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Lear 2017: Gerald Finley (König Lear). Foto: © Salzburger Festspiele / Thomas Aurin.
Lear 2017: Gerald Finley (König Lear). Foto: © Salzburger Festspiele / Thomas Aurin.
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Vom Blumenmeer ins Blutbad – Aribert Reimanns „Lear“ wird zum triumphalen Schlusspunkt der aktuellen Salzburger Festspiele

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Zum guten Schluss ist die Rechnung des neuen Salzburger Festspielintendanten Markus Hinterhäuser aufgegangen: Aribert Reimanns längst zum Klassiker der Moderne avancierter „Lear“ aus dem Jahre 1978 setzte ein Ausrufezeichen hinter das sommerliche Opern-Programm an der Salzach. Dabei glänzen die Wiener Philharmoniker als „Hausorchester“ der Festspiele mit Franz Welser-Möst am Pult mit dieser ambitionierten und höchst erfolgreichen zeitgenössischen Oper. Was aufs Schönste belegt, dass diesen Musikern auch nichts Modernes fremd ist. Zumal sich die Felsenreitschule in den letzten Jahren noch jedes Mal bei den Großwerken der Moderne akustisch bewährt hat. Auch die aus der Not geborene Platzierung des Schlagwerks an der Seite der Bühne erweist sich als Glücksfall für die dadurch entstehende Pointierung der Musik.

Dazu kommt ein handverlesenes Ensemble, für das Aribert Reimanns vokale Herausforderungen keinerlei Hürde bilden, um stimmliche Verve, perfekte Technik und beispielhafte Wortverständlichkeit mit überzeugender Intensität der Rollengestaltung zu verbinden. Das fängt an beim wahrhaft königlich noblen Gerald Finley in der Titelrolle. Es geht weiter über den Ausbund an Bosheit für den Evelyn Herlitzius als Goneril und Gun-Brit Barkmin als Regan straussgestählte Musterbeispiele liefern und denen Anna Prohaska ihre leuchtend zarte Cordelia entgegensetzt. Es geht weiter mit Lauri Vasar als aufrechter und dann geblendeter Gloster, seine ungleichen Söhnen Edgar, den Kai Wessel mit entblößtem Counter-Wahnsinn und Charles Workmann mit eiskalt kalkulierender Edmund-Machtgier ausstattet, bis hin zu den kleineren Partien des Kent von Matthias Klink und der beiden königlichen, von ihren Frauen dominierten Schwiegersöhnen Albany (Derek Walton) und Cornwall (Michael Colvin). Zusammen mit den fabelhaften Choristen der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor (Huw Rhys James) waltet hier durchgängig vokaler Luxus auf bestem Festspielniveau! Mit Michael Maertens ist auch der Narr luxuriös besetzt – der wäre freilich noch überzeugender, wenn er voll auf die ihm ja eigene Sprachmelodik gesetzt und nicht wirklich zu singen versucht hätte.

Bei diesem „Lear“ liefert diesmal auch die Szene jene Melange aus Opulenz, ambitioniertem Zugriff auf den Stoff und Hintersinn, die es braucht, um – über Rampe und Händeringen (wie bei der diesjährigen „Aida“) oder choreografierte Esoterik (wie bei „La clemenza di Tito“) hinaus – in die Dimension eines Gesamtkunstwerkes vorzustoßen. Genau das ist dem australischen Regisseur Simon Stone und seinen Mitstreitern Bob Cousin (Bühne) und Mel Page (Kostüme) gelungen. Stone ist zwar von Hause aus auch kein Opernregisseur, aber ganz zu Recht mit seinen Arbeiten im Schauspiel hochgelobt. Mit Korngolds „Die tote Stadt“ hatte er in Basel seine Affinität zum Musiktheater bereits überzeugend bewiesen. Anders als im Falle von Fotografin Shirin Neshat („Aida“-Debüt) oder auch bei Athina Rachel Tsangaris erstem Schauspiel-Versuch mit Wedekinds „Lulu“ war hier das Risiko gering.

