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State Opera I Die Walküre: Dresdner Festspielorchester, Concerto Köln – photo: Vojtěch Brtnický

State Opera I Die Walküre: Dresdner Festspielorchester, Concerto Köln – photo: Vojtěch Brtnický

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Wagner – „Walküre“ – Wissenschaft

Vorspann / Teaser

Wie mag der „Ring“ im Original geklungen haben? Eineinhalb Jahrhunderte nach den ersten Bayreuther Festspielen sollen wir’s wissen. Vielleicht.

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An Richard Wagner scheiden sich die Geister, bis heute. Gründe dafür gibt es reichlich, angefangen mit seiner geradezu grenzenlosen Selbstverliebtheit, gekoppelt mit einem schier unermesslichen Sendungsbewusstsein, weiter mit dem plüschigen Lebensstil, der mit einem Hang zum Schuldenmachen und dem Hinterlassen offener Rechnungen verbunden war, sowie nicht zuletzt wegen der mehr als fragwürdigen Haltung von und zu Frauen. Unrühmlicher Gipfelpunkt ist und bleibt jedoch Wagners eigenhändig formulierter Antisemitismus.

Von Kunst ist in all den Disputen um den Leipziger Dichter-Komponisten erstaunlicherweise kaum die Rede. Dabei entzweit nicht selten auch die. Unsingbar seien manche seiner Partien, schwer bis gar nicht verständlich die Texte, überbordend die Musik, obendrein meistens zu laut und sowieso fast immer zu lang. Sie ist aber auch – nicht nur für bekennende Wagnerianer – eine Droge. Überwältigungsmusik wird sie mitunter genannt. Darin stecken viel Anerkennung, ebenso Respekt vor ihrer Wirkmacht und in besonderer Weise das Eingeständnis, wer ihr einmal verfallen ist, wird es ein Leben lang bleiben. – Warum das so ist? Dieser Frage sollte man mal auf den Grund gehen. Also ihr selbst, der Musik.

„The Wagner Cycles“

Nichts anderes wollen die Dresdner Musikfestspiele gemeinsam mit dem Dresdner Festspielorchester und Concerto Köln unter der musikalischen Leitung von Kent Nagano mit ihrem breit angelegten Projekt „The Wagner Cycles“ unternehmen. Voriges Jahr mit dem „Rheingold“ gestartet, das nach der Premiere in Dresden auf eine vielbeachtete Gastspielreise nach Köln, zum Ravello-Festival an die Amalfi-Küste sowie zum Lucerne Festival in die Schweiz ging, ist es nun mit der „Walküre“ fortgesetzt worden. Deren Premiere fand an der Staatsoper Prag statt, dem früheren Neuen Deutschen Theater in der Goldenen Stadt, an dem der einstige Leipziger Operndirektor Angelo Neumann von 1888 an sein zuvor schon nahezu europaweit betriebenes Engagement für Richard Wagners Musiktheater höchst erfolgreich fortgesetzt hat. Während seiner Amtsjahre als Operndirektor in Prag soll er in den Jahren bis 1910 mehr als 600 Vorstellungen mit Opern von Wagner realisiert haben. Bereits 1885 gab es die Prager Erstaufführungen von „Rheingold“ und „Walküre“, beide unter dem Dirigat von Gustav Mahler, dies allerdings im historischen Ständetheater der Metropole an der Moldau.

An diese Traditionen anknüpfend, ist die tschechische Hauptstadt nun auch als Premierenort für „Die Walküre“ erkoren worden. Wagnerianisch hieße das passende Wort dafür „gekiest“. Neben der musikalischen Originalität – Stichwort Originalklang! – ging es hierbei in der Tat auch um ein höchstmögliches Textverständnis. Denn das erklärte Ziel dieses honorig geförderten und auf das 150. Jubiläum der Bayreuther Erstaufführung ausgerichteten Projektes ist es, den kompletten „Ring des Nibelungen“ so erklingen zu lassen, wie er 1876 geklungen haben könnte. Nachhörbare Aufzeichnungen gibt es nicht, folglich stützen sich Fachleute aus der Musikwissenschaft sowie natürlich die involvierten Musikerinnen und Musiker selbst auf jegliche Materialien, die irgendwie greifbar sind. Welche Sängerinnen und Sänger wurden damals besetzt, was für Instrumente gab es in den Orchestern, inwiefern mögen Spielweise und Intonation Eigenheiten gehabt haben, die sich von heutigen Praktiken unterscheiden?

