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Töchter aus gutem Hause an den Tasten

Untertitel
Der Insel-Verlag nimmt sich das Thema Frauen und Klavier vor
Publikationsdatum
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Stefana Sabin: Frauen am Klavier. Skizze einer Kulturgeschichte. Mit zahlreichen Abbildungen, Frankfurt/Main (Insel) 1998, 98 Seiten, 12,80 Mark

Frauen am Klavier behandelt Stefana Sabin in einem als Insel-Taschenbuch erschienenen schmalen Band, den der Verlag mit beinahe 40 Abbildungen, davon neun farbigen, üppig ausgestattet hat. Titel wie Untertitel, Skizze einer Kulturgeschichte, versprechen eine epochenübergreifende essayistische Darstellung – und natürlich erhofft man sich auch eine Konkretisierung von einigen der Fragen, die Freia Hoffmann 1991 in ihrer im gleichen Verlag erschienenen grundlegenden Arbeit „Instrument und Körper“ angesprochen hatte. Leider vergebens! Anders als Titel und Abbildungen nahelegen, behandelt der Text nur einen Zeitraum von etwa 1750 bis 1880 und innerhalb dieses nur einen Teilbereich, die „höhere Tochter“ am Klavier; lediglich das letzte Kapitel geht darüber hinaus und beschäftigt sich mit dem Eintritt der Frau ins Berufsleben Ende des 19. Jahrhunderts und dessen mutmaßlichen Auswirkungen auf das Klavierspiel. Sprache und Inhalt des Bandes lassen viele Wünsche offen. Die Darstellung ist voller Redundanzen, sprachlich häufig unbeholfen und inexakt. Es gibt eine Fülle von Fehlern und Ungenauigkeiten im Detail, wie – drei Beispiele von vielen – die ungenügende Unterscheidung der verschiedenen mit der Bezeichnung „Klavier“ gemeinten Instrumente, die gänzlich falsche Erläuterung eines Clavichords oder die Nichtbeachtung der Existenz des Tafelklaviers. Sie lassen nicht nur an der Vertrautheit der Autorin mit dem Gegenstand zweifeln, sondern ziehen auch falsche kulturgeschichtliche Einschätzungen nach sich. Die unbekümmerte Vermengung von Belegen aus verschiedenen Zeiten und Regionen sowie von Zitaten aus Originalquellen und Sekundärliteratur läßt zudem historische Zusammenhänge weitgehend unberücksichtigt. Das beste der vier Kapitel ist das mit Beispielen klavierspielender Frauen aus englischer, deutscher und französischer Literatur vom Ende des 18. bis Anfang des 20. Jahrhunderts, deutet Sabin hier doch die unterschiedlichen Funktionen des Bildes in den einzelnen Texten zumindest an. Vielleicht hätte sie es bei diesem Kapitel belassen sollen. Anregend sind die aus einem Zeitraum von über 300 Jahren (1616 bis 1937) stammenden Abbildungen. Leider werden sie aber nicht als Erkenntnisgrundlage genutzt, sondern bleiben bloße Illustration – ein bunter, wenn auch zufälliger Strauß von „Frauen am Klavier“. Durch die Fixierung auf das Klavier als Instrument der „höheren Tochter“ und Statussymbol des bürgerlichen Haushalts entsteht ein einseitiges, zuweilen falsches Bild. Klaviermusik galt zum Beispiel nicht „überhaupt ... als weibliche Musik“ (was ist mit Beethoven, Schubert oder Liszt?), Frauen spielten mitnichten nur leichte Stückchen (was ist mit den Wiener Pianistinnen, die zu den besten Interpreten der Werke der Wiener Klassiker gehörten?), auch vor Clara Schumann gab es bereits professionelle Pianistinnen (was ist mit Maria Theresia Paradis oder Leopoldine Blahetka?). Stefana Sabin entwirft ein eindimensionales und weitgehend statisches Bild von „Frauen am Klavier“, das den historischen Gegebenheiten ungeachtet zutreffender Einzelheiten nicht gerecht wird. Man vermißt Differenzierungen, zum Beispiel das Aufzeigen von Widersprüchen, vom Nebeneinander verschiedener Strömungen sowie von Entwicklungen und Veränderungen. Wäre es das erste Buch zu diesem Thema, könnte man zumindest für die Ansätze dankbar sein, die meisten Erkenntnisse sind aber nicht neu, sondern durch die Arbeiten etwa von Eva Rieger, Freia Hoffmann oder Nancy B. Reich längst bekannt. Bereits vorliegende Literatur blieb aber wohl weitgehend unrezipiert. Und so bleibt am Schluß vor allem eine gewisse Ratlosigkeit: Warum dieses Buch? Warum im Insel-Verlag, in dessen musikhistorischem Programm sonst doch gute, zum Teil grundlegende Werke erschienen? Und: Wo war das Lektorat?

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