Wenn sich diesmal ein paar Buhs unter den Jubel (und die demonstrative Umarmung des Komponisten mit dem Regisseur) mischten, dann sind die diesmal keinesfalls Langeweile oder handwerklicher Unbeholfenheit zuzuschreiben, sondern jenem Für-und-Wider, das gute Regisseure noch allemal zu provozieren vermögen.

Steilvorlage für packendes Musik-Theater

Nun ist allein schon der Lear-Stoff, so wie ihn Claus H. Henneberg aus der Vorlage Shakespeares librettogerecht herausgemeißelt hat, eine Steilvorlage für packendes Musik-Theater. Aribert Reimann (81) öffnet expressive Klangräume, lässt den ersten Worten des Königs „Wir haben euch hierher befohlen…“ zunächst noch den Vortritt, um dann seine langsam eskalierende, plötzlich eruptive, durchweg theaterpräzise Musik hinzuzufügen. Um sie bis in die Randbezirke des Darstellbaren an Enthemmung, Blutbad auf der einen und tiefer Verzweiflung und Wahnsinn auf der anderen Seite zu steigern. In der dann das Licht einer chancenlosen Menschlichkeit aufleuchtet bevor sie verlöscht.

„Lear“ ist von außen betrachtet eine ziemliche Schussfahrt in die Abgründe. Doch Lears letzte Worte „Seht ihr dies? Seht sie an! Seht, ihre Lippen…. Seht hier – seht…“ wirken wie ein spätes, dunkles Wetterleuchten von Isoldes „Seht ihr’s nicht? … Freunde! Seht! Fühlt und seht ihr’s nicht?“

Das kommt bei Stone tatsächlich aus dem Jenseits eines weißen Raumes, in dem der tote Köper von Cordelia wie eine Statue steht und ihren Vater nur noch Augenblicke von ihr trennen. Spätestens hier wird man neugierig auf einen kompletten „Tristan“ von Simon Stone.

Der Auftakt des Abends freilich ist bunt. Gegen Mittag war am Bühneneingang zur Felsenreitschule ein Lastwagen voll Sommerblumen entladen worden. Für eine üppig blühende Spielfläche zwischen Orchestergraben und jenen zusätzlichen Sitzreihen, die auf der Bühne vor den Arkaden aufgebaut und ebenfalls mit Zuschauern (?) voll besetzt waren. Über Blumen schreitend und im weißen Smoking mit Fliege, leutselig ins Publikum grüßend (wie bei Politikern heute in Mode) will der König sein Reich unter seine drei Töchter verteilen. Um das Leben als ausschweifenden Un-Ruhestand zu genießen. Dabei vertraut er aber seinem eigenen Wunschbild von der Liebe seiner Töchter zu sehr und glaubt allen Ernstes, auch jenseits der Insignien der Macht, das Sagen zu haben. Wenn dann eine Orgie seiner auf Ausschweifungen versessenen Ritter und ihrer teils barbusigen Gespielinnen, nebst einem veritablen Regenguss, die Blütenpracht verwüsten, wird es ernst mit dem Weg in den Abgrund. Für den sorgen Goneril und Regan. Das Blutbad auf jetzt kahlem Bühnengrund und die besudelten Schlachterschürzen der Helfershelfer sind das eine. Ins wirklich beklemmend Politische wächst sich diese Szene von Moralverfall und Machtergreifung freilich aus, wenn Security-Männer erst einen protestierenden Zuschauer auf der Bühne und dann, nach und nach willkürlich, immer mehr „Zuschauer" herausgreifen, sie auf die Knie und in die Blutlache zwingen, um sie schließlich „verschwinden“ zu lassen. Ohne, dass die zunächst nicht betroffene Mehrheit protestiert oder gar eingreift. Bis alle hinausgetrieben werden! Das sitzt. Als Menetekel der Erinnerung an den Beginn der Judenverfolgung, den Beginn der neuen Sultansherrschaft am Bosporus oder die Allmachtsfantasien der neuen Rechten…. Man mag solche Schlüsse allzu direkt finden. Aber da sie sind hier nicht plakativ, sondern bei Stone in Kunst übersetzt sind, erweitern sie die Perspektive dessen, was man auch hört!

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