Leipzigs Oper hätte eine Art lebendiges Peter-Konwitschny-Museum werden können. Der Regisseur realisierte dort ein breites Spektrum seiner Musiktheater-Inszenierungen und war von 2008 an drei Jahre lang Chefregisseur. Nicht die glücklichste Zeit in seinem Berufsleben, gekrönt von einem absurden Abgang. Umgehend wurden alle mit Peter Konwitschny geplanten Projekte sowie die meisten seiner Produktionen getilgt. Im Repertoire verblieb lediglich Puccinis „La Bohème“, herausgekommen 1991 und inzwischen zum unsterblichen Klassiker avanciert.
In Dresden, an der Sächsischen Staatsoper, sind Konwitschnys Inszenierungen vollends verschwunden. Unvergessen bleibt der Theaterstreit um seine „Csárdásfürstin“ im Jahr 2000, der ein peinlicher Rechtsstreit folgte.
Auch Häuser wie Graz, Hamburg, Stuttgart sind Schwerpunkte in Konwitschnys Arbeit gewesen; wer sich aber heute mit seinem Schaffen vertraut machen will, muss entweder weite Wege in Kauf nehmen – oder aber ein dickes, schweres Buch: „Mensch, Mensch, Mensch!“ ist ein Meilen-, nein, ein Wackerstein in der Literatur zum Musiktheater. Beim Lesen ist aber von einer Last nichts zu spüren.
Theater ohne Regie?
Peter Konwitschny ist eine schillernde Gestalt im deutschen Musiktheater. Sein Name wird gern (allzuoft vorwurfsvoll) mit dem Begriff „Regietheater“ in Verbindung gebracht. Was für ein Missverständnis! Als gäbe es Theater ohne Regie? Regietheater sollte ein Prädikat sein, das Theaterarbeit würdigt, die sich ernsthaft mit der Vorlage auseinandersetzt. Im Musiktheater also mit Partitur und Libretto. Peter Konwitschny, Sohn des einstigen Gewandhauskapellmeisters Franz Konwitschny, hat Theater stets aus dem Geist der Musik verstanden. Das findet sich ausnahmslos in all seinen Produktionen. Dadurch prägen sie sich ein, stehen als unvergessliche Theatererlebnisse.
Mit dem kiloschweren Bildband „Mensch, Mensch, Mensch!“ kann man in diese Erlebnisse nun noch einmal eintauchen. Herausgeberin Andrea Welker bringt ihr damit verbundenens Anliegen so auf den Punkt: „Die hohe Kunst Peter Konwitschnys besteht freilich darin, seine scheinbar im Gegensatz zu den Libretti stehenden Interpretationen aus der Musik heraus zu entwickeln.“
Die Autorin hat sich für dieses gewichtige Buch einer Mammutaufgabe gestellt. Um nicht nur die Biografie Peter Konwitschnys darzustellen, sondern seine Person in möglichst vielen Facetten erlebbar werden zu lassen, hat sie eine Vielzahl von Gesprächen, Aufsätzen, Essays und sogar Lyrik versammelt. Mit einer Laudatio von Regisseurin Ruth Berghaus aus dem Jahr 1993 setzt sie den Maßstab: „Konwitschny glättet nichts und führt uns nicht aufs Glatteis. Seine Unbestechlichkeit lässt das gar nicht zu. Sie ist im Angesicht unserer Zeit sozusagen sein größtes Laster.“
„Ein Mensch!“
Da wird der streitbare Zeitgenosse angesprochen, der Peter Konwitschny bis heute geblieben ist. Seine familiären Hintergründe werden benannt, das Pendeln zwischen Ost und West, der stets im Mittelpunkt stehende Vater, vor allem aber die Zerwürfnisse seiner Eltern. All das entschuldigt nichts, erklärt aber vieles. Der Regisseur lebt seine Utopie eines geglückten Lebens auf der Bühne aus, wie Andrea Welker mutmaßt: „Für ihn ist Oper Ausdruck des Lebendigseins. Das ist sein Lebensinhalt.“
Konwitschny ist schwer zu fassen. Man muss sich darauf einlassen, auf den Theatermann wie auf die Lektüre. Dann aber erhält man ein Gespür für den eigentlichen Sinn der Kunst: „Thea-ter ist dazu da, den Menschen daran zu erinnern, was er ist, ein Mensch!“, sagt Peter Konwitschny. An diese Aufgabe glaubt er, setzt sie beharrlich um, beruft sich auf Brecht, Marx und auf Wagner – und bleibt doch, was er ist: ein Mensch. Ein Mensch mit Anspruch und Abgrund, ein Mensch, dessen Zerrissenheit es ihm selbst und anderen nicht immer leicht macht.
Erinnerungen von Zeitgenossen ziehen sich durch dieses Konwitschny-Buch. Ausführlich kommt er auch selbst zu Wort, umreißt seine Sicht auf die Welt, auf die Menschheit, und betont darin die Rolle der Frau, die Rolle der Liebe.
All seine künstlerischen Stationen – von Altenburg über Halle und Leipzig bis hin nach Basel und Graz, nach München, Hamburg und Stuttgart sowie nach Amsterdam, Kopenhagen, Moskau und Wien – werden ausführlich dargestellt. Nicht nur mit Daten und Bildtafeln, stets auch mit lesenswerten Hinführungen zu den Produktionen, mit Interviews und assoziativen Texten. So entsteht das Bild einer schillernden Person, die in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit womöglich gar nicht zu fassen ist, aber „Oper als Zentrum der Gegenwart“ sieht. Daran wird Peter Konwitschny gewiss auch in Zukunft arbeiten.
Peter Konwitschny: „Mensch, Mensch, Mensch!“. Oper als Zentrum der Gegenwart, hrsg. v. Andrea Welker, Verlag Bibliothek der Provinz, Weitra 2015, 525 S., Abb., € 48,00, ISBN: 978-3-99028-436-0