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Im Beautysalon. Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath.
Im Beautysalon. Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath.
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Vom Stuhl gehauen – In Bayreuth wird der Ring mit einer teils turbulenten Walküre fortgesetzt

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Im Festspielhaus gab es diesmal eine szenische Zugabe, die sich niemand wünscht. Sie be- beziehungsweise traf den Göttervater. Bei Regisseur Valentin Schwarz ist der ja das Oberhaupt einer Familie, in der jeder sein Päckchen, sprich irgendein Trauma, zu tragen hat. Als sich Tomasz Konieczny in der Rolle des besagten Wotan gerade in einem Eames-Designersessel ausgestreckt und die Beine hochgelegt hatte, krachte das Ding plötzlich zusammen. Konieczny tat den Rest des Aktes so, als wär nichts – geschmerzt haben muss es schon da. (Vielleicht wollte der Hausgeist auf dem Grünen Hügel damit an den Vorgängerring erinnern und übertrieb es etwas: da war Brünnhilde nämlich auch mal mit einem Campingstuhl zusammengekracht, was Catherine Foster allerdings ohne Blessuren überstand.)

Georg Zeppenfeld, den Fricka (wieder Christa Mayer mit ausgestellter strenger Würde) als Hunding im Schlepptau hatte, als sie ihrem Mann wegen seiner Zwillinge auf die Pelle rückte, erbarmte sich und räumte die Trümmer beiseite. Diese Improvisation passte sogar zu seiner Rolle – in seiner schäbigen Kellerbehausung im ersten Akt hatte er sich auch schon – ganz hausmeisterlike – geschäftig um die kaputten Sicherungen gekümmert und sogar neue besorgt.

Zu Beginn des dritten Aufzuges jedenfalls trat Pressesprecher Hubertus Hermann vor den Vorhang, informierte darüber, dass die Verletzung so schwer ist, dass Konieczny nicht weiter singen und spielen kann. Und, dass Michael Kupfer-Radetzky (der Gunther in der Götterdämmerung) den dritten Akt übernehmen wird. Der Teil der Zuschauer, denen er ein Begriff war, applaudierte schon bei der Ankündigung, der Rest schloss sich am Ende an.

Jedenfalls war danach jedem, der sich ansonsten möglicherweise im „Who-is-Who?“ des Personaltableaus verheddert hatte, vollkommen klar, warum Wotan im dritten Akt plötzlich anders aussah. Und auf einmal mit mustergültiger Wortverständlichkeit und hochkultiviert sang! Er verstärkte die Protagonisten-Fraktion des wortverständlichen Gesangs (also Georg Zeppenfeld, Klaus Florian Vogt, Lise Davidsen und Christa Mayer). Dass man nun auch bei Wotans Abschied jedes gesungene Wort tatsächlich verstand, und nicht nur wie bei Iréne Theorin im Entlangschlittern am Klang erahnte, war der unerwartete Höhepunkt dieser insgesamt auch musikalisch recht packenden „Walküre“.

Vor allem der erste Aufzug lieferte nämlich einen echten Bayreuthmoment. Der ist ja bei Wagner durchaus so vorgesehen, hat sich aber dank Lise Davidsen und Klaus Florian Vogt auf der Bühne und Cornelius Meister im Graben auch wirklich so ereignet. Der Jubel nach dem „Blühe denn Wälsungenblut“ war der euphorischste der bisherigen Festspiele. Wenn die junge Norwegerin als Sieglinde loslegt, denkt man sich: so ungefähr muss es hier früher immer (na ja, jedenfalls oft) geklungen haben. Bei Festpielpublikumsliebling Klaus Florian Vogt freut man sich einfach, dass er auch noch andere Partien als Lohengrin und Walther von Stolzing mustergültig draufhat. Nicht gleich vom ersten Ton an, da klang es noch wie aufgesagt, aber es dauerte nicht lange und er hatte den Drive, die Leidenschaft, gewann seiner lyrischen Stimme eine dramatische Seite ab, ohne dass es albern wirkte. Dieser Bayreuther Siegmund war eine Klasse besser, als die Erinnerung an seinen Versuch, sich diese Rolle in der Münchner Kriegenburg-Walküre vor zehn Jahren anzueignen!

Imagination wird zum Raum

Szenisch hatte die „Walküre“ verhalten begonnen. In einer Kellerbehausung von Hunding und seiner bereits hochschwangeren Frau Sieglinde. In deren Chaos war auch noch der Strom ausgefallen und der Hausherr musste erst mal losziehen, um neue Sicherungen zu besorgen. Szenisch legt dieser Akt einen Gang zu, wenn die Winterstürme dem Wonnemond weichen. Da wird die Imagination der Erinnerung an die Kinder- und Jugendzeit von Siegmund und Sieglinde zum Raum. Plötzlich finden sich beide in den von oben einschwebenden noblen Kinder- und Jugendzimmern wieder, in denen sie offenbar ihre ersten Jahre gemeinsam verbracht haben. Auch die als Jugendliche, in denen sie zu einem Liebespaar wurden? Es könnte gut sein, dass die beiden schon daheim und nicht erst auf der Flucht vor Hunding ein Liebespaar waren. Steht nicht so bei Wagner und ist auch hier nicht sicher. Wäre aber in der Binnenlogik der Inszenierung plausibel. Aber es gibt noch einen anderen Verdacht und da ist selbst diese Methode nicht sicher.

Während in Sieglinde – kurz vor Siegmunds Tod im zweiten Akt – traumatische Erinnerungen aufsteigen und sie phantasiert, macht sich Wotan an ihr zu schaffen. Wenn er hier nicht den Geburtshelfer geben will, könnte diese Szene auch ein Vergewaltigungsversuch sein oder die bislang verdrängte Erinnerung an einen ganz anderen Inzest, als den, den wir bisher kannten. Zutrauen, kann man hier fast jedem, fast alles. Das gehört zu den Dingen, über die sich trefflich spekulieren lässt. Auch darüber übrigens, was das Strickzeug bedeuten könnte, mit dem Sieglinde hantiert. Aufkeimender Selbsthass, der sich gegen das Kind richtet? Wenn Brünnhilde auf der Flucht mit Sieglinde bei ihren Schwestern Schutz sucht, hat sie den kleinen Siegfried schon im Arm.

Der zweite Akt hatte zurück in die Wotansvilla mit der Bücherwand und der Sitzlandschaft geführt. Links ist jetzt auch ein Teil der Walhall-Pyramide sichtbar, von der man im Rheingold nur das Modell zu sehen war. Umgesetzt ist es als eine modernistische Dachkonstruktion über etwas Felsigem(?) – ganz entschlüsselt sich das Bauwerk bislang nicht. Das gleißende Walhall-Modell im Glaskasten verbirgt jedenfalls ein anderes Requisit – Nothung ist zu einer Pistole mutiert. Es wirkt zugegebenermaßen etwas unfreiwillig komisch, wenn diese Waffennovität angesungen wird. Ein szenischer Clou ist aber der Auftakt – da sieht man einen aufgebahrten Sarg. Wer den Freitod von Freia im „Rheingold“ nicht mitbekommen hatte, wird durch das aufgestellte Foto aufgeklärt: es ist Freia.  Die Trauergemeinde hat Showformat – hier nutzten die Frauen des Clans (Wotan hat ja genügend Nachkommen in die Welt gesetzt) den Termin vor allem dazu, um ihre Begleiter, Kinder und vor allem die neuesten Klamotten zu präsentieren.

Für den Walkürenritt dann zieht Schwarz alle Parodie-Register. Da geht die Show der Damen im Beautysalon de luxe (mit Chirurgieabteilung) weiter. Der befindet sich im gleichen Bühnenbildmodul, in dem schon die Walküren-Kita im „Rheingold“ untergebracht war. Folgt man der Binnenlogik von Schwarz, ergibt das Sinn. Jedenfalls lassen sich alle renovieren. Stirn, Nase, Busen – was man halt so macht, wenn man nix anderes zu tun hat. Dazu wird vor allem neuesten Schuhmode durchprobiert, alles mit Selfies festgehalten und bei den männlichen, recht zarten dienstbaren Geistern zugelangt. #MeToo verkehrt. So witzig war der eigentlich düstere Walkürenritt lange nicht. (Bei Christof Nel gab es vor zwanzig Jahren sogar mal Szenenapplaus für eine ähnliche Show!) Der ganze Ulk ist freilich vor allem eine Diagnose. Nur mit sich selbst beschäftigt, sind diese Frauen völlig unfähig zur Empathie mit Brünnhildes Rettungsambitionen. Grane (ihr männlicher Begleiter) hat mehr Mitgefühl in seiner Mähne als alle Walküren zusammen. Manche weisen Wotan den Weg zu der sich verbergenden Brünnhilde, andere wollen sofort die Stellung der Lieblingstochter einnehmen. Wotans halbes Dutzend Sicherheitsleute verscheuchen diese Frauen mit gezogener Waffe – tja wer weiß schon wohin. 

Zum Schluss schaltet die Szene auf eindrucksvollen, ja berührenden Minimalismus um. Der Zwischenvorhang schließt sich und wir erleben Wotan ganz allein und einsam, wörtlich am Boden zerstört sozusagen. Wenn Fricka am Ende nochmal auftaucht, mit ihm auf ihren Erfolg anstoßen will, wird der Feuerzauber von nur einer brennenden Kerze auf ihrem Barwagen vertreten. Aber Wotan stößt mit dieser Frau nicht an. Sie hatte ihn schließlich gezwungen Siegmund zu erschießen. Sie mag mit ihren Argumenten Recht gehabt haben, aber versteht nichts von dem, was Wotan bewegt. Er nimmt denn auch seinen (Wanderer-)Hut und geht langsam ab. Man ist gespannt wohin ihn die nächste Folge führen wird. Cornelius Meister jedenfalls ist auch mit dieser Walküre vollständig angekommen. In einem Ring, der bisher, bei aller mitunter überraschenden Sichtweise, ohne viele der gewohnten Utensilien musikalisch leuchtet.

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