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Das Rheingold an der Staatsoper Stuttgart. Foto: Matthias Baus
Das Rheingold an der Staatsoper Stuttgart. Foto: Matthias Baus
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Zur Kenntlichkeit entstellt – Ein neues Stuttgarter Ringprojekt hat mit dem „Rheingold“ begonnen

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Auch diesmal soll es ein Ring von verschiedenen Regie-Kollektiven werden. In Stuttgart haben sie das unter Klaus Zeheleins künstlerischer Obhut quasi erfunden. Was Joachim Schlömer, Christoph Nel, das Gespann Jossi Wieler/Sergio Morabito und Peter Konwitschny nebeneinander gestellt haben, profilierte vor über zwanzig Jahren die Teile des Ganzen. Ob ein solches Vorgehen mehr Vor- oder Nachteile hat, kommt auf das Ergebnis an.

Dass ein Ring aus einem Guss nicht per se überlegen ist, demonstrierte gerade Stefan Herheim an der Deutschen Oper Berlin. Der ist bei seinem Langstreckenmarsch durchs metaphorisch einheitliche Koffergebirge etwas vom Weg abgekommen. 

Anders Frank Castorf. Der hatte in Bayreuth vier mal ganz unterschiedlich angesetzt, aber in einem höheren, dialektischen Sinne ein Ganzes geschaffen. Schließlich bleiben die klassischen Nachahmer der Stuttgarter Methode. In Karlsruhe und in Chemnitz stach dabei zwar (zufällig beide Male) jeweils die „Götterdämmerung“ heraus, was aber an den Inszenierungsteams um Tobias Kratzer und Elisabeth Stöppler lag. Doch die Methode bewährte sich insgesamt in ihrer Deutungsoffenheit.

Der erneute Stuttgarter Versuch ist zunächst vor allem ergebnisoffen. Einmal, weil weder in Stein gemeißelt ist, wie es mit der renovierungsbedürftigen Stuttgarter Oper ganz konkret und zum anderen, wie es mit der Oper als Institution ganz allgemein weitergehen wird. Man kann nur hoffen, dass der Pessimismus, den Stephan Kimmig in seiner Rheingold-Inszenierung zelebriert, eher zur Aufmunterung führt, als zur Resignation. Bislang hat sich die reale Politik jeder Partei-Couleur als unfähig erwiesen, die Branche als das zu behandeln, was sie ist: nämlich ein Musterknabe der Pandemiebekämpfung. Impfverweigerer mal nicht mitgerechnet bzw. auf eigene Rechnung freigestellt, mit Zuschauern im 2G-Status (wenn es denn sein soll auch noch mit Test und Maske obendrauf) – es ist nicht nachvollziehbar, wieso schon wieder der Lockdown für die Kultur im Gespräch ist bzw. in Sachsen und Bayern schon praktiziert wird. …

In Stuttgart war jetzt das drohende kulturelle Desaster erst einmal nur zur Inspiration für Katja Haß’ Bühne und die Kostüme von Anja Rabes gut. Es liegt nahe, dass die Gestänge, die die Bühne locker füllen, und auf ein Zirkuszelt verweisen, dem die Hülle abhanden gekommen ist (vielleicht hat es dafür auch nicht mehr gereicht), auf Walhall deuten. Viel Staat könnte Wotan damit nicht machen. Seine Götterverwandschaft glaubt ihm offensichtlich sowieso nichts mehr. Seine torkelnde Frau Fricka (Rachael Wilson) hängt offensichtlich an der Flasche. Freia baut wahrscheinlich statt der Jugend-Äpfel gleich richtige Drogen an und verkostet sie täglich. Esther Dierkes verblüfft damit, wie wahrnehmbar eine Freia plötzlich wird, wenn sie völlig neben der Spur ist! Donner (Paweł Konik) und Froh (Moritz Kallenberg) konzentrieren sich auf ihre (Tret)Autos, das Rudern oder den Fitnessclub, also auf ihre Körper, geben damit an, sind aber auch stimmlich in Topform!  Erda (Stine Marie Fischer) ist im Selbstgestrickten und mit grünem Fahrrad auf Fridays for No-FutureTrip. Als Rheintöchter hängen Tamara Banješević (Woglinde), Ida Ränzlöv (Wellgunde) und Aytaj Shikhalizade (Floßhilde) in ihrer Internatskluft vor ihren Handys ab. Eigentlich klar, dass denen selbst ein Penner wie Alberich das Gold unter den Nasen wegkarrt. Immerhin machen sie eine Art Praktikum und protokollieren, was sie in dieser abgetakelten Zirkusarena von den diversen Mauscheleien um unbezahlte Rechnungen und den kleinen Diebstahl zwischendurch so mitbekommen. Die Hosen hat der im glitzernden Auftrittsfrack rumlaufende Wotan (Goran Jurić) schon längst nicht mehr. Oft auch ganz wortwörtlich.

Am Ende tragen die Rheintöchter ein Spruchband herein, auf dem steht „Lasst alle Feigheit fahren!“ Die Ähnlichkeit zu Dantes berühmter Inferno-Begrüßungsformel gehört freilich zur Nachdenk-Wegzehrung, die jeder Zuschauer mit nach Hause nehmen kann. In diesem Päckchen befinden sich auch noch ein paar andere eingefügte oder weggelassene Rheingoldzutaten. Ein vor der Vorstellung eingeblendetes ziemlich revoluzzerhaftes Wagnerzitat von 1848 zum Beispiel, das dann nicht wieder auftaucht. Zwei fleißige Akrobatinnen im Hintergrund oder die roten Halstücher der Nibelungenkinder. Dafür gibt es nur einen imaginären Gutschein für Wotans weggelassenen Speer und die ebenso fehlende Augenklappe. Oder auch für den Riesenwurm und die Kröte in Nibelheim, die Alberich – allerdings sehr gut – nur in seiner originalen Körpergröße vorspielt. Auch den Einzug der Götter in ihre Burg gibt es nur von Cornelius Meister und dem Stuttgarter Orchester, samt der vier in die Seitenlogen ausgelagerten Harfen. Die Burg sieht ohnehin nur Wotan (vielleicht sogar schon samt der sie wieder vernichtenden Flammen). Die anderen nehmen sich eher unwillig, die ausgeteilten wetterfesten gelben Jacken. Nur Donner, dem Kimmig ein selbstbewusst rebellisches Eigenleben zubilligt, zieht sie trotzig wieder aus. Auch Loge macht dieses Getue nicht mit. Der sieht aus wie ein tv-kompatibler Modephilosoph von heute und weiß eh was kommt. Wie der sich ein Vergnügen daraus macht, die Götter vorzuführen, ist eine Klasse für sich. Vor allem, weil Matthias Klink das nicht nur spielt, sondern auch stimmlich lustvoll auskostet. Für ihn gibt es einen magischen Moment: für Sekunden hält er nämlich den Ring, den er Albreich gerade abgenommen hat, um ihn Wotan zu überreichen, selbst in den Händen. Man sieht förmlich wie ihn die Versuchung durchzuckt, den Lauf der Geschichte zu ändern und das gute Stück selbst zu behalten. Macht er aber nicht. Er begnügt sich zusammen mit Leigh Melroses atemberaubend spielenden, auch auf dem Kopf stehend noch grandios singenden Alberich mit dem Lorbeer der zu recht am entschiedensten bejubelten Glanzleistungen in einem durchweg überzeugenden Ensemble.  

Nach diesem Auftakt könnte Kimmig gar keine Götterdämmerung mehr hinkriegen. Cornelius Meister hat da keine Wahl. Er wird wollen müssen. Und es können. Sein „Rheingold“ war großformatig und – oft im Gegensatz zur Szene – aus einem Guss, aber auch – da wieder in Übereinstimmung mit ihr – mit Raum für einige verblüffend überzeugende Rollenprofile. Alberich, Loge, Freia und Donner haben davon profitiert, Wotan, Mime und die Riesen eher nicht. Die Welt ist halt ungerecht. Im großen Zirkus und im nachgebauten. Das Publikum bemühte sich da um Ausgleich. Dem Regieteam gab es allerdings eine hübsche Ladung Buhs mit auf seinen Heimweg. So stimmt die Bilanz dann wieder.

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