Wagner-Remake in Wagner-Hand: Katharina Wagner inszeniert am Nationaltheater den „Lohengrin“ ihres Urgroßvaters Richard Wagner als Remake der 1967 in Bayreuth herausgekommenen Produktion ihres Vaters Wolfgang Wagner.
Allmählich scheint es eine Mode zu sein, mehr oder minder bewährte Operninszenierungen wieder aufzunehmen beziehungsweise zu revitalisieren. Wir erinnern uns: Die Oper Lyon hatte in diesem Frühjahr gleich zwei bemerkenswerte Produktionen – Heiner Müllers Bayreuth-Inszenierung „Tristan und Isolde“ sowie Ruth Berghaus’ Dresdner „Elektra“ – neu herausgebracht. Und die Osterfestspiele Salzburg feierten ihr 50jähriges Bestehen mit einer Re-Inszenierung der durch Herbert von Karajan gestemmten „Walküre“ im Bühnenbild von damals, partiell freilich neuinszeniert durch Vera Nemirova.
Deren Regiekollegin Katharina Wagner, im Hauptberuf Künstlerische Leiterin der Bayreuther Festspiele, hat soeben am Nationaltheater Prag den „Lohengrin“ ihres Urgroßvaters Richard Wagner als Remake der 1967 in Bayreuth herausgekommenen Produktion ihres Vaters Wolfgang Wagner herausgebracht. Allerdings stützte sie sich letztendlich auf deren Version von 1972, denn der seinerzeit noch sehr ernst genommene Werkstattcharakter der Festspiele hatte zu sichtlichen Veränderungen im Bühnenbild geführt. Für den Fall, dass es noch Zeitzeugen gibt: Wolfgang Wagner hatte erst später aus dem einfarbigen Bühnenboden eine farblich gestaltete Version anfertigen lassen – berichtete seine Tochter Katharina, die sich in ihrem Prager Debüt auf gründlich überlieferte Regiebücher stützen konnte.
Ihr Fazit stand fest: „Papa hätt’s gefallen!“ Da der nun nicht mehr zu befragen ist und Zeitzeugen sich nicht zu erkennen gaben, bleibt nur die ziemlich einhellige Publikumsresonanz zu konstatieren: Jubel über Jubel. Der galt zunächst einmal dem Orchester des Nationaltheaters, das unter der Leitung von Constantin Trinks in einem überwältigenden Farbspektrum aufspielte. Da der Graben für diese Besetzung schlicht zu klein ist, wurde auch aus den Seitenlogen heraus musiziert – und alles mischte sich zu einem gründlich durchwirkten Klangteppich, der allenfalls in Detailfragen noch etwas Feinschliff zuließ, insgesamt aber von kluger Gestaltung geprägt war und den Bayreuth-langen Abend hinweg (auch die dortigen Pausenzeiten wurden an der Moldau praktiziert) ergreifend geriet.
Der von der Prager Staatsoper verstärkte Chor des Nationaltheaters durfte sich ganz auf die Musik konzentrieren und tat das mit überzeugender Stimmgewalt, die obendrein ziemlich textverständlich geriet. Dass sich die Damen und Herren kaum zu bewegen hatten, war eine Grundbedingung der 50 Jahre alten Vorlage. Da sich diesbezügliche Auffassungen doch heftig verändert haben, musste Katharina Wagner nun sogar immer mal wieder „einbremsend“ wirken, denn so statuarisch steht heute kaum mehr wer auf der Bühne.
Falls das nun aber allzu despektierlich klingt, sei unbedingt darauf hingewiesen, dass ausgerechnet diese körperliche Verhaltenheit für szenischen Zündstoff sorgte. Denn so wurde eine Konzentration auf die ganz kleinen Gesten erzeugt, auf Mimik und Physiognomie, um vor allem die Rivalitäten der Protagonisten aufzuzeigen. Überraschenderweise provozierte just diese Reduktion letzten Endes einerseits prächtige Bilder (in die mit aller Ruhe zu schauen war, weil es kaum mal ein Wackeln gab) und große Konzentration auf die Musik sowie andererseits Einblicke in die zwischenmenschlichen Kämpfe beispielsweise von Lohengrin und Telramund (und zwar nicht in die mittels Pappschwertern ausgetragenen!), von Telramund als Verlierer und seiner herrschsüchtigen Frau Ortrud (die den Schwächling geradezu verstieß), dann aber vor allem ganz manipulativ zwischen ihr und der völlig naiv gegebenen Elsa sowie schlussendlich zwischen Elsa und dem Schwanenritter Lohengrin, der sich nicht nach Herkunft und Namen befragen lassen will.
Das Scheitern dieser Beziehung ist also – allen Warnungen des musikalisch immer wieder dräuenden „Nie sollst du mich befragen“ zum Trotz – unausweichlich. Das hat Wolfgang Wagner vor einem halben Jahrhundert so deutlich gemacht wie es in Richard Wagners um 1846/48 entstandener Partitur steht. Und Katharina Wagner hat da auch nicht besserdeuterisch Hand angelegt. Insofern ist hier auch die denkbare Unterstellung, wenn den Regisseuren nichts mehr einfällt, betreiben sie historische Wiederbelebung, vollkommen gegenstandslos. Die Menschen gehen ja auch gern ins Museum und werden dafür nicht kritisiert. Dass nun eine so flüchtige Kunst wie das Musiktheater die Chance bekommt, nachträglich noch einmal gesichtet und gewertet zu werden, scheint da nur konsequent. Wobei Katharina Wagner im konkreten Fall des Prager „Lohengrin“ ursprünglich gefragt worden ist, am Nationaltheater etwas Neues zu inszenieren. Doch da die veraltete Bühnentechnik ihre Ideen nicht mehr hätte umsetzen können, verständigte man sich ganz pragmatisch auf die väterliche Bayreuth-Inszenierung von 1967/1972.
In der Premiere stand ihr dafür eine exzellente Besetzung zur Verfügung: Den Lohengrin gab Stefan Vinke, der mit einer großartigen Einteilung seiner kräftezehrenden Partie bis zum Schluss überzeugte, berührend gestaltete Dana Buresová eine Elsa mit viel Sympathie und Gefühl auch in der Stimme, geradezu umwerfend furios mit Kraft ohne Ende war die Ortrud von Eliska Weissová, Olafur Sigurdarson sang einen sehr präzisen Friedrich von Telramund und in ausgewogener Noblesse agierte Jirí Sulzenko als König Heinrich.
Vielleicht war die musikalische Qualität neben der Gültigkeit der wagnerschen Familiennachstellung sogar die größere Überraschung: Dem Fazit von Katharina Wagner ist nichts hinzuzufügen: „Papa hätt’s gefallen!“
- Termine: 10., 14. und 17. Juni.