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John Tavener: Beyond the Veil, Warner Music Vision 1998, 80 Minuten.
„Hinter dem Schleier“. Das Booklet verspricht, ein Fenster zu öffnen. Da braucht man schon einen roten Faden. Das Video bietet ihn: Gespräche zwischen dem Fragenden und dem Befragten, zwischen Melvyn Bragg und John Tavener. Oft die Strapazierung des guten alten Gesprächskonzertes à la Bernstein pur. Nur wenig Musik kann hier ungestört gehört werden. Und der Schleier? John Tavener, sein Leben, seine Musik. Sie ist der zweite rote Faden. Seine Musik selbst. Dabei erweckt sie doch auch immer wieder den Eindruck des Schleierhaften, zumindest die, die hier zu Ton gelangt: meist melismatisch Homophones über Orgelpunkt getragenen Tempos: „Song for Athens“ (Lady-Di-Fans aufgehorcht und schaut her), „Spit in My Face“ aus den Three Holy Sonnets of John Donne, „Annunciation“, der erste Satz aus „The Protecting Veil“, „Akathist of Thanksgiving“, „The Bless Duett“ aus der Oper „Mary of Egypt“, „As One Who Has Slept“ und „Agraphon“ (mit beeindruckendem Schlußwirbel in Ton und Bild). Zwischendurch spricht Tavener beiläufig von seinem Herzschlag nahe 40 und zitiert ein lebhaftes „Paramparamparam“ von Musik. Man wünscht es sich während der 80 Minuten Video schon einmal! Nein, es ist keine Bewertung der Musik an sich. Dies hieße, die Person zu bewerten. Und wer hat schon das Recht dazu. Es ist nur die profane Ungeduld eines Videorezipienten, endlich hinter den Schleier schauen zu können. Die Hoffnung: der dritte rote Faden mit den vielen geistlichen Räumen, in zahlreichen Einstellungen, von außen und von innen, alles inmitten orthodoxer Ikonen, meist in warmes Licht getaucht mit viel Vignette, weiche Bewegungen des Kamerabildes, Überblendungen satt. Harte schnelle Schnitte äußerst selten, aber zutreffend: das Thema Auto, das Thema Stadt. Letzteres sogar musikalischer Struktur folgend. Aber was folgt hier nicht musikalischer Struktur? Weiche Linien der Musik, weiche Linien des Bildes, wie gesagt. Trotzdem. Darum auf zum vierten roten Faden: Rot, die Farbe. Rot die Polster der Konzertsäle, rot die Gewänder des Westminster Abbey Choire. „Beyond the Veil“ – „Hinter dem Schleier“, auch: „Nach dem Tod“. Sie erinnern sich: the final curtain. Schon an der Musik werden Sie’s gemerkt haben: viel Schleierhaftes wie gesagt, nur Religiöses, oft Jenseitiges im Thema, Spirituelles zumindest. Der rote Faden schlechthin. Er setzt sich fort: in Tavener, gewechselt zum orthodoxen Glauben, sein Thema; in der Gestik seiner manisch anmutenden Hände, zeitlupenhaft gen Himmel oder einen Bogen schlagend nach einfachem Klavierspiel. Und da ist sie auch wieder, wirkungsvoll wie eh und je: die Lisztsche Silhouette. Ja, es hat auch was von diesen Ambitionen. Und wer will es diesem Video verdenken? Es ist schließlich ein Personality-Video mit der Aufgabe, John Tavener als den zeitgenössischen britischen Komponisten in Szene zu setzen, den Publicity-Schub aus Lady Dis Begräbnis nutzend. Ein bißchen Aura darf da schon sein. Schließlich bedarf es des Schleiers, hinter den zu schauen die Notwendigkeit des Videos mit eigenen Worten erklärt. Da entsteht ein Denkmal zu Lebzeiten. Doch. Der Schleier verdeckts nur manchmal, noch bevor er gelüftet wird. Die Kamera machts deutlich: Tavener oft von unten, Tavener auf das Meer hinausschauend, ganz passend mit zum Firmament gewandten Blick auf dem Booklet. Weich, wohlig, phantastisch, bis zum Schluß. Ein in sich stimmiges Ganzes mit einem Hauch Verklärung. Ein roter Faden für den, der wie Tavener den Blick vom diesseitig Profanen weglenken möchte (außer der Vehikelfaszination), der „Kreativität (als) eine Reise – nicht nur (als) eine Reise der Selbstentdeckung, sondern auch (als) eine Reise der Seele zu ihrem Schöpfer“ (Original Booklet) sieht.