler nicht begegnen. Wie Jack Torrance in „The Shining“ hackt er in die Schreibmaschine, belehrt seine Gesprächspartnerin und wirft sich im leeren Elternhaus in die Brust. Seine Lieblingsvokabel: „ich“. Trotzdem zerbricht Osbert Brydon, als ihm der Andere gegenübersteht, der ausgeschlagene Lebensentwurf.

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Manfred Trojahn hat für die Deutsche Oper am Rhein sein neun­tes Bühnenwerk geschrieben und dabei auf eine Kurzgeschichte des amerikanischen Autors Henry James zurückgegriffen, auf die ihn vor 40 Jahren der Regisseur seiner ersten Oper, Peter Mussbach, aufmerksam machte: „The Jolly Corner“ (1908). Deren Protagonist verweigert sich dem väterlichen Wirtschaftsimperium zugunsten einer nicht näher bezeichneten Künstlerkarriere in Europa. Als er nach 33 Jahren nach New York zurückkehrt, um das Haus der verstorbenen Eltern auszuräumen, begegnet ihm seine Jugendfreundin. Der gefällt Brydons Tatendrang: „Wenn ich Sie so getroffen hätte, ich hätte mich doch auf der Stelle in Sie verliebt!“ Der Satz wirft ihn aus der Bahn, er verheddert sich im Konjunktiv. Wer wäre ich, wenn ich damals anders entschieden hätte?

Die Erzählung trägt autobiografische Züge, auch Henry James mied das Familienunternehmen. Trojahn macht daher im selbst geschriebenen Libretto Brydon zum Schriftsteller. Den seltsamen Titel der Vorlage ersetzt er durch das raunende „Septembersonate“. So entsteht eine veritable Künstleroper mit Doppelgängermotiv, denn der alternative Brydon wird im leeren Elternhaus – oder auch nur in der Fantasie des Heimkehrers – auf bedrohliche Weise real. Wo Grübelei, Zweifel und Gespenster herrschen, kann der Theaterpraktiker Trojahn aus dem Vollen schöpfen. Seine Musik grundiert die Szenen, anstatt die Worte zu akzentuieren. Nur wenige Zitate kommentieren die Geschichte: Schönbergs „O alter Duft aus Märchenzeit“ in der ersten Szene und Strauss’ „Tod und Verklärung“ in der letzten. Das Orchester umfasst nur 15 Instrumente, Violinen fehlen – ein dunkler September-Ton. Das kammermusikalische Ensemble stellt Intimität her, kann aber auch den opernhaften Orchesterklang imitieren. Wenn Bratschen und Celli am Ende das Griffbrett hinauf klettern, spiegelt Trojahn damit den quälenden Versuch, jünger zu scheinen, als man ist. 

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Der Komponist Manfred Trojahn. Foto: Daniel Senzek

Der Komponist Manfred Trojahn. Foto: Daniel Senzek

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Anfangs noch linear, gleichsam im Konversationston, wird die Musik zunehmend flächiger, auch sinnlicher. Vom wunderbaren Englischhorn-Solo zu hohen Streicherakkorden in der ers­ten Szene geht die Reise über einen grotesken Puppenmarsch in der zweiten hin zur kernigen Musik der vierten Szene, bestehend aus einem ostinaten Auftaktmotiv zu flirrenden Streicherflächen, und mündet in die Pizzicato-Tropfen der fünften Szene, wo die Musik fast zum Stillstand kommt. Trojahn wiederholt ausgiebig und bald lauscht man seinen Klängen wie den Erzählungen alter Freunde. Das Düsseldorfer Premierenpublikum am 3. Dezember lässt sich gerne durch das anderthalbstündige Werk führen, die Zustimmung am Ende ist einmütig.

Die Regie von Johannes Erath setzt zwei Leitmotive: zum einen den unablässigen Pulsschlag, den man erst vernimmt, wenn das Licht verlischt und wenn es ihn zwischen den Szenen an die Oberfläche spült. Es ist nicht nur der Puls von Osbert Brydon, es ist auch der Puls von Trojahns Musik. Der designierte Düsseldorfer Chefdirigent Vitali Alekseenok findet dazu im Programmheft die schönen Worte: „Wir kehren ständig zu unserem Herzen zurück, aber noch öfter vergessen wir es. Doch irgendwo in der Nähe schlägt es immer. Und je näher wir uns selbst sind, je aufmerksamer wir auf die Stille achten, des­to leichter können wir sein Schlagen wahrnehmen.“ Das zweite Leitmotiv ist eine auf die Gaze projizierte Collage aus Hochhäusern und mechanischen Schreibmaschinen. Sie charakterisiert den Schriftsteller als Stadtkind. Schwer vorstellbar, das Brydons Ringen mit sich selbst zwischen Feldern und Wiesen Verständnis erweckte. 

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Die Ausstattung von Heike Scheele verknüpft die Welt des jugendlichen Brydons mit der des arrivierten in stylishem Schwarzweiß. Die leeren Räume durchkreuzen Treppenlandschaften, für die die verwirrenden Graphiken von Maurits Cornelis Escher Pate standen. Dass der uralte Konflikt zwischen Künstler und Kaufmann, zwischen Geltung und Geld durch eine Liebe im Konjunktiv angeheizt wird, ermuntert den Regisseur zum Klischee. Bei Erath verwandelt sich die Schauspielerin Ellice Staverton in ein Revuegirl, das sich müde abschminkt und bald darauf mit dem Schauspielerinnenklischee schlechthin bestraft wird: Marilyn Monroe mit aufwirbelndem Plisseekleid. Männerproblem und Männerfantasie liegen nah beieinander. 

Düsseldorf besetzt die Uraufführung prominent. Juliane Banse singt die Jugendfreundin Ellice Staverton mit tief timbriertem Lyrischem Sopran, Holger Falk den Antihelden mit deutlicher Diktion und vollendeter Phrasierung. Beide kommen zu Beginn kaum über das kleine Ensemble im Graben hinweg. Vitali Alekseenok korrigiert die Balance, musikalisch und sängerisch lässt der Abend keine Wünsche offen – auch nicht bei Susan Maclean als Haushälterin und Roman Hoza als geisterhaftem „Osbert II“.

Osbert I verliert sich auf der Reise in die Vergangenheit. Nicht nur räumt er in der zentralen Auseinandersetzung der fünften Szene seinem Alter Ego das Feld, er zieht auch die falsche Schlussfolgerung: „Am besten ist es, gar keine Erinnerung zu haben.“ Die passende Videoprojektion von Bibi Abel zeigt den Kampf mit sich selbst wie einen Liebesakt. So wird das nichts. 

Während Trojahn den Opernschluss mit einem Rilke-Gedicht beschwert, entscheidet sich das Regieteam leichten Herzens für einen Film, der Ellice und Osbert als Besucher der eigenen Vorstellung zeigt und sie beim Verlassen der Oper am Rhein begleitet. Das Paar ist uneins: Ellice scheint mit dem Abend weit weniger einverstanden zu sein als Osbert. Ein Augenzwinkern, das den Konjunktiv erdet.

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