Guter Wald, gesundes Holz

Das Ergebnis verblüfft. Ebenso wie das starke Interesse an diesem, durchaus mit Wagemut angegangenem, Unterfangen. Wagner im Originalklang, ein fast fünfstündiges Ereignis, und dann noch die ganze Oper konzertant – die Musikwelt steckt voller Risiken!

Allein, es hat sich gelohnt. Wer da etwa Langeweile befürchtet hat, wurde mit konzentrierter Faszination belohnt, durfte sich auf den Text konzentrieren und hat ihn wohl besser verstanden denn je. Aber zunächst einmal galt und gilt es auch hier der Musik. Die Originalinstrumente beziehungsweise deren Nachbauten entführten vom ersten Ton an in eine Art guten Wald, erzeugten einen Sound wie von gesundem Holz. Abgestanden, ausgereift und frei von künstlichen Zutaten. Kent Nagano erwies sich als nobler Gestalter, der sich gestisch weitgehend zurückhielt, nie in den Vordergrund spielte und so das Ganze zu einem Klangkosmos auszuformen verstand, der (wenn es darauf ankam) voller Dramatik steckte, explosiv sein konnte und doch wie aus einem Guss gewirkt hat.

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State Opera I Die Walküre: Christiane Libor (Brünnhilde), Kent Nagano – photo: Vojtěch Brtnický

State Opera I Die Walküre: Christiane Libor (Brünnhilde), Kent Nagano – photo: Vojtěch Brtnický

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Damit wurde den Sängerinnen und Sängern ein formidabler Boden bereitet, sich zu entfalten und damit gänzlich im Dienste des Gesamtwerks zu stehen. Siegmund und Sieglinde erst geschwisterlich keusch, dann in aufbrandender Liebe, schließlich tragisch wieder getrennt – was braucht es da Spielanweisung und kostümiertes Gehabe, wenn das Paar mit gestischen Andeutungen auskommt und alle Emotion in den Gesang legt? Sopranistin Sarah Wegener balancierte nah am Sprechgesang, ausdrucksstark und wirkmächtig wie auch Maximilian Schmitt, dessen Tenor das Heldenhafte ganz menschlich im Zaum hielt. Mit garstiger Hinterlist, nicht frei von blitzender Ironie, erwies sich Patrick Zielke als unüberwindlicher Hunding. Derek Welton war einmal mehr ein wohltuend menschlicher Wotan, dessen Furor freilich selbst eine so furchtlos freie Lieblingstochter Brünnhilde, wie sie Christiane Libor mit spielerisch-stimmlicher Leichtigkeit verkörperte, mitsamt allen weiteren Walküren ins Bange zu treiben vermochte. Sein kraftvolles Timbre überzeugte mit höchster Kultiviertheit und wurde selbst im zornigsten Finale nie brüchig. Claudia Eichenberger als gestrenge Fricka entwickelte liedhaft leidenschaftliche Schönheit.

Was da an Wortkunst regelrecht ausformuliert worden ist, konnte von halbszenischen Beigaben bereichert und aufgehübscht werden; die schlussendliche Tragik auf offener Bühne war evident und ergreifend. Ein zwischenmenschlich abgründiges Drama, diese „Walküre“, heute nicht anders als vor eineinhalb Jahrhunderten. Gut möglich, dass sie schon damals so – oder so ähnlich – geklungen haben mag.

  • „Die Walküre“ – 16. März Concertgebouw Amsterdam, 24. März Philharmonie Köln, 1. Mai Elbphilharmonie Hamburg, 9. Mai Kulturpalast Dresden (Dresdner Musikfestspiele), 21. August Lucerne Festival